Scherzoo "03" (Soleil Mutant 2015)


François Thollot tritt auf seinem dritten Album mit zwei komplett unterschiedlichen Besetzungen an. Track 1 bis 6 sind die eigentlichen Albumtracks. Als Bonus sind drei Tracks angehängt, mit anderen Personal eingespielt, und die auch anders klingen. Zudem: auf dem letzten Scherzoo Album, das 2012 passend "02" genannt worden war, arbeitete der Multiinstrumentalist mit einer dritten, wiederum vollkommen anderen Besetzung zusammen. Neue Leute, neues Glück!
"03" bringt es mit den 9 Tracks auf eine Spielzeit von 65:54 Minuten. Der Großteil entfällt auf das aktuelle Programm. François Thollot spielt Bass und programmierte die Keyboards (die dann allein spielten?). Clement Curaudean (dr), Maxime Mantonvaní (g) und Renaud Vernet (sax) verstärken Chef Thollot.
Der schrieb alle Songs selbst. Thollots Jazzrock zeigt wiederum Nähe zu Zeuhl, Progressive Rock und dem, was die guten alten Komplexbarden in Canterbury einst so grandios zelebrierten. Deutlich jazzbetonter als zuvor kann zudem eine gewisse (gewiss unbeabsichtigte) Nähe zum Jazzrock der tschechoslowakischen Bands der frühen 1970er gesehen werden. Die waren ebenso konzentriert und unabgelenkt auf nur die erstklassige Einspielung ihrer ähnlich funktionierenden Songs fokussiert, ohne das illuster komplexe Handwerk vordergründig technisch erscheinen zu lassen.
Bass und Schlagzeug, wie üblich im (progressiven) Jazzrock, sind weitaus mehr als reine Rhythmusbegleitung, geben den Songs Kante und Farbe, Rhythmus und die interessante Bruchlandschaft, auf der sich alle vier Beteiligten nach Herzenslust, überwiegend etwas nachdenklich und tief lyrisch austoben. Das Saxophon, etwas zurückgenommen, zeigt zumeist einen etwas klagenden, wenig forschen Ton. Die Gitarre hält sich etwas bedeckt, die programmierten Keyboards basteln am lautesten und fokussiertesten die harmonische Struktur. Und die Tasten sind es auch, die den starken 1970er Sound einbringen. Meines Erachtens würde das Konzept aller 6 Songs genauso wenn nicht besser funktionieren, wenn das leidende Saxophon entweder ein paar Schmerztabletten bekommen oder sich krank gemeldet hätte. Die Gitarre würde sich mehr aus dem Schneckenhaus getraut haben und der etwas unterenergische Sound wäre nicht auf 97, sondern auf 100%. Zwar funktioniert das Konzept gut, aber die Protagonisten an den Instrumenten sind, bis auf den Boss, vermutlich eher keine professionellen Musiker; die wissen zwar gut zu spielen, aber sind doch nicht in der Lage, den letzten technisch-emotionalen Kick zu erreichen. Beste Komposition ist das Zeuhl-nahe "La menace", das schon in den frühen Siebzigern in den französischen Avant Jazzrock großartig gepasst hätte.
Trotz der etwas müden Einspielung: guter Stoff gut gelungen, dank Thollot und Schlagzeuger Curaudeau.
Die Songs 7 bis 9, zusammen 19:46 Minuten zählend, gefallen mir deutlich besser. Boss Thollot sitzt hinter dem Schlagzeug, Jeremy Van Quackebeke, der Thollots Songs arrangierte, spielt Piano - und das auffallend gut. Die weiteren Instrumente, Hurdy Gurdy, Bass und Cello, sind wiederum weniger präsent und prägend als Piano und Schlagzeug, ohne technisch zu macken.
François Thollot ist ein lieber, riesiger Ruhepol, der schon auf Charlys Freakshow Artrock Festival mit Band (in mir just unbekannter Besetzung) seine Kompositionen zelebrierte. Meines Erachtens fehlt seinem dritten Album der letzte Kick. Vielleicht ist die Besetzung nicht in jedem Fall glücklich, doch schon allein die technisch-energische Einspielung wirkt etwas wenig beachtet, unterausgeprägt, was mich etwas unglücklich macht. Einerseits ist Thollots Jazzrock genau der Stoff, dessen Ästhetik mich (und gewiss die anderen an den gleichen Musikgeschmack hilflos ausgelieferten Girls and Boys) anmacht und ausfüllt. Andererseits bleibt auch nach mehrfachem Anhören die Satisfaktion aus. Der Murks der Stones ist wie ein böser Zauber, der mit wechselndem Charakter noch Zivilisationen zerstören wird!

soleilzeuhl.com
VM



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