Paatos "Kallocain" (InsideOut 2004)

Das beginnt so viel versprechend - mit einer herzhaft jauchzenden Geige, melancholisch und fröhlich in einem, übermütig und einsam. Und dieses "Gasoline" schließt sich nahtlos an. Welch ein Genuss, diesem dekadent lasziven Song zu lauschen mit seiner groß angelegten erotischen Komponente, die wie ein Schlachtermesser über die erregte Haut zieht. Willkommen zurück bei Petronella Nettermalm (voc, ce), ihrem Bruder Ricard Huxflux Nettermalm (dr), Stefan Dimle (b), Johan Wallén (key) und Peter Nylander (g). Paatos entzückten im letzten Sommer die zum Würzburger Artrock - Festival gestrebten Besucher. Gebannt starrten und lauschten die Komplex-Rocker diesen episch-elegischen Schwelgereien, die aus zarten, leisen, hoch angespannten und dynamischen Songintros zu Brachialmonstern mutierten, wo sie, wie der Mittelpunkt eines Twister, völlige Stille inmitten des gnadenlos begeisternden Krachs boten.
Paatos sind zurück und die Genialität der Liveband und ihres ersten Albums sind verflogen. Natürlich nicht. Doch an diesen gnadenlosen Auftakt, dem die Band im Gespräch das nächste Album im gleichen Geiste schon nachreichte, kann "Kallocain" nicht ganz heranreichen. Das liegt ganz einfach am Zentrum der Band, der Stimme von Petronella Nettermalm. Das zart gehauchte Stimmwunder schaltet das Gehirn aus und macht den Bauch denken. Die Band legt ihre Songs sorgfältig um den Gesang, baut um die Stimme Petronellas einen Kanon dichter Keyboardtöne, schwelgt im Genuss der Melodieschwere und vergisst jeglichen Rock. Ein zarter Hauch Erinnerung an die Vorband Landberk macht sich bemerkbar, dort mal eine Prise Wishbone Ash und so eine Ahnung von Björk, die mit ganz anderer Stimme, wohlgemerkt, aber ebenso intensiver Musik für Furore sorgt. Paatos musizieren typisch skandinavisch, ihre melancholische Dichte und Moll-lastige Epik ist eher düster und schwermütig, als fröhlich und forsch. Doch diese ganz eigene Art hat großen Reiz. Vor allem, wenn die Band aus dem Dunst der laut abgemischten Stimme zu sensibel-dramatischen Instrumental-Opern ansetzt. Eher leise denn laut, und natürlich voll des Mellotrons, von schwer zelebrierten Schlagzeug-Attacken protzig untermauert, wütet ein Melodiesturm voll Lust und Tücke, die Sinne in seine Unendlichkeit zu entziehen.
Zu schwülstig und fett? So klingt es auf "Kallocain". Schade, dass die kurzen Stücke, die im Konzert so brachiale wie knappe Lücken schlug, verloren gegangen sind. Die hätten sich hier gut ausgemacht. Die Rockband ist entlastet, nein, gefangen. Petronellas Gesang ist wie das Cover, besser noch, wie der Kodak-Ausriß auf der Rückseite. Teuflisch und himmlisch zugleich. Für Romantiker Pflichtprogramm!

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VM



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