Ravi Shankar -"Sitar Concertos and other works" (EMI Records, 2005)

Ravi Shankar, der als Sitarspieler wohl einen hohen internationalen Bekanntheitsgrad genießt, ist nicht ausschließlich in der klassischen indischen Musik zuhause, in deren Tradition die meisten der hier enthaltenen Werke stehen, die sämtlich in den späten 1960er und den 1970er Jahren aufgenommen wurden, sondern es geht ihm auch um das Überschreiten kultureller Grenzen und so wurden insbesondere seine beiden Konzerte für Sitar und Orchester (Nr.1 dauert fast eine halbe Stunde, Nr.2 sogar fast 52 Minuten) zu wahren Gemmen einer Klassik-Fusion. "West meets East" - so könnte das Motto dieser Doppel-CD lauten - gibt es für einen einstelligen Eurobetrag käuflich zu erwerben.
CD1 beginnt mit "Morning Love", einem Quartett für Sitar, Tablas, Tanpura und Querflöte; hier kommen nicht nur aufgrund der Verwendung des letztgenannten Instruments Vergleiche mit JETHRO TULL auf, sondern auch deshalb, weil sich Ian Anderson auf seinen beiden jüngsten Studiowerken teilweise stark von asiatischen Klängen beeinflussen ließ. Auch "Raga Piloo" ist ein Quartett, wobei die Flöte durch eine von Yehudi Menuhin gespielte Geige ersetzt wurde; klanglich könnte man dieses Stück fast als indische Variante des Klezmer bezeichnen. Besonders die Interaktion zwischen Sitar und Violine, die zwischen Frage und Antwort-Passagen und Unisonothemen alterniert, wirkt sehr vitalisierend. Es folgt "Prabhati", das ebenfalls auf einem Raga basiert und hier sind die Tablas neben der Geige die Hauptinstrumente, während sich die Sitar im Hintergrund hält. Das erste Sitarkonzert besteht aus vier Ragas und verbindet geschickt neoromantische mit indischen Einflüssen, genau genommen solchen des hindustanischen Systems Nordindiens - das karnatische System ist dessen südliches Pendant. Andre Previn dirigiert das London Symphony Orchestra bei dieser in doppeltem Sinne historischen Aufnahme aus dem Jahr 1976, die auch heute noch als wegweisend betrachtet werden muss, da sie viele Türen öffnete und viele musikalischen Horizonte erweiterte.
CD2 wird mit einem Stück namens "Purlya Kalyan" eröffnet, das andächtig vor sich hinfließt und dessen erste Hälfte aus einem Sitarsolo besteht. Die sich hinzu gesellenden Tablas erwecken durch gelungene Spannungsbögen der komplexen indischen Rhythmik die Sitar aus ihrer meditativen Ruhe und so endet diese Komposition in teils unisono gespielten Stakkato-Läufen. Beim anschließenden "Swara-Kakali" wird die Instrumenten-Palette um die Violine erweitert, das Tempo ist durchgängig hoch und die Struktur auch für westliche Ohren gut nachvollziehbar. Sitarkonzert Nr.2 trägt den Untertitel "Raga Mala - A Garland Of Ragas" und übertrifft seinen Vorgänger nicht nur hinsichtlich der Länge, sondern auch im Aufbau, der noch facettenreicher daherkommt und Lust auf mehr macht. Zeitgenössische Komponisten sollten sich unbedingt von solcher Musik inspirieren lassen, wenn sie nach substantiellen und doch neuen Wegen suchen - Hörer zeitgenössischer Klassik müssen diese Musik gehört haben, wenn sie auf der Suche nach interessanten Klängen sind.

emiclassics.com
Frank Bender



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