POiL - Brossaklitt (AltrOck Productions 2014)


Auf der diesjährigen Zappanale, Nr. 25, saß ich einige Male wie üblich bei Charly Heidenreichs Stand, der wie üblich den Konzerten auf großer und kleiner Bühne Konkurrenz machte, wenn ihn ein Auftritt nicht selbst besonders interessierte und er gebannt vor der Band stand oder saß, hörte im Hintergrund festivallaut eine (welche?) Zappa-Coverband munter musizieren (und gewiss, ab und an stand ich im Auditorium und hörte ein paar Minuten zu), während Charly seine DVD-Anlage wie üblich mit abgefahrenem Zeug bestückte und wie üblich hammerlaut abspielte. Es war nicht Koenjihyakkei, sondern ein anderes Projekt des Ruins-Trommlers Yoshida Tatsuya, das mich schließlich in die Flucht schlug. Die laute Band auf der Bühne beschallte das Festivalgelände schön umfangreich, so dass ein Drängeln in der Meute vor der Bühne nicht unabdingbar notwendig war. Gleichzeitig dazu von anderer Seite im infernalischen Yoshida-Tatsuya-Poltergeist-Lärm traktiert zu werden - zu gleicher Zeit - überforderte mich schicht und ich suchte das Weite. Wie das Charly, der mit stoischer Ruhe sein CD- und DVD-Angebot sortiert, wenn er nicht gerade, wie üblich, auf interessierte und/oder irritierte Festivalbesucher einredet, die auf ihn zugehen, aushält, ist mir ein Rätsel. Aber der Kerl ist ja auch erst 27 Jahre alt, ich mit meinen 48 Lenzen darf schon mal etwas aus der Kampfzone entweichen, um die Wahrnehmungsorgane im verwirrten Körper zu sortieren.
POiL sind genauso. Kein Festival, keine zwei Musikstücke auf einmal, nur dieser abgefahren extreme Lärm. In jedem Song für sich.
Verrückten Krach gibt es in der progressiven Rockmusik schon so einigen. POiL hauen, auf ihre ganz eigene und psychotisch grandiose Weise, in diese Kerbe. AltrOck meinen, stilistisch könne man das so fassen: orgiastischer Punk, Jazz, RIO, Prog, Zappa, Electronic und die entsprechende geistige Verfassung dazu.
Trifft zu. Antoine Armera (keys, voc), der die überwiegende Anzahl der Songs schrieb und von fundamental verrückter wie beneidenswert spindeldürrer Art ist, geistiger Brother in music Boris Cassone (b, g, voc) und ganz normaler (...) Mitarbeiter Guilherme Meier (dr, voc) sind das Trio eccellente, diesen krassen Thunderstorm der zuhöchst extravaganten Art so ungemein laut, gewaltig, hier extrem komplex, da extrem harsch, dort im radikalen Gesangsrausch zu zelebrieren.
Dazu brauchen sie mal 0.46 Minuten ("Introklitt"), dort 14:19 Minuten ("PiKiWA"). Longtrack-Schemata wie gern gesehen im Progressive Rock fassen hier nicht, weil es keine symphonischen Epen gibt, sondern vertrackte Avant Prog Exegesen, die zuerst einmal erdacht sein wollen und von der verrücktesten Dreimannband des Planeten entdeckt und aufgegriffen wurden, und trotzdem in drei Fällen über 10 Minuten gehen. Weil POiL eben so viel einfiel, dass die Songs auf Sekunde genauso lang wurden, wie sie geworden sind. (Jupp!)
Jazzrock, Zeuhl, Krach, Poltergeist, atonaler "Arsch von Meerschweinchen" (zum Frühstück), zumindest Avantcore im (Anti-)Math-Jazz-Geist ganz ohne Akkuratesse (schein zumindest so, soll zumindest so scheinen), vielmehr als Verrücktheitsvermehrer gedacht, verdrehen, stibitzen, zurren und ziehen die Rhythmusmoleküle, schneller, wilder, krasser, erhabener, erschreckender, belustigender all dies erscheinen zu lassen.
Die Band hat ein Faible für den Prog-Fotografen Lutz Diehl, wie mir scheint, nicht nur auf der Rückseite des Frontcovers. Sollte dies ein Bart-Zufall sein? Sind Juweliere heilig?
Vielleicht 57:49 Minuten lang.
Hier bin ich nicht geflohen.

poil.bandcamp.com
duretdoux.com
altrock.it
VM



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