Psychedelic Gems 8 & 9 (Psychedelic Gems 2010)

CD8 der Psychedelic Gems Reihe enthält 16 Tracks, 10 davon am 01.03., die restlichen 6 am 08.03.1970 anlässlich des 7. Deutschen Beat-Festivals, dem Pop & Blues-Labor der Amateure in der Vestlandhalle Recklinghausen gespielt und aufgezeichnet. CD9 hat 10 Songs drauf, die ersten zwei am 28.11., die anderen 8 am 05.12.1971 zum 8. Deutschen Beat-Festival am gleichen Ort aufgezeichnet. Schon CD7 der Reihe enthielt Mitschnitte diverser Amateur-Bands vom 7. Beat-Festival. Der Bandwettbewerb, der von 1964 bis 1971 jährlich stattfand, wurde vom Stadtjugendamt Recklinghausen und dem dortigen Arbeitskreis Jugendförderung abgehalten. Die Veranstaltung zog nicht nur musikbegeisterte Jugendliche an, die "Beat-Musik" war ebenso Magnet für Schläger und Säufer, die gehörig Unruhe in Publikum und Veranstaltung brachten. Die Ansagen vor den Bands hielt überwiegend Stadtjugendpfleger Kurt Oster, seine bescheidene Möglichkeit, Englisch zu prononcieren, hat immer wieder für Lacher im Publikum gesorgt, unbeirrt und die Fäden fest im Griff haltend, blieb der gute Mann dem Festival erhalten.
Umfassende Informationen zum Festival sowie zu den einzelnen Bands sind in den beiden Booklets der separat veröffentlichten CDs nachzulesen. Hier sei nur auf die Musik an sich hingewiesen. Fast allen Bands ist der Amateurstatus sofort anzuhören. Manche spielen technisch grottenschlecht, da wirkt die Version von "Heartbreaker" (Led Zeppelin) von The Red Devils in ihrer abgrundtiefen Elendigkeit schon wieder gut. In der guten alten Zeit gab es ebenfalls Bands der schlimmsten Sorte. Aber egal, solche Bands haben dort gespielt und ihr Auftritt ist historisch interessant; Atmosphäre, Qualität und Stil der Bands sind bisweilen nostalgisch nachzuvollziehen. Sunday Smile aus Mühlheim an der Ruhr spielen klassisch inspirierten Rock. Was heute etwas antiquiert klingt, hat damals gewiss großen Charme gehabt. Die Galaxis Blues Band aus Bottrop hatte sich Ten Years After und harten Bluesrock auf die Flagge geschrieben. Technisch eine der besten Bands, deren Gitarrist heftige Soli zu spielen wusste, hatten einen Sänger, der mit seiner Stimme deutlich übers Ziel hinausschoss, was heute albern wirkt, hatte damals vielleicht was. Besonders gut gefällt mir, wie die Band ihre Songs kurz und schmerzlos beendet, das darf Schule machen. The Faces aus Dortmund standen zwischen Progressive und Blues Rock, im zweiten Track singt eine Chanteuse, die Inga Rumpf und Janis Joplin mochte und tatsächlich Stimme hat, wenn ihr Gesang, vor allem in ausgefallener Heftigkeit, auch lustig prononciertes Englisch hören lässt. Aber: alles gut. The Red Devils aus Marl-Hamm liebten harten Bluesrock und ließen sich nicht nehmen, diesen auf der Bühne zu, ähm, spielen. Sensationell schlecht, was die Kapelle ablieferte. "Whole Lotta Love" klingt, als käme es aus der mexikanischen Drogenhölle, gespielt von Kiffer-Mescalleros, die jeden erschießen, der zu lachen wagt und, wie in "From Dusk Till Dawn", schon mal schießwütig ihre scharfen Waffen kreisen lassen… Vom 08.03.1970 sind wiederum die Faces mit zwei Tracks dabei, die Dame singt wieder aufregend! The Giants im Anschluss spielten "I'm A Man", die Band hatte es damals schon 4 Jahre gegeben, so ist die handwerkliche Qualität gut, der Song rockt. Die letzten drei Tracks bestreitet noch einmal die Galaxis Blues Band, der Sänger ist mehr ins Off gemixt, die Gitarre hämmert an der Boxmembran. Cooles Repertoire, gut gespielt.
Psychedelic Gems 9 beginnt mit Ellis Island aus Hamm. Die frisch gestartete Band hatte einen eigenen Song progressiver Spielart am Wickel, der was hat, aber den Gesang nicht besonders überzeugend präsentiert. Der Klang ist etwas breiig, und doch kann das Stück sich hören lassen, vor allem wegen der Gitarrenarbeit. Waniyetula aus Frankfurt/Main spielten "Lindis Farne" - dieselbe Aufnahme ist bereits auf deren Livealbum "Iron City" enthalten, vom gleichen Label Garden of Delights, das auch Psychedelic Gems veröffentlicht. Schönes Stück, keine Frage, und gut gespielt. Die weiteren 8 Stücke sind am 05.12.1971 gespielt und aufgezeichnet worden. Prosper I aus Bottrop mussten auf Grund der Erkrankung ihres Schlagzeugers mit einem Ersatzmann spielen und dafür ein schlichteres Set einproben, dass sie relativ perfekt rüberbringen. Ihr progressiver Bluesrock geht gut ab und hat detailreiche und detaillierte Qualität. Teraohm aus Dortmund/Bochum im Anschluss liefern sich über 13 Minuten eine elektronisch-avantgardistische Psychedelic Schlacht mit gutem Schlagzeuger (inklusive Solo). Harmony Row aus Recklinghausen sezierten Gershwins "Summertime" über 12 Minuten mit - wieder - sehr gutem Schlagzeuger. Technisch ausgereift, sind auch der Gitarrist und der Bassist, alle drei augenscheinlich jazzbeleckt, hervorragend dabei gewesen, dem Klassiker fetten Bluesrock einzuhauchen. Rasant und sehr gut!
Waniyetula sind danach noch einmal mit zwei Stücken zu hören, die ebenfalls überzeugen. Die letzten knappen 10 Minuten gehören dem CD-Opener Ellis Island, die sich eher schlicht zwischen Blues und Rock austoben, nett, nicht viel mehr.
Der handwerklich-technische Unterschied des Festivals von 1970 und 1971 ist sehr deutlich. Während 1970 viel experimentiert wurde und Sound wie Handwerk überwiegend Schmerzen bereiten, ist die 1971er Auflage von wesentlich besseren Musikern und weitaus einnehmenderem Klang gekennzeichnet. Beide CDs sind aus historischen Gründen interessant, numero 9 ebenfalls aus rockmusikalischer Sicht.

VM




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