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Skin Alley "Bad Words and Evil People - The Transatlantic Anthology 1972-73" (Castle Music 2006)
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Beim Opener "Nick's Seven" wird man erst stutzig - ist das nicht Atomic Rooster? Später gibt es einen Auszug aus "Tommy" von The Who, ein Jazzsolo der elektrischen Gitarre folgt. Der Song verblüfft nicht nur mit der Stimme Nick Grahams, der von Atomic Rooster zu Skin Alley wechselte und auf den beiden LPs "Two Quid Deal" (1972) und "Skintight" (1973), in der Bandzählung die Alben Nummer 3 und 4, mitspielte, sondern auch im schweren Orgelsound. Skin Alley wurde bereits 1968 in London gegründet. Thomas Crimble (voc, b, der 1970 zu Hawkwind ging und durch Nick Graham ersetzt wurde), Bob James (g, sax, fl), Krzysztof Henryk Juskiewicz (key) und Alvin Pope (dr) brauchten fast ein Jahr, den Bandnamen zu finden, den angestrebten Sound zwischen Jazz und Progressive Rock fanden sie sofort. Dick Taylor von The Pretty Things produzierte das experimentelle Debüt "Skin Alley" 1969; wie das erste veröffentlichte CBS 1970 das zweite Album "To Pagham And Beyond" mit der Colosseum-Coverversion "Walking In The Park"; da sich beide vorwiegend instrumental angelegten Jazzrock Alben nicht verkauften, schmiss CBS die Band raus. 1970 spielten Skin Alley ein Acetat-Album ein, ein Soundtrack für einen Film, der bis heute nicht veröffentlicht worden ist.
1972 unterschrieben Skin Alley bei dem Folk-Label Transatlantic. "Two Quid Deal" kam im Oktober 1972 raus, 9 Stücke darauf, die deutlich machten, dass die Band sich gewandelt und gemäßigt hatte. Sehr schöne Stücke sind hier zu hören, neben dem Opener etwa das grandiose "Graveyard Shuffle", "So Glad", "So Many People" und "Bad Worlds And Evil People". Skin Alley spielten jetzt typisch britischen songorientierten Jazzrock mit Funk im Blut, der partiell zu Folk und Pop mutieren konnte. Als Bonus ist auf CD1 "You Got Me Danglin"' zu hören. "Two Quid Deal" noch hat Merkmale des Progressive Rock, wenn die Stücke zum Großteil auch geglättet wirken und instrumentale Eskapaden nur wenig passieren. "Skintight" jedoch, 1973 veröffentlicht, ist durchschnittlicher Britrock. Radiokompatibel, mit fetzigen Bläsern und Streichern arrangiert, weist nichts darauf hin, dass die Band aus dem Progressive Rock kommt. Die 10 Songs sind schlichte Unterhaltungsmusik und klingen heute erstaunlicher Weise wesentlich veralteter als die 3 Vorgängerwerke der Band. Der breitenkompatible Kitschsound der 1970er Jahre mit etwas Heavy Rock, Blues und Country kann heute wenig überzeugen und wird wohl nur die Die-Hard-Fans der Band erfreuen (so es solche gibt). Einige wenige Stücke wie "Surprise Awakening" oder "How Long?" fallen durch exquisite Gesangslinien und den hervorragenden Gesang auf, instrumental passiert nur in "Instermental" etwas, in den restlichen Tracks ist jede instrumentale Arbeit dem liedhaften Gesang untergeordnet. Als Bonus ist die Single-Version von "Broken Eggs" enthalten, die länger als die LP-Version ist, nicht die Kitsch-Streicher hat und damit deutlich besser ausfällt. Der Klassiker "In The Midnight Hour" als Brass-Disko-Stomp hat das finale Sagen. Danach war Skin Alley Geschichte.
Das mehrfach aufklappbare Poster-Booklet mit ausführlicher Bandstory von David Wells, Coverabbildungen und diversen Bandphotos ist äußerst ansprechend. Die Produktion ist bedingt zu empfehlen. Für Sammler britischer Rockmusik der 1970er sowieso ein unbedingtes Muss, wird dem Freak ausgefallener Töne die erste CD zusagen. Der Rest mag als Bonus herumstehen. Für Forscher ist die Produktion ein wichtiges Muster, weil an der Karriere der Band gut abzulesen ist, wie die Rockmusik überhaupt ihre Entwicklung nahm, vom wilden, freien Aufblühen in den 60ern bis zur gnadenlosen Kastration schon in den frühen 70ern.
VM
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