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Carl Ludwig Hübsch "Primordial Soup" (Red Toucan Records 2007)
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Die "primordiale Suppe" beschreibt für Astrophysiker den Zustand unseres Universums nur einen Sekundenbruchteil nach dem Urknall. Die Struktur ist explodiert, eine neue längst nicht gefunden, die Materie wird von der Wucht der Explosion in alle Weiten geschmettert, die physikalischen Gesetze sind außer Kraft gesetzt, der Ursprung alles Kommenden ist Chaos, reine, pure Energie.
Carl Ludwig Hübsch (Tuba, Komposition), Axel Dörner (Trompete), Frank Gratkowski (Klarinette, Saxophon) und Michael Griener (Schlagzeug, Perkussion) drücken ihre Vorstellung der primordialen Suppe nicht mit atonalem Free Jazz aus, wenn das Quartett partiell auch aus der aufgewühlten, intuitiv versunkenen, Ton suchenden Stille zu konkreten Strukturen findet und erfrischend aufregende, humorvolle Unisono-Passagen, die schon mal wie ein schnatternder Entenchor klingen, intoniert.
Die 12 Minuten des Eröffnungsstückes "Hades B" lassen Pustegeräusche zu, die entstehen, wenn Hübsch in die Tuba bläst und die Ventile offen sind. Auch stehen die Bläser in schwingenden, langen Lauten disharmonisch zusammen, lassen Töne an einem langen Faden fließen, ohne ihn zu unterbrechen. Dann wieder werden schwache Laute zu starken, werden laut und lauter und finden unisono mit Perkussion zu einem Endpunkt, von dem die nächste Schleife ausgeht. Die relativ freie Struktur wird für Kenner fast schon komödiantisch und witzig sein, weil die markant gesetzten Perkussions- und Bläserlaute stets die schnarrenden Bläseranstrengungen hintergehen und unterbrechen - die sich davon jedoch nicht stören lassen und in eigenwilliger Melodik weitere Möglichkeiten erforschen: Blubberblasentöne, schneidend scharfe hohe Töne, langgezogene Molltöne, ineinander greifende Pustegräusche und Perkussionsspielereien, die das Gebläse auffächern. Mal scheint das Stück vollständig zu versiegen, alle Anstrengungen laufen ins Leere, doch dann holen Pustegeräusche und erste Blastöne die Struktur wieder hoch, die fragmentarische Perkussion kommt hinzu, Brass und Pusten, Grummeln und Schlagen gehen neugierig und mutig weiter und bringen dieses erste Improvisation in ein gefährlich leises Ende, das zuletzt schon spannende Krimi-Struktur entwirft.
Und plötzlich, nach einem scheinbar harmlosen, harmonischen Beginn bricht das zweite Stück "Melos" ins Geschehen, unisono rennt die Band komplexe Stuktur hinan, die sich wieder zerfasert, fängt und wieder zerfasert. Und ein Echo des Art Ensemble Of Chicago weht herüber. Erstaunlich, auch in dieser frischen, witzig-forschen Tonalität Nostalgie zu finden. Gute Nostalgie.
In den sich anschließenden Stücken, 9 sind es insgesamt, darunter einige lange Tracks, deren Themen wie über Steinberge klettern, hoch und wieder hinab, hinan und hinunter, stets gefährlich und aufregend, wie ein Kinderspiel und doch ganz virtuose Arbeit, geht das Quartett erstaunlich strukturierte Wege. Sei es "Vier/Four", das ein einziger Rausch ist, Trompete und Tuba solieren nebeneinander, ergänzen sich grandios - und keine Angst, Free Jazz Atonalitäten und betäubend laute Schrägheiten finden nicht statt - und schaffen eine hinreißend grandiose Avant Jazz Atmosphäre. Gut, dass dieses Stück 10 Minuten läuft. Die besondere Note findet diese Komposition nicht nur in der technischen Finesse der Musiker, nicht nur in ihrem Zueinander- und Miteinanderspielen, auch in ihrer freien Improvisationslust, die in der Gemeinsamkeit zu besonderer Qualität findet. Ein begnadeter Vierer, der Tradition spielerisch zersägt und komic-haft virtuos und verspielt wieder zusammensetzt. Gerade in diesem Stück scheinen Klezmer und Dixieland zu Staub zermahlen und im Schweiß der Spieler neu gebacken.
Doch damit endet das Album nicht, als sei dies ein Startschuss, schießt "Flexus" ab. Die Struktur wird freier, witziger, frecher und komischer. In allem Ernst hat gerade diese Note unheimlich Humor. Welch virtuos abstrakte Finessen!
Schließlich "Terrier". Rhythmusbetonung und flüssiges Gebläse schaffen einen wundervollen Groove; ein Hinterhof-Song, der im Gerümpel tanzt und graue Wände bunt erscheinen lässt. Ein lustvoller Blues, darin die Klarinette ein bezauberndes Solo intoniert.
"Inspektion" greift mit startenden Pustelauten wieder in die abstrakte, suchende Struktur. Fast schon psychedelisch, was "Primordial Soup" erfinden. Daraus finden langgezogene Blaslaute, angezackt von Rhythmus und knarzenden Blastönen, fließend die Struktur, episch und wundersam melancholisch und einlullend in aller neugierig haltenden Überraschungsmöglichkeit. Stets kann ein unkonventioneller Einbruch erfolgen - und der erfolgt - bricht sich in rhythmischen Ausarbeitungen der Stimmung, die fabelhaft passen, als hätten die Jungs das schon immer im Blut gehabt und nur danach gesucht, das endlich auszudrücken. Sie dürfen stolz sein, es ist ihnen gelungen.
"Primordial Soup" wird vermutlich nur in der Jazz- und Freien Improvisationsszene wahrgenommen werden. Das Gros an Musik interessierten, potentiellen Fans ist mit Leichtem, Leerem beschäftigt, lässt sich von Begleitungsmusik abhalten und weichspülen und diese grandiose und unterhaltend witzige primordiale Suppe nicht wahrnehmen. Wer noch offen ist, sei gewarnt. Danach hat Begleitungsmusik keinen Geschmack mehr!
clhuebsch.de
VM
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