Satellite "Evening Games" (Metal Mind Productions 2004)

"Evening Games" ist nach der 2003er CD "A Street Between Sunrise And Sunset" das zweite Album der polnischen Band. Satellite war ursprünglich das Soloprojekt des ehemaligen Chefs von Collage, Wojtek Szadkowski (dr, acc-g). Doch mit dem Schreiben und Aufnehmen eigener Songs hatte sich daraus bald die Band gebildet, die heute neben Wojtek aus Robert Amirian (voc), Sarhan Artur Kubeisi (g), Krzysiek Palczewski (key) und Przemek Zawadzki (b) besteht. Als Gast war an der Einspielung von "Evening Games" weiterhin Konrad Kozera mit einem Gitarrensolo im Titelsong dabei.
Wojtek Szadkowski war schon der Komponist der meisten Songs von Collage, so ist es nicht verwunderlich, dass seine neue Band die Qualitäten der ersten überzeugend weiterführt.
Schon auf den ersten Blick ist die CD sympathisch. Das naive Bild auf dem Cover mit spielenden Kindern auf einem Dorfanger in zerfließendem Tageslicht, ganz im Gegensatz zu den erschreckenden und düsteren Abbildungen von Plattenbauhochhäusern im Booklet weist den lyrischen und philosophischen Weg der Platte. Und nicht ganz nebenbei erinnert schon das Design der CD daran, wie wunderbar diese stillen und lebhaften Momente waren, als Kind draußen herumzutoben, mit Freunden Verstecken zu spielen, bevor die Nacht hereinbricht. Diese Erinnerung ist prägend und verliert sich nicht. In den abgebildeten schrecklichen Hochhäusern war ein solches Spielen nicht möglich, und Millionen Menschen hausen in diesen grauenhaften Klötzern.
Satellite machen symphonischen, lyrischen, tief melancholischen Neoprog. Die polnische Szene hat sich mit dieser Musik einen Namen gemacht und Collage waren die besten. Jetzt haben Satellite das Erbe von Collage angetreten - und die Schuhe sind nicht zu groß. Von den 7 Songs ist nicht eines kürzer als 6 Minuten und doch gibt es nicht die im Neoprog weit verbreitete Inhaltsleere oder stereotypen Gleichklang. Die Songs sind, trotz des steten schweren symphonischen Sounds und der stilistischen Eingefahrenheit kein Stück langweilig oder öde, sondern stets sehr interessant und kurzweilig. Den Auftakt macht der über 16 Minuten lange Titelsong.
Logisch, das Keyboard ist hier das Melodie führende Instrument und der epische Klang harmonischer, großflächiger Keyboardfiguren wird vollständig eingebracht. Doch Satellite haben sich etliche nette Ideen einfallen lassen, mit denen sie die Songs aufpeppen. So gibt es neben dem komplexen Rhythmusteppich erfrischend moderne Rhythmen, die auf den ersten Eindruck etwas poppig klingen, dann aber schnell überzeugen. Sarhan hat so manches grandiose Gitarrensolo drauf, die das Konzept sprengen und eigenwillige, fabelhafte Harmonien einbringen. Doch die witzigsten Sachen sind die aufnahmetechnischen Brüche. Da scheint ein Song abrupt zu enden, mitten im schwelgerischsten Moment bricht alles unerwartet mittendrin ab - und nach einer klitzekleinen Pause geht es weiter. Dann scheint der CD-Player seinen Dienst zu versagen, denn die Musik leiert, echot, verebbt - und beginnt doch wieder.
Harry Rowohlt sagte mal, dass die Aufmerksamkeit von Kindern genauso lange sei, wie die von Erwachsenen, nämlich maximal zweieinhalb Minuten. Darum erschreckt er alle drei Minuten die Leute, damit sie aufwachen. Satellite machen das genauso, und so versackt man nicht im hymnischen Wohlklang, sondern findet wieder einen Ansatz, um - erneut versinken zu können.
Mit "Beautiful World" ist ein Song für die Kinder von Bieslan dabei, der, wie alle Songs einen starken, sehr lyrischen, ergreifenden Text hat. Ich würde, wenn ich das so sagen darf, wohl meinen, dass Satellite die Krönung der neoprogressiven Schöpfung ist. Meines Erachtens ist "Evening Games" das rundum am meisten hinreißende und "hörschöne" Album des Genres. Im Allgemeinen bin ich kein Verehrer des Neoprog, doch was diese grandiose polnische Band hier spielt, ist vom allerfeinsten und gehört in die Sammlung.

satelliteprog.com
VM



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