Noah Preminger "Pivot: Live at the 55 Bar" (Eigenproduktion 07.10.2015)


Tonight: Noah Preminger! Der Tenorsaxophonist Noah Preminger, Jason Palmer (tr), Kim Cass (b) und Ian Froman (dr) gingen im Juni/Juli 2015 im The 55 Bar in NYC auf eine schweißtreibende Reise. Gerade einmal zwei Tracks sind davon auf dieser CD zu hören. Zwei alte Bluessongs von Bukka White, vielfach in Blues, Rock und Hardrock intoniert. Noah Premingers Quartett geht nicht im Ansatz darauf ein, startet mit enormer Spielfreude und rasanter Energie und lässt den "Parchman Farm Blues" zu vibrierendem, zeitlos modernen Jazz werden. Das Bass-Schlagzeug-Duo eröffnet. Die Bläser lassen das heftig pulsierende, äußerst vitale Duo seine unglaublich lebhaften, enorm würzigen Runden drehen. Erst als die Rhythmussuppe über zwei bis drei Minuten hochgekocht ist, arbeiten sich die Bläser unisono ein. Mehr oder weniger unisono. Von Beginn an solieren Tenorsaxophon und Trompete mit- und gegeneinander, lassen technisch erstklassige, hochmelodische Improvisationsfiguren blubbern und reißen alle Aufmerksamkeit an sich. Während die Rhythmusarbeiter pausenlos und unerschütterlich über sage und schreibe 31:49 Minuten das magmatische Pulsieren am Beben und Zucken halten, streichen und spritzen die Bläser elegisch und lasziv, in den Einzelsoli kerniger, schneller, bis höchst intensiv über den hochfedernden Rhythmusteppich. Preminger und Palmer lassen sich viel Zeit für ihre Soli, beide sind, wie ebenso die Rhythmiker, höchstbegabte, eindrucksvolle Solisten, die sich vor den Größen der Szene wie etwa John Coltrane, Sonny Rollins, Ornette Coleman oder dem Urvater Charlie Parker als Erben nicht zu verstecken brauchen.
Kaum ist die hochaufwendige Arbeit getan, und der "Parchman Farm Blues" ist ein wildes, hinreißendes Teil, hebt das Quartett zum "Fixin To Die Blues" über 32:34 Minuten an. Wieder startet die Rhythmuscrew. Kim Cass soliert zu Beginn. Ian Froman steigt dezent ein, unterstützt das Basssolo mit Beckenswing. Und da sind schon die Bläser. Der Blues klingt fast wie Straßenmusik, wie Volksmusik. Doch schnell wird viriler Jazz daraus. Die langen Noten des Hauptthemas zerfallen unter den Fingern der Bläser sehr schnell. Freie, radikale Intermezzi zerstückeln das epische Format. Besonders laut oder harsch wird das Quartett nie, die Barbesucher, nicht weit entfernt von den Akustikern sitzend, genießen die linde, angenehme Atmosphäre der 55 Bar. Das Quartett, lässig anzusehen, entspannt auf der Bühne stehend (bzw. sitzend - der Drummer) bleibt sichtbar gelassen und fällt augenscheinlich in Trance. Im Laufe der Soli verfrickelt das improvisative Spiel der Bläser, die sich erneut alle Zeit der Welt nehmen (und den anderen geben), das Basisthema vollständig.
Auf abstrakten Bassnoten hüpft und ackert das Saxophon sein elegisch radikales Solo, beeindruckend, wie ausdauernd und erschöpfend, erfüllend, befriedigend Noah Preminger (mit starkem Ansatz) in den Song steigt und das Solo hoch- und höher führt, bis Finger und Gesichtsmuskeln diese ultraschnelle Rasanz ausspielen. Preminger kann nur in Trance gefallen sein. Über eine Viertelstunde dauert sein Solo. Und es wird nicht einen Moment schwach oder fad. Ultraschnelle Skalenarbeit wechselt sich mit nachdenklichem Spiel ab, fährt die Energie steig auf hohem Level und arbeitet unerlässlich. Unsagbar genial!
Jason Palmer spielt sich mit seinem Solo im Anschluss erst ein. Doch nach den ersten zwei/drei Minuten ist die Trompete warm und sein melodisch abstraktes, intuitiv virtuoses und zuhöchst inspiriertes Solo übernimmt die kochende Jazzbrühe. Was für ein harter, pausenlos Swing-getriebener, zeitlos moderner Jazz!
Es ist nicht der Song, es sind die Musiker. Wie sie aus diesen uralten, düsteren Bluestracks diese spür- und fühlbare Vitalität ziehen, beweist ihre originäre Inspiration. Ihr Spiel klingt leicht, versiert, voll Spielfreude und Lust am ausdauernden Zelebrieren. Dabei nimmt sich das Quartett zurück, seht euch nur das Bild im Booklet an. Hier ist die Musik der Star und die Musiker sind die Archivare, die das Œuvre mit Lust und Leidenschaft am Leben erhalten.
Im pausenlosen Wust der Masse an Veröffentlichungen gibt es stetig, immer wieder, hinreißende Perlen. Jederzeit. So wie diese.
Absolute Empfehlung!

noahpreminger.com
VM



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