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NichelOdeon/InSonar "Ukiyoe (Mondi Fluttuanti)" (Snowdonia Dischi 2014)
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Claudio Milano, Kopf und Stimme des Unternehmens NichelOdeon/InSonar ist nicht nur vielseitig begabt, sondern wohl auch hyperaktiv. Gerade legte er unter dem Namen NichelOdeon ein außergewöhnliches, extravagantes Werk auf je zwei (also 4) CDs auf, "Bath Salts", samt "L'Enfant et le Ménure" unter dem Namen InSonar als eine vereinte Produktion. Da folgt schon das nächste Werk.
Im Booklet zur CD+DVD+Extra-DVD "Ukiyoe" ist nachzulesen, wer alles mit welcher Aufgabe und welchem Instrument an der Umsetzung beteiligt war. Die Auflistung der Musiker umfasst eine Bookletseite, in kleiner Schrift aufgeführt. Eine weitere Seite informiert über Inspiration und Komposition "Ukiyoe"s. Allein die Angabe, welche musikalischen Werke Inspiration lieferten, weist auf massiven kritischen Musikkonsum hin. Das alles will verarbeitet werden. Vom Genießer des Produktes "Ukiyoe". Vorher allerdings mussten Claudio Milano und Paolo Sinolfi, Komponisten, Sounddesigner und Stimme des Projektes alle Einflüsse bewältigen, beiseiteschieben und die Essenz in ihrem Stück Musik verarbeiten. Das ‚Interactive Orchestra' ist nicht nur personell sehr umfangreich besetzt. Da gibt es die Strings- und Winds-Abteilungen, die Stimmen, die ‚Electricity', die Multi-instrumentists sowie die Percussion. Zuletzt das Akkordeon. Die getrennte Auflistung der Musikabteilungen weist stilistische Interessen aus. Moderne Klassik, Kunstlied, nun, und so etwas wie Progressive Folk Avantgarde, Spoken Singing, Antijazz-Jazz - vieles mehr und kaum namentlich einzufangende musikalische Muster und Varianten sind zu hören.
Claudio Milanos Stimme reicht über, so ist es im Booklet zu lesen, sieben Oktaven. Den Beweis tritt der Mann ständig an. Seine Stimme ist das Hauptinstrument des Werkes, wenn hier und da auch starke instrumentale Arrangements zu hören sind, die nicht allein der Untermalung seiner Stimme dienen, sondern selbst im Mittelpunkt stehen.
6 Tracks sind auf der 46:04 Minuten langen CD zu hören. Die Texte stammen von Claudio Milano, aus der Feder von Dichtern wie Rainer Maria Rilke und Francesco Paolo Paladino oder der Bibel.
Insgesamt macht sich der Eindruck auf, dass "Ukiyoe" deutlich instrumentaler und komponierter ist als Vorgängerwerke. Der kompositorische Inhalt ist enorm stark und präsent. Reichlich schräg, von Disharmonien klassischer Komposition und atonaler Idee, wie sie aus dem Free Jazz in die avantgardistische progressive Rockmusik gewachsen ist, überflutet, zeigt sich in allen seinen Facetten ein instrumental und stimmlich reiches Werk, das nicht nur weit entfernt aller bekannten und gern begangenen Musikpfade radikale und frische, virtuose Kreativität präsentiert, sondern eine, in aller Extravaganz, lyrische Homogenität lebt, die nur außerordentlich ist.
Mit dem Genuss dieser Musik wird jeder Hörer neugieriger, aufmerksamer, intelligenter und geweckt dafür, über (musikalische) Grenzen hinauszudenken und zu fühlen, dass Alltäglichkeit nicht die Umgrenzung des Lebens, sondern nur Kleingeist ist.
Die Musik ist kaum zu beschreiben. Vielleicht soviel: wenn Henry Cow in den Mittsiebzigern atonalen Jazzrock erschufen, der weit übers Allgemeine reichte, so reicht NichelOdeon/InSonars Avantgarde aus Neuer Musik und Progressive (Rock) weit über die allgemeine musikalische Landschaft hinaus, die heute so überwiegend im extremeren Bereich in der extravaganten Rockmusik (inklusive Jazz und Folk) gepflegt wird. Schon vor allem textlichen Inhalt, der im Booklet in italienischer wie in englischer Sprache nach- oder mitzulesen ist - nur unbedingt empfehlenswert.
Doch das ist längst nicht alles. Da ist noch die (1.) DVD. Der Film zeigt 4 Personen, zwei Paare, die eine Schiffsruine an Land vor bracher Kulisse beobachten. Eine weibliche Stimme spricht in englischer Sprache. Später gibt es eine Balkonszene, ein Paar sitzt am Tisch, eines steht an der Balustrade, der Wind pfeift, spät erläutert eine männliche Stimme in englischer Sprache etwas. Die abstrakte Nichthandlung beider Szenen ohne Musik hat etwas Bleiernes, macht aber auch neugierig darauf, wie dies nur weitergehen möchte. Schließlich, nach über 10 Minuten, gibt es doch etwas Interaktion. Claudio Milano beginnt in seiner urtypischen Art zu singen. Darauf folgen Radiostimmen, die Personen agieren. Drei liegen verquer auf dem Balkon, die vierte wandelt darum und findet keinen Ruheplatz. Wenn dies eine erotische Anspielung sein soll, dann eine sehr abstrakte und unkonventionelle, immerhin wäre die Szene in der Denkart verständlich. Zuletzt stehen die vier Personen wieder in der Brachlandszene, staunen den düsteren Himmel an. Nach 25 Minuten Spielzeit ist die DVD fast abgelaufen. Es folgt der Abspann mit umfangreichen technischen Angaben.
Und: die 2. DVD. Beigelegt, nicht im Digipack mit Fach vorgesehen. "Tutti i Liquidi di Davide" ist darauf zu lesen. Der siebeneinhalb Minuten lange Videoclip ist in seiner visuellen Kunstsprache dem musikalischen Inhalt identisch. Claudio Milano ist total verrückt. Und das ist nur gut so. Die Liebesgeschichte in künstlerischer Pose weist indes ebenso daraufhin, dass Verrücktheit nur ein Teil des ganz normalen Lebens ist. Notwendig, neben Büro, Labor, Küche oder Baustelle Kunst als Arbeitsplatz zu verstehen.
Wenn beide DVDs nach meinem Verständnis Bonusmaterial sind, reizt das Programm der CD mich nur ungemein. Was Musik, ist grandios, ohne mit großer Pose aufzutreten. Es geht allein um den tonalen Raum, selbst Claudio Milanos Stimme, die in vielen Minuten vollkommen still ist, reiht sich in allem extravaganten Vermögen in den Klangrahmen ein. Und der ist, nun, hört es euch doch selbst an!
claudiomilano.it/ukiyoe
snowdonia.it
youtube.com/watch?v=fa00A3YEyRA
soundcloud.com/insonar
soundcloud.com/nichelodeon
VM
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