|
Soft Machine "Floating World Live" (Moonjune Records, VÖ: 21.03.2006)
|
Dieses Konzert wurde am 29. Januar 1975 in der Post-Aula in Bremen-Horn von Radio Bremen aufgenommen und ist somit glücklicherweise für die Nachwelt erhalten worden. Soft Machine bestand 1975 zu "Bundles" Zeiten aus Mike Ratledge (key, synth), Karl Jenkins (ob, ss, rec, p), John Marshall (dr, perc), Allan Holdsworth (g, vi) und Roy Babbington (b), damit sind 4 der 5 Mitlieder der Band ebenfalls zusammen in der Band Nucleus aktiv gewesen.
"Floating World Live" ist ein Werk am Stück, dessen innere Songgrenzen zwar per Fernbedienung ansteuerbar sind, so das sich 11 Tracks ergeben. Doch die Band spielt das Programm fast vollständig durch. Die Übergänge sind fließend und nur in den Motiven oder Soli der einzelnen Instrumente herauszuhören. Der eröffnende Titeltrack, wie die meisten Stücke vom damals aktuellen Werk, ist eine sphärisch-ambiente Keyboardnote, aus dem sich "Bundles" als langes und einfach geniales Gitarrensolo vom Meister Allan Holdsworth löst, das wiederum in das nächste lange Allan Holdsworth Gitarrensolo übergeht, "Land of the bag snake". Diese beiden mordsradikalen, zusammen 10 Minuten langen Geniestreiche sind wirklich einst in Bremen live gespielt worden, ich hätte im Auditorium Rotz und Wasser geheult!
Die Babbington-Komposition "Ealing Comedy" ist, wer hätte es gedacht, ein Basssolo. Nicht weniger interessant als Holdsworth' aufeinander folgenden Soli, ackert sich Roy Babbington durch brüchige Melodielandschaft und bringt es, ganz im typischen Sinne des Canterbury Rock, zu intensiver Aussagekraft, so etwas machte er bei Nucleus ebenso intensiv.
Insgesamt hat "Floating World Live" Jamcharakter. Soft Machine experimentieren und improvisieren ohne Ende. Es gibt keine Pausen zwischen den Tracks, Schlagzeug und Piano führen die Themen weiter, bis der nächste Solist einsteigt und mit wundervoller Arbeit verzückt. Wieder einmal ist Allan Holdsworth dran, dieses Mal mit der elektrischen Geige. Was für ein grandioses Solo! Allein schon, was die "Backingband" hier leistet, ist grandios, aber dieses zarte, melodisch verflixte Solo obendrauf, alle Achtung, das ist einmal mehr feinste Kunst! Das hochkomplexe und ultranervöse "Peff" dient Karl Jenkins als Basis für eines seiner typisch sphärischen Soli. Der dynamische Jazzrock ackert sich mit gut geöltem Getriebe durch schweres Gelände, während Jenkins Schlangen beschwört!
"North Point" ist sphärisches Geblubber, wie Mike Ratledge es auf "Alive & Well" 1978 vermehrt zeigen sollte. Atonal, avantgardistisch, schräg, aber nicht vor den Kopf stoßend und für solcherlei gewohnte Ohren geradezu eingängig, klingt Ratledges Solo fast wie ein rasend gewordener Electronic-Pionier. In "Hazard Profile, Part One" sammelt die Band sich wieder, bisher gab es keine Pause, über die Hälfte der fast 80 Minuten sind leider schon wieder vorbei. Das grandiose Thema wird lebhaft und lebensfroh gespielt, die Band zeigt viel Spielfreude und radikalisiert neugierige Harmonievorstellungen mit hartem Rock.
Die folgenden 10 Minuten, "J.S.M." genannt, sind für John Marshall reserviert. Rasantes Schlagzeugsolo, vital und energisch, komplex und melodisch, ganz ohne Begleitung, wie bisher nur Babbington mit dem Basssolo und Ratledge mit dem Electronic-Ausflug. Noch der Beginn von "Riff III" ist Schlagzeugsolo, fast wie im Heavy Metal, laut, schnell, hart; grandios.
"Riff III" ist wieder Bandimprovisation, Jamsession mit Groove auf Jazzbasis, davon spielten Soft Machine in den folgenden Jahren, auch mit ausgewechselter Besetzung, immer mehr, bis auf "Alive & Well" fast Technopop draus werden sollte.
Karl Jenkins piano solo in "Endgame" klingt schwer und dramatisch, bis die Band einsteigt und Allan Holdsworth das minimalistische, hochmelodische Motiv übernimmt und mit zartem Solo im Off verwischt, von Mike Ratledge gefolgt, der noch sphärischer arbeitet und ganze Lyrikarbeit macht. "Endgame" wird noch einmal nervös und laut, jazzig und hart, zeigt Allan Holdsworth in bester Verfassung. Konnten die Zuschauer seine Finger verfolgen oder verlor sich mit der Schnelligkeit seines Spiels die Möglichkeit, das Spiel wirklich "sehen" zu können? Das irre flitzefingrige Spiel ist verrückt wild und dabei von einer melodischen Abstraktion, die anderen Flitzefingern die Nerven verdreht hätte. Meisterhaft!
Leise fließt das Album mit "Penny Hitch (Coda)" aus. Zart und lyrisch, dunkel und melancholisch. Die Band hat 80 Minuten ohne wirkliche Pause durchgespielt und das Publikum gebannt, verzaubert, tonal ummantelt, die Sinne gefangen. Die Atmosphäre ist auf der CD wunderbar eingefangen. Der Sound ist etwas matt und dunkel, aber eigentlich sehr gut. Im dicken Booklet geht die Band auf die Aufnahmen ein, Bilder sind zu betrachten. Die Hülle, dunkel und braun, zart und verwirrend, ist wie die Musik und das Ende der CD, wie ein wunderbarer Traum. Plötzlich ist das Konzert vorbei, die CD am Ende. Stille und Leere bleiben zurück, während die Band noch durch den Raum tobt. Bitte mehr davon!
moonjunerecords.com
VM
Zurück
|
|