Prog The Castle

Live am 8. und 9. Mai im Königssaal des Heidelberger Schlosses


"Nauf muss I, schauf muss I - da Berg ruafd!" Leider ist so ein alter Sack im vorkomatösen Zustand wie ich aufgrund vieler Zipperlein nicht mehr so gut zu Fuß und in Folge dessen ging mir beim Aufstieg zum Heidelberger Schloss mehrfach die Puste aus, weshalb ich die erste Band Effloresce verpasst hatte, was ich sehr bedauerte, denn diese Band, so sagt man, soll auf der Bühne sehr sympathisch rüberkommen. Die Musik von Effloresce indes ist im präpotenten Prog Metal-Rahmen durchaus als originell und nicht zuletzt aufgrund der bisweilen sparsamen Instrumentierung als erfrischend unprätentiös zu bezeichnen und so der geneigte Hörer will, sprich das Potential der nicht etwa aus der fränkischen Schweiz, sondern vielmehr aus Nürnberg stammenden Musiker mit flötender und bellender Sängerin erkennt, bin ich voll der Hoffnung die Band bei künftigen Festivals, vielleicht sogar dem Night Of The Prog erleben zu dürfen. Ich wage aufgrund meiner ausgeprägten Prog-Nose die Prognose, dass das nächste Album der Band ein echter Knaller werden wird. Die nächste Band Crystal Palace, die im Vergleich mit Effloresce einige Kohlen weniger auf der Schippe hatte, legte aber trotz Verortung im "normalen" Prog Rock-Schublädchen gut los und konnte mich auf ganzer Linie überzeugen. Der Bassist und Sänger Yenz spielte innerhalb seiner Ansagen gekonnt mit gängigen Prog-Klischees und die restlichen Musiker taten es ihm im instrumentalen Bereich gleich. Die Jungs von Crystal Palace haben sich in der Prog-Gemeinde völlig zurecht einen beachtlichen Ruf erarbeitet, denn die Musik ist abwechslungsreich und wird nicht nur auf Konserve, sondern auch auf der Bühne souverän dargeboten. Mit Traumhaus folgte für mich der erste Höhepunkt des Festivals; Alexander Weyland ist ein Texter, Komponist, Keyboarder und vor allem Sänger mit außergewöhnlichen Fähigkeiten, der nach dem Motto "habe Mut dich deiner Muttersprache zu bedienen" deutsche Texte schreibt, mit denen sich eine Beschäftigung unbedingt lohnt. Seine Stimme erinnert etwas an einen in vollem Saft stehenden Peter Gabriel und ist eine Klasse für sich. Auch der Sessiontrommler Ray Gattner, der meines Erachtens der beste Schlagzeuger des Festivals war, ist besonders zu erwähnen, denn er spielt selbst komplexeste Rhythmen in bester Humppa-Attitüde, indem er sich seiner superben Technik sowie seines Uhrwerk-Timings (mit eingebautem Humanizer) bedient, die in einer hörens- und sehenswerten Lockerheit münden, die ihrerseits überhaupt nicht gekünstelt wie bei dem Hans Krampf in allen Kassen, Mike P., wirkt. Ray kann es eben und Herr Portnoy übt noch... Sollte Ray der Band erhalten bleiben, kann sich das Traumhaus zum besseren Traumtheater entwickeln und Scheffe Alex sich glücklich schätzen. Anvision aus Polen waren nicht meine Tasse Tee, denn ihre Kompositionen sind mir zu stereotyp und vordergründig angelegt. Die Tendenz nach Gleichklang ist im Kontext der Musik ein ambivalenter Begriff. Trotzdem kamen die Polen, die hoch motiviert waren und einen Mix aus Prog Rock und Prog Metal boten, bei vielen der wenigen Besucher im Königssaal gut an. Die letzte Band des Abends, RPWL, reichte leider nicht an ihre hervorragenden Darbietungen auf ihren Live-DVDs heran und enttäuschte mich etwas, denn ich hatte die Bayern in mehrfacher Hinsicht agiler eingeschätzt. Yogi-Bär Lang wirkte auf mich zumindest phasenweise nicht nur in seinen Ansagen etwas selbstgefällig, was ich überhaupt nicht mag, vor allem wenn man bedenkt, dass er kein Ausnahme-Sänger ist, dem ich eine solche Haltung vielleicht noch verzeihen würde. Gerade diese Band, die sich mit ihren Konzeptalben im Morast der Erkenntnis suhlt, sollte nicht wie eine Bande abgehalfterter Snobs rüberkommen, auch wenn der Bassist die Sympathie-Fahne hoch hielt. Was solls, der Masse, die sich von den artig-floydigen Klängen auf die rosa Wolke Nr. 7 hieven ließ, gefiels. (Ich war halt schon immer ein Sonderling in der Herde der schlafenden Schafe.) Wenn ich schon am Austeilen nach der Direktive "divide et impera" bin, kann ich mich nicht länger beherrschen und muss unbedingt noch loswerden, dass sich eine geschätzte Besucherzahl von einhundert bei den aufgelaufenen Unkosten in Höhe von ca. 25.000,- Euro als geradezu lächerlich gering erweist und ich als Organisator dieses Festivals nicht gewusst hätte, ob ich lachen oder weinen soll, doch dazu später mehr. Die meisten Proggefanten, die sich im Königssaal eingefunden hatten, glänzten einmal mehr durch ihren festen Standpunkt und so erwies sich auch dieses Prog-Ereignis als waschechte Ölgötzen-Party mit Zombi-Flair. Leute, könnt ihr die Musik nicht fühlen oder nicht tanzen oder was ist los - muss der Tanz-Bärg zum Progpheten kommen??? Lasst Euch doch einfach mal fallen und dann passiert der Rest ganz von selbst. Manchmal wähne ich mich im Prog-Kontext auf der falschen Bau(ch)stelle, aber es gibt auf einem höheren Niveau, nämlich auf der Bühne, auch löbliche Ausnahmen, wie ich gleich berichten werde. Der zweite Festival-Tag begann denn auch mit einer echten Offenbarung, denn die eröffnende Band Argos ließ das Gespenst von Canter-Bury auf das Auditorium los, anstatt es zu beerdigen. Diese Band, der auf ganzer Linie ein Kanter-Sieg gelang, war der Hammer und ich war im Freudentaumel. Ich hoffe, den Schloss-Progvögeln erschloss sich die Musik von Argos trotz des bewegenden Auftritts in vollem Maße. Unser Land wird durch Bands wie Traumhaus oder Argos in der Tat geadelt und somit ist der Königssaal ein wirklich passendes Ambiente für ein Prog-Festival solchen Kalibers. Auch die nächste Band Neverdream aus Italien war ein wahrer Glücksgriff, da sie ähnlich wie Effloresce ein sehr differenziertes Klangbild - von jazzig-weich bis metallisch-hart und mit Saxophon-Farbtupfern - zu erzeugen pflegt; allerdings bestand eine gewisse Tragik darin, dass es die ansonsten souveränen Tonmixer fast über die gesamte Spielzeit der Italiener nicht schafften einen halbwegs vernünftigen Sound zu generieren und Neverdream auf diese Weise regelrecht pürierten, was mich immens enttäuschte, denn die Band, die niemals träumt, ist ein Traum und damit eine Klasse für sich, was leider zu keinem Zeitpunkt ihres Auftritts rüberkam. Neverdream sind überaus talentiert und werden hoffentlich künftig die Gelegenheit haben, den deutschen Proggern zu beweisen, dass sie knackig-fruchtig klingen, wenn man dies zulässt. Besonders ihr aktuelles Doppelalbum sollte in keinem Tonkonservenschrank von Freunden der sophistisierten Musik fehlen. Bei Also Eden aus Engelland trat endlich der gute-Laune-Faktor vollumfänglich ins Rampenlicht; Neo Prog stellt im allgemeinen für mich eine subtile Form des Brechmittels dar, aber diese Briten schafften es, mir ein Dauergrinsen aufs Gesicht zu zaubern, was ich ihnen nie vergessen werde: mit der Gründung von Also Eden wurde der West Coast Prog geboren. Besonders positiv ist für mich die Ausstrahlung des Sängers Rich Harding, der David-Surkamp-Charme in der Stimme hat, aber nicht auf Säusel-Eule in der Art von Jon Anderson macht. Die darauf folgenden Franzosen Elora lieferten einen superben Auftritt ab, der von zwei gleichberechtigten und gut harmonierenden Sängern (Männlein und Weiblein) sowie einem Knecht Rupprecht am Schlagzeug, der die Knüppel aus dem Sack ziemlich hölzern tanzen ließ und das krasse Gegenteil von Ray Gattner war, dominiert wurde. Der Bassist erwies sich dagegen als Filigran-Tier und damit als echter King bis ins Mark. Insgesamt betrachtet war die Varianzbreite der Musik Eloras groß und ich bin schon gespannt auf die nächste CD dieser Band. Als krönender Abschluss waren Anubis angereist; von ganz unten nach ganz oben, das ist doch was. Die Australier hatten eine tolle Ausstrahlung und spielten Prog in schillernden Farben, der mit Sicherheit noch von sich reden machen wird - New IQ mit dem definitiv besseren Sänger. Prog The Castle erwies sich als glanzvolles Festival, das sich unbedingt etablieren sollte, was wahrlich nicht an den Veranstaltern Ella und Brian, zwei der größten Idealisten westlich des Franken-Äquathors - Würzburg ist an Heiden reich; rock 'n' roll, Charly!!! - und der nettesten Menschen, die ich in meinem bisherigen Leben kennenlernen durfte, liegt. Viele Prog-Fans monieren immer wieder, dass zu wenig Konzerte in ihrem Genre stattfinden und wenn es welche gigt, DANN GEHEN SIE NICHT HIN!!!!!! Schizoprog oder was??? Ella und Brian denken trotz des Schuldenbergs, der sich bei ihnen angehäuft hat, ernsthaft über eine Fortsetzung dieses Ohrenschmauses nach und deshalb sollte eine ganz besondere Art Rocker proghylaktisch Antiidiotika einwerfen, damit sie beim nächsten Prog The Castle-Festival in erklecklicher Anzahl dabei sein kann. Unterstützt, teilweise zu vergünstigten Preisen oder gar zum Nulltarif, wurden Ella und Brian von den Firmen Rock Shop (das Gute liegt eben nicht immer so nah...), fours Licht und Ton, Mediatrix, Serigrafie Fabian Lauer, Holiday Inn Express, eclipsed, Philipp Litterer Photography, Empire und [W]erbstätte. Danke an alle Unterstützer und vor allem DANKE, ELLA - DANKE, BRIAN!!!!!!!!!


Frank Bender




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