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simakDialog "Live at Orion" (Moonjune Records, 24.01.2015)
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Die ersten Jazzrocker nach Miles Davis prägten das Genre nachhaltig und inspirieren Musiker weltweit bis heute und gewiss noch in Zukunft. simakDialog, die indonesische Kapelle um Keyboarder und Komponist Riza Arshad setzt auf die Inspiration, die John McLaughlin, Chick Corea und Joe Zawinul in die Welt setzten. Auf ganz eigene Weise. Die noch eine Fülle weiterer Vorbilder erkennen lässt, etwa den elektrischen ECM-Jazz(rock) der Siebziger Jahre, etwa Terje Rypdal, oder den eine Generation später aktiv gewordenen David Torn.
Zwei Hauptinstrumente führen den Sound der Indonesier an: Gitarre (Tohpati) und Fender Rhodes (Riza Arshad). Rudy Zulkarnaen (b) und die drei Perkussionisten Endang Ramdan und Erlan Suwardana (jeweils Sundanese kendang percussion) sowie Cucu Kurnia (assorted metal percussion) ergänzen das Line-Up. Im letzten der 9 Tracks auf den beiden CDs tritt Gitarrist Beledo auf.
Der entscheidende Unterschied zum abendländischen Jazzrock liegt in der Rhythmusabteilung. Schon die melodische Themensprache hat ihre, wenn auch verwandtschaftlich erkennbare Eigenart. Doch was im ‚progressiven' Jazzrock der alten Schule - bis heute - der ‚komplexe' Schlagzeugrhythmus ist, findet hier nicht statt. Die Rhythmusarbeit ist erheblich komplex und längst nicht schlicht, doch die typisch indonesische Rhythmussprache, im Abendland vielleicht mit ‚ethnisch' am besten missverstanden, ist Teil der indonesischen klassischen Musik und Teil des musikalischen Bewusstseins der Musiker. Für Jazzrock geschulte Ohren wird simakDialog gerade durch den Rhythmus zu der neuen Erfahrung, die dem Genre und der Szene eine interessante Erzählweise präsentiert.
Anders als zum Ende der Siebziger Jahre, als alle extravagante, besondere Rockmusik ihr Ende zu finden schien, gen schlicht und simpel tendierte und damit geradewegs in den Abgrund steuerte, kennen diese Musiker keine Hürden, ihren kreativen Ausdruck so zu präsentieren, wie sie ihn verstanden wissen wollen. Es gibt keine Anpassung, sondern den vollständig eigenen Charakter. Mit starken, und bisweilen typischen Jazzrockläufen am Piano, jazztriefender Gitarrenarbeit und jazzmelodischem Bass - soweit Jazzrock ‚allgemein'. Doch die Rhythmusarbeit des Genres wird nicht adaptiert, sondern durch eigene, historisch gewachsene Rhythmusmuster ersetzt. Die Inspiration ist Riza Arshad, der alle Stücke komponierte, in Fleisch und Blut übergegangen. Und gewiss sammelte sich in seinem privaten Leben eine große Diskographie an, die ihn schließlich in seine eigene Band führte. Ähnlich erging es mir, als ich in den Achtzigern einem Rockpalast lauschte und King Sunny Adé and his African Beats lauschte - was war das denn?!? Rockmusik? Was für ein stakkativer, monoton variabler Rhythmus, der das Arrangement vollständig beherrschte!
Zwar arbeiten simakDialog mit einem dem Genre uneigenen Rhythmus, doch der Eindruck ist ähnlich. Wie dort, will zuerst die Rhythmusarbeit nicht zur Melodik passen. Wat de Buer nich kennt, dat frett hei nich - will das Ohr zuerst sagen. Und gewiss, dieser Rhythmus hat eine gewisse Statik, es gibt eben nicht die für abendländische Ohren vitale Schlagzeugarbeit; andere Trommeln, andere Spielweise, anderer Klang, keine Becken - und doch, im Laufe der sehr langen Songs passt der Rhythmus wie das Mantra zur Repetition.
Von den 9 Songs gibt es nur ein Stück, das mit 8:37 Minuten unter der Longtrackgrenze [~] liegt, alles weitere geht von "Kemarau" (11:02) bis "This Spirit" (18:02) jeweils in lange Rillen. Für abendländische Ohren ebenfalls ungewöhnlich ist die wenig emotionale Betonung der Melodieführung. Es gibt keine Gitarrensoli, die wie ein Gipfelsturm an der Materie sägen, keine Keyboardarrangements, die auf einen Höhepunkt zu jagen, um die Harmonie explodieren zu lassen. Alles bleibt ziemlich nüchtern und stets auf energetisch hohem Level, was nach altem Verständnis Jazzweite ausmacht, die erst einmal in der Wildnis forscht, bevor sie das Terrain versteht und umpflügt. Das hat viele Ursachen, mentale, gesellschaftliche - im indonesischen Raum ist Individualität nicht, was dies hier ist. Die persönliche und gesellschaftliche Entwicklung trägt entscheidend andere Züge als in der alten Welt oder dem Norden Amerikas (um dazubleiben, wo Jazzrock schon seit langem passiert). Und es liegt an Riza Arshad, Tohpati und simakDialog. Nicht nur Jazz und Rock passieren hier, ebenso indonesische klassische Musik. Nicht zwei, sondern drei Stile treffen aufeinander. Und etwas Neues entsteht.
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VM
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