Nucleus Torn "Nihil" (Eigenproduktion 2006)

Vor aller Musik auf der CD schon ist die kunstvolle und aus dem Rahmen fallende Verpackung des Debüts der Schweizer Band Nucleus Torn beeindruckend. Aufgeklappt ist die aus Pappe bestehende und mit einem düsteren Motiv bedruckte Hülle größer als DinA4, so dass ich das Motiv nicht komplett einscannen kann. Die Innenseite macht ähnlich weiter, auf der Mittelseite lediglich ein Klebepfalz, auf dem die CD sitzt, darum die Texte, die Namen der Musiker, auf den beiden Außenseiten nur verwischt deutliche, fragmentarisch dargestellte Waldmotive. Schlicht, elegant und ausdrucksstark. Das weckt Neugierde auf die Musik und stellt gleichzeitig hohe Ansprüche.
Die Band wird dem Anspruch nicht nur vollkommen gerecht, sie überrascht mit geradezu luxuriöser, dekadent-erhabener Musikschönheit, in der ein jeder Ton seine durchdachte, emotionale und technische Bedeutung hat. Die tiefe Stille und düstere Eleganz der Hülle findet sich im Inhalt der Musik wieder. Die Stücke sind energisch, dramatisch, intensiv, passen nicht wirklich in ein Schema, was sie umso interessanter macht und vor allem: ich werde nicht müde, diesen dunklen, straff arrangierten und doch mit scharfen Ecken und überraschenden Kanten versehenen Stücken zu lauschen.
Die skandinavische Progressive Rock Szene hat diverse Bands, die auf den folkloristisch-düsteren Eindruck setzt. Nucleus Torn zeigen, dass man nicht aus Skandinavien kommen muss, um der mystischen Geisterwelt des Bergwaldes ein eindrückliches Denkmal zu setzen.
Vielleicht kann man Nucleus Torn in gewissen Nuancen mit Anekdoten vergleichen, ohne dass die Schweizer den Schweden überhaupt nahe sind. Mehr noch sind die komplexe Düsternis und der epische und detailverliebt ausgearbeitete Folkanteil mit Änglagård vergleichbar, wieder, ohne dass Nucleus Torn auch nur ähnlich klingen. Es ist der schwere Ausdruck der Düsternis, die leichte und klare Folksprache, der weibliche, einsam und klagend wirkende Gesang (verhallt ganz ohne Instrumente oder mit melancholischer Begleitung, die wie Zither klingt, die Zither in den Händen der dunklen Rockmusik).
Sanfter Flötenklang fließt dahin, von verhalltem Piano begleitet, ein Cello kommt dazu; die Struktur hat fast klassisches Format, ist hell, lauter und licht, und im runden Moll doch nicht ohne Schwere und Körper. Die Rockband bricht selten nur aus, der Folkanteil ist hoch. Aber wenn die akustische Band die stille Schwere bis ans Ende des melancholischen Motivs geführt hat, bricht die elektrische Band aus. Harsche Gitarrenakkorde wie im Alternative Rock (im King Crimson Erbe), epische Struktur und weit angelegte Rhythmuskaskaden schlagen hoch an. In den Höhepunkten ist die dramatische Energie unglaublich und von großer Leidenschaft, dass der männliche Leadgesang im höchsten Moment fast ins metallische Grunzen umschlägt, das fließt im höchsten Moment in die tiefste Stille zurück, um daraus erneut aufzubrechen. Exzellent die Auslotung der Stimmungen, die Zurücknahme und das Vorpreschen der Instrumente, das leise Anspielen der Saiten, das sich Überschlagen des plötzlich einbrechenden harten elektrischen Spiels.
So etwas habe ich von einer heutigen Schweizer Band noch nicht gehört und die Progressive Rock Fans vom Saturn sind sich gewiss sicher, dass Nucleus Torn aus dem hohen skandinavischen Norden kommen, in dem Staatsgrenzen Striche in Atlanten sind und Fabelwesen eine ihrer letzten Bastionen haben.
"Nihil" ist das Debüt der Band. Eine 10" und zwei Demo-CDs hatte die Band vorher eingespielt. "Nihil" wird es auch auf Vinyl geben. Multiinstrumentalist Fredy Schnyder, der bereits für seine Mitarbeit im The New Grove Project bekannt ist (und dort vielleicht skandinavische Musikansichten geschnuppert hat?) ist der Kopf des Unternehmens. Weiter gehören zu Nucleus Torn Maria D'Alessandro (voc), Patrick Schaad (voc), Anouk Hiedl (fl), Rebecca Hagmann (ce), Christine Schüpbach-Käser (vi) und Christoph Steiner (dr, perc).
"Nihil" ist kein langes Werk, die 7 Songs bringen es auf gerade einmal 37 Minuten. Aber dafür gibt es hier kein Füllmaterial und es gilt, keine langweiligen Partien über sich ergehen lassen zu müssen. Die Musik ist aus einem Guss, einem Ganzen. Gewiss können einige der Songs auch für sich interessant sein, aber wie viel mehr sind sie es in dieser Zusammenstellung. 3 Jahre hat die Band an den Songs gefeilt, viel Arbeit investiert. Das Resultat ist beeindruckend, von düsterer Pracht und Eleganz. Und wir, das durch die Veröffentlichungsfluten watende, übersatte Publikum können hier anhalten und unsere Sinne frei spülen lassen. Wir brauchen nichts weiter zu tun, als mit offenen Sinnen zuzuhören und die wundervollen Geheimnisse der Musik aufzuspüren.

nucleustorn.ch
VM



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