Various Artists "Odyssey - The Greatest Tale" (Colossus/Musea Records 2005)

Das französische Label Musea Records hat bereits die Kalevala per Auftragsarbeit durch verschiedene Bands intonieren lassen. Angekündigt als weitere Auftragsarbeit ist "Treasure Island" nach der Robinsonade von Robert Louis Stevenson. Gewiss gibt es schon weitere Sagen im symphonischen Prog-Kleid. In der Kunst sind Auftragswerke ganz und gäbe, doch wird mit der progressiven Odyssee auch Kunst geschaffen?
Zunächst einmal: die optische Präsenz der 3-CD-Box ist ansprechend gestaltet worden, das dicke Booklet mit Einführung in die Story und comicartigen Zeichnungen birgt viel Information und beleuchtet die Arbeit der einzelnen Bands, die das Werk in aufeinander folgenden Kapiteln bearbeitet haben, eingehend. Wie die Auflagen von Musea waren, lässt sich somit gut ablesen, vermutlich gehörte auch dazu, dass kein Song unter 20 Minuten lang sein durfte, mancher Track ist deutlich länger, keiner kürzer. Die Bands haben den Auftrag gewiss dankbar angenommen, ist so eine Arbeit doch Promotion für ihre eigene Musik. Doch so ein Auftrag birgt auch Tücken, denen nicht jede Band vollständig glücklich begegnet ist.
Den Auftakt machen Nathan Mahl (Kanada) mit "Of Longing, Suitors, Deities and Quests…". Das instrumentale Stück ist 24.07 Minuten lang. Auf die Interpretation von Texten hat die Band sich nicht eingelassen, somit ist eine Schwachstelle ausgelassen worden (wie sich im Weiteren zeigen wird). Keine der involvierten Bands ist mit ihrem Beitrag wirklich wiederzuerkennen. Sicher sind viele Motive in dem unendlichen Werk typisch Nathan Mahl, aber längst nicht alle. Das offenbart, dass die Auftragsarbeit für die Band (wie für alle anderen auch) nicht leicht war. Trotz interessant gestalteter musikalischer, partiell erheblich komplexer Szenen sind gewisse Längen auszumachen, und gerade diese Parts klingen untypisch für Nathan Mahl. Überhaupt braucht man für das Anhören der 3 langen CDs (mit jeweils nur 3 Tracks!) viel Ausdauer, und wenn dann Passagen, die eher anstrengend oder unbedeutend sind, aus den Boxen kriechen, die als Überbrückung dienen, um diverse Charaktere und Geschehnisse auszudrücken, werden die Ohren lang und die Sinne stumpf. Dennoch ist der Beitrag von Nathan Mahl einer der interessantesten des Werkes.
Nexus aus Argentinien folgen mit "El Regreso (The Return)". Klassischer Symphonik Prog bringt den mit 27.50 Minuten zweitlängsten Track ins Rollen. Die Band singt spanisch. Das Stück hat eine spannende Magie, die auch im Gesang nicht verloren geht. Dennoch schafft die Band es nicht dauerhaft, die Energie die halbe Stunde über aufrechtzuerhalten. Viele komplexe und dramatische Momente werden fabelhaft inszeniert, zwischendrin bricht der Fluss schon mal weg. Dennoch ist auch dieser Track anschaulich und überzeugend.
Glass Hammer ("At The Court Of Alkinoos" 21.30) hat viele gute Momente, aber auch erhebliche Schwächen. So ist der Gesang von Susie Bogdanowicz über Strecken einfach öde, die Gesangslinien und dazu das langweilige Pianospiel darf man getrost überspulen, um endlich an die Musik zu kommen, die jedoch liedhafte Parts hat, die schrecklich öde und langatmig sind. Um mehr als die Hälfte gekürzt wäre wohl ein leidlich interessantes Stück daraus geworden.
Nach über 73 Minuten folgt die 80 Minuten lange zweite CD, die mit dem interessantesten Track des ganzen Werkes beginnt. XII Alfonso aus Frankreich spielen nicht unbedingt typischen Progressive Rock, sondern gestalten ambiente, klassische, elektronische und harte Rockpassagen äußerst geschickt. "From Ismarus to the Land of Death" ist 26.01 Minuten lang und bietet diverse interessante Passagen. Sehr abwechslungsreich und spannend komponiert und arrangiert, sind Stille, Melancholie, Bedrücktheit, Gefühlsaufwallungen und dramatische Auflösungen zu hören. Der Verzicht auf Lyrics wirkt sich positiv auf das Werk aus, Längen sind wenig zu spüren, die Spannungsweite der Motive haben stets wunderbare und bisweilen schön komplexe Qualität.
Die Schweden Simon Says spielen das 25.40 Minuten lange "Minds of Mortal Men (Meander Tales)" klassisch symphonisch. Die Gastsängerin Pnina Yavari Molin klingt wie ein Kind, das der Situation nicht gewachsen ist. Neben allen toll gelungenen Motiven sind, nicht nur in den Gesangsarrangements, etliche Schwächen deutlich. Ein wenig zu typisch, was Simon Says hier spielen, ihre eigenen Alben sind erheblich interessanter.
Im Anschluss tun C.A.P. aus Italien, als wären sie Banco. "Sulle Ali Del Sogno Odissea: Libri XIV, XV, XVI" klingt wie klassischer Italo Prog. Sehr verspielt und lyrisch mit langen Sprechpassagen (in Italienisch) und einem schrecklich süßlichen Gesang. Doch stets, wenn der Gesang aussetzt, wird es interessant. Doch auf die Dauer der 28.16 Minuten langweilt das Stück gewaltig, als zu altbacken und zäh erweist sich die Komposition, deren Beat stets zu slow geht und die Energie stockt.
Zwei Drittel der Rockoper sind absolviert, als Tempano aus Argentinien ihren Part absolvieren. Über 24.14 Minuten ergießt sich ein wunderbares Werk. Typisch Tempano ist die Stil-Vielfalt groß, das betrifft auch den Gesang, die Hörspiel-artigen Szenen und die diversen Einbrüche und emotionalen Höhepunkte des Stückes. Gewiss hatten auch Tempano zu tun, ihren Beitrag interessant zu halten, doch sind Längen hier am wenigsten neben der Komposition von XII Alfonso auszumachen. Die Band hat es sich nicht nehmen lassen, gar ihren witzig frischen Hang zum Jazzrock auszumalen, obschon gewiss Symphonic Rock überwiegt. Toller Song!
Die Mittelalter-Klassik-Progger Minimum Vital aus Frankreich gaben "Etranger en sa demeure" (22.22 Minuten) viele farbenfrohe und unterhaltsame Momente, die ganz im eigenen Klang der Band aufgehen. Der sehr gute Beitrag hat jedoch einige Schwächen, die ausnahmsweise nicht im grandiosen Gesang zu finden sind, sondern in den Instrumentalparts, die einfach zu lang sind. Wäre die Musea Vorgabe 15 Minuten gewesen, hätten Minimum Vital den besten Beitrag zur Odyssee beigetragen. Immer noch ist das langsame Stück lebendig und wirkungsvoll, aber eben auch von gewissen langatmigen Tücken begleitet. Dennoch, gute Arbeit.
Die brasilianischen Aether beginnen ihren Part mit gewöhnungsbedürftigen Sounds. Über die 21.32 Minuten kann die Energie und Lyrik des Stückes nicht aufrechterhalten werden und so breitet sich ganz zum Schluss der Produktion die unschönste Arbeit aus. Vor allem der Sound der Keyboards, die sphärisch zerfahrenen Gitarrenklänge und der fast schon öde zu nennende Gesang sowie die liedhaften Passagen nerven gewaltig. Schade, die Band hat auf ihren eigenen CDs bedeutendere Arbeit geschaffen.
Es ist wohl unmöglich, ein so umfangreiches Werk wie dieses in voller Gänze grandios zu gestalten. Unweigerlich, dass die Vorgabe, 20 Minuten lange Tracks beizutragen, Längen beinhaltet. Die Prog-Lust der langen Tracks wird hier zur Prog-Last, weniger wäre mehr gewesen. Ich will jedoch die Neugierde auf das Epos nicht einschläfern, die diversen positiven Beiträge machen die Längen wett - und die allein wären zwei CDs voll.

colossus.fi
musearecords.com
nathanmahl.com
nexusarea.com.ar
glasshammer.com
progressiverockbr.com/xiialfonso.com
gepr.net/simon.html
capgroup.it
tempano.com
minimumvital.fr.fm/
geocities.com/sunsetstrip/birdland/4646/
VM



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