Ske "1000 Autunni" (Fading Records 2011)

Ske, Yugen, Kurai - die Musik dieser Bands/Musiker passt nicht in Clichés. Gewiss gibt es Parallelen; Ansatzpunkte, die stilistische Vielfalt zu greifen und begreifen. Die Bands der ‚alten' Szene: Gentle Giant, Picchio Dal Pozzo, Hatfield and the North etwa, wie Paolo "Ske" Botta selbst meint. Und gewiss auch Bands der jüngeren, auch bereits angegrauten Szene: Änglagård etwa, und junge Bands des AltRock Labels, zu dem Fading Records gehört. ‚Retro' ist Ske nur im ästhetischen Sinn: das Instrumentarium, kompositorische Vorbilder, stilistische Markenzeichen. In den 1970ern hätte ein Bandprojekt wie Ske kaum großes Aufsehen erweckt, außerhalb eines verschworenen (progressiven Jazz/Rock-)Kreises. Selbst Bands wie Gentle Giant, Genesis oder King Crimson spielten ‚Songs', mehr oder weniger leicht nachvollziehbare Stücke, immer wieder, auf fast allen ihren Alben. Ske ist Songdienlichkeit ein Fremdwort, vielleicht mehr: negativ. Die schwer komplexe Kompositionssprache der vielseitigen, vielschichtigen und enorm abwechslungsreichen Stücke auf dem Debüt "1000 Autunni" sprechen konzentriert und konkret die (wohl eher kleine) Fanschar im Progressive Rock an, die nicht gen Metal, New Artrock, Retro oder Marmelade tendiert, sondern erlesen feine Komplexkost mag, die ästhetisch und stilistisch in avantgardistische Weiten weist und doch längst keine Avantgarde mehr ist. Selbst der Terminus ‚Rock' ist hier zu forsch, zu leicht, gar zu billig. Im instrumentalen Klangkleid populärer Rockmusik sind Yugen, Kurai, Ske, October Equus und weitere Bands und Projekte, die AltRock wie Perlen auf der Schnur aneinanderreiht, mit der Tendenz zur Neuen Musik unterwegs. Progressive Rock-ungeübte Hörer werden die Musik dieser Bands wohl als "schwer" bezeichnen und gewiss überfordert sein.
Hamadryad, haken, Talisma - viele weitere, darunter sehr gute Bands - sind für das allgemeine Publikum wenigstens als ‚schräger' Extrem-ROCK zu erkennen, und für das progressive Publikum Highlights/gute Präsentanten. DieAltRocker gehen etliche Schritte weiter. Am nächsten ist Bands wie Yugen und Ske wohl Gentle Giant, und die sind und waren selbst schlecht in Schubladen unterzubringen, nicht ‚echt' symphonisch, nicht Jazzrock, nicht Canterbury, unverwechselbar. Das probieren diese neuen AltRock-Bands ebenfalls, auf hohem Niveau, so hohem, so komplexem, ganz und gar nicht liedhaften "Leitbild", das wenig Rock ist, keine Gitarrensoli oder Jam-Parts integriert noch überhaupt zulässt - und sich nicht darum schert, Anspruch und möglichen Breitwanderfolg miteinander zu verbinden, sondern nur konzentriert Musik und Kunst ist, verinnerlicht, Konzentration einfordernd - und ungemein viel gebend. Wer sich in diese Klänge verliebt, wird ratlos und glücklich. "1000 Autunni" wirkt wie die Brille, die plötzlich all das (wieder) scharf macht, was zuletzt schon "so normal" unscharf gewesen war und reizt den Hörsinn, auf die Details zu achten und Feinheiten zu entdecken, die reichhaltig und verspielt wie lebendig beglückend vorhanden sind.
Meisterwerk!

altrock.it
VM



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