The New Grove Project "Brill" (Eigenproduktion 2005)

Die Geschichte des New Grove Projektes ist in den Booklets des 1994er Demos und 1996er CD "The Fool's Journey" nachzulesen. Vielen Musikern wird es in den musikreichen 70ern so gegangen sein, wie Ingemar Hjertqvist, dem Kopf des Projektes, der seit 1987 in der Schweiz lebt. Es kam keine "richtige" Band zustande, die passenden Musiker waren nicht aufzufinden. Seit 1973 macht Ingemar Hjertqvist Musik, doch es gab immer wieder zu viele Kompromisse und 1979 zog er einen Schlussstrich. Doch es gibt einen Unterschied zu den vielen Musikern, denen es so oder ähnlich ergangen sein wird - damit war Ingemars Idee nicht gestorben.
Bis 1983 komponierte Ingemar sehr viel. Auf eine Band konnte er gut verzichten, jedoch brauchte er einen Keyboarder. Den fand Ingemar in Per Sundbom. Per konnte nicht nur die Tasten bedienen und Texte schreiben, er besaß ein Exemplar des heiligen Instrumentes des Symphonic Rock: ein Mellotron.
Ende 1983 nahm das Duo das über 20-minütige "Circles" (jetzt als "Brill" auf der neuen CD) und im April 1984 "Fool's Journey" auf. Als die Songs gemixt waren, sandte Ingemar Hjertqvist Demotapes an Plattenfirmen raus, Antworten gab es keine. Damit war das Projekt erst einmal wieder gestrandet.
Ingemar zog in die Schweiz. Tatsächlich jedoch wurde das Projekt 1993 wieder aufgegriffen, Per Sundbom (mel, synth) und Ingemar Hjertqvist (g, b, voc) veröffentlichten "The Demo's" und wiesen im Booklet bereits darauf hin, dass The New Grove Project erstmals als vollständige Band existieren würde und der Plan angegangen werde, ein "wirkliches" Album einzuspielen.
Mal abgesehen davon, das "The Demo's" nicht als richtiges Album verstanden werden kann, zeigen sich doch bereits hier markante und ausdrucksstarke Kompositionen in plastischen Arrangements. Das Schlagzeug wurde programmiert und klingt synthetisch, doch die Songs - und allen voran das lange "Circles" - sind bereits sehr wohl anzuhören. Das Duo spielt virtuos und entwickelt kraftvolle Dynamik.
"Fool's Journey", das 1997 folgte, ist nicht unbedingt dynamischer und kraftvoller, jedoch hat die CD einen besseren Sound und mit dem echten Schlagzeug wirken die Songs lebendiger und aggressiver. Bis auf "The Ladder" sind sämtliche Tracks des Demos enthalten, aus "Fool's Overture" wurde "Where Am I Going From Here" und mit "Decision" ist ein neues Stück dabei. Per Sundbom konnte nur wenig beisteuern, aus beruflichen Gründen war er verhindert. Die Band bestand nun neben Ingemar aus Jode Leigh (dr, perc, Ex-England), Roine Stolt (g, The Flower Kings), Pär Lindh (synth, mel, p, org, Pär Lindh Project) und André Schornoz (b). "Fool's Journey" ist detailreicher Symphonic Prog, mit schwedischer Note, aber nicht unbedingt mit anderen Bands zu vergleichen. Das Schlagzeug klingt wie auf den beiden alten England Platten, Roines Gitarre und Pär Lindhs Keyboards haben viel Raum. Die Band arbeitet ausgeglichen und interpretiert die Songs feinfühlig und mit dem nötigen Druck, sicher hat der eine oder andere involvierte Musiker arrangementtechnisch einiges beigetragen. Pär Lindh hat die Aufnahmen produziert, ein wenig von Roine Stolt unterstützt. Insgesamt hapert es bei "Fool's Journey" im Gruppenklang, da wäre mehr möglich gewesen. Es fehlt an Räumlichkeit, an Größe, der Sound ist etwas platt und farblos. Die CD ist zwar gut anzuhören, die handwerkliche Qualität der Musiker überrascht und reißt in den Bann, so dass der Klang in Kauf genommen werden kann. Doch mit etwas mehr Geschick wäre der Gesamteindruck der CD deutlich zu verbessern gewesen.
Und so, wie im Booklet des Demos der Hinweis auf "Fool's Journey" zu finden ist, wird im Booklet der letztgenannten CD bereits "Brill" angekündigt. Jedoch hat es ganze 8 Jahre gedauert, bis die zweite Produktion des Projektes fertig gestellt wurde. Das liegt sicher an den beruflichen Engagements der involvierten Musiker; und nicht zuletzt daran, dass alle weit voneinander entfernt leben. Per Sundbom ist nur noch gedanklich dabei. Während der Einspielung der 7 Songs für "Brill" hat er die Band im Studio besucht, war ansonsten aber nicht weiter beteiligt.
Jode Leigh, der auf Grund einer Gehirnblutung derzeit kein Schlagzeug spielen kann, hat eine Komposition und einige Pianoparts beigesteuert. André Schornoz (b) und Pär Lindh (org, mel, p) sind nach wie vor dabei gewesen. Als Neuzugänge konnte Ingemar Hjertqvist den alten Samla Mamas Manna Schlagwerkkünstler Hasse Bruniusson, der mit Schlagzeug, Perkussion, D-Drums und Clicktrix immer etwas ausgefallen und krachig für grandiose Kicks sorgt, Fredy Schnyder (g, p, synth, rec), Mikael Syväjärvi (lyr) und John BoBo Bollenberg (lead voc) für die Weiterführung der Band gewinnen.
Per Sundbom ist auf der letzten Seite mit aufgeführt, jedoch lediglich aus Sympathie und weil er Teilkomponist von "Brill" ist. Gewidmet ist die CD dem bereits 1997 verstorbenen Herbert Herzog, der nach "Fool's Journey" damit liebäugelte, dem Projekt beizutreten und jetzt mit einer Komposition ("The Light Within") vertreten ist. Insgesamt zeigt die CD die Band gewachsen. Das musikalische Material ist ausdrucksstärker, die Einspielung kraft- und saftvoller, die instrumentalen Passagen haben mehr Druck und können schon mal schön heftig krachen. Da gibt es knifflige Harmonien und sensible Wechsel, die instrumental hervorragend gelöst wurden. Die Harmonien sind vielschichtiger, das Spiel lockerer als je zuvor. Die Songs strotzen vor Spielfreude, es macht ungemein Spaß, den Songs zu lauschen. Zwischen den anspruchsvollen und teils heftig komplexen Songs gibt es zur Abkühlung lyrische und leise Motive, die entspannen und Neugierde auf weiteres verflixt ausgeklügeltes Material machen. Trotz aller Disziplin und Sorgfalt geht die Dynamik nicht verloren, die Songs sind sehr lebendig und wie aus einem Guss. Jeder Song ist abwechslungsreich. Die Spannung steigt in den instrumentalen Passagen, wenn die Gitarre kraftvoll rockt und die Emotionen wie Hochwasser steigen. Das bricht in klassische, lyrische Momente ein, die von faszinierender Melancholie sind.
Jedoch hat die Produktion auch ein kleines Problem. Das beginnt bereits im Opener "Neon Light Submission". Die komponierte Gesangslinie ist äußerst kompliziert und John BoBo Bollenberg kommt in den schnellen und verdammt schweren Passagen leicht ins Trudeln. Die leichte gesangliche Schwäche kommt im abschließenden, über 24 Minuten langen "Brill" für ein kurzes Stück noch einmal wieder, ohne aber beide Songs zu beschädigen. Wenn "Neon Light Submission" in den schwierigen Gesangspassagen im Grenzbereich liegt, geht der Knackpunkt in "Brill" fast unter.
"Thoughts Sui Generis" hat eine mittelalterliche Note, ist sehr lyrisch und leise und lebt vom Klang der Mandoline und des Kontrabasses. Das fast 10-minütige "The Sounding Flood" ist die Komposition von Jode Leigh. Ein langes und sehr klares, nachdenkliches, lyrisches Pianomotiv führt in den Song. Jode spricht die Lyrics, später kommen Synthesizer und Schlagzeug dazu, bis das Stück über 5 Minuten auf einem kantigen Beat ausläuft. Fabelhaft!
"The Light Within" ist ein dramatischer Song. Dunkle Perkussion gewittert im Hintergrund, während die Orgel ein düsteres Motiv spielt, vom Rickenbacker Bass kraftvoll angestoßen. Und indem die Band mehr auf Tempo drückt, wird aus dem eben noch dunklen Sound ein flotter, melodisch vielschichtiger Rocker, der richtig gut abgeht. Die Bollenberg Komposition "Laughternoon Dream" hat eine großartige beatleske Note. Das leichtfüßige symphonische Stück fließt entspannt und berauschend dahin. Sehr anmutig! "Cool Fool Floating", von Ingemar Hjertqvist komponiert, hat wieder eine leichte Note. Der Song wird von der Mandoline, dem Rickenbacker Bass und dem lauten Schlagzeug fabelhaft transportiert. Ingemar beweist Stimme und Sinn für begnadete, flotte Gesangslinien.
Danach kommt "Brill". In den Jahren ist das Stück gewachsen, und ist längst nicht mehr rein instrumental. Der Song fällt in den Gesang. Plötzlich schießt der Track mit Ingemars Stimme ab. Und schon in der sich daran anschließenden leisen Frequenz, die von kraftvollem Rock aufgefangen wird, zeigt sich die starke Qualität dieses progressiven Monsters. "Brill" lebt von vielen und vielschichtigen Motiven, von dramatischen und elegischen Parts, kniffligen Wechseln und rhythmischen Brüchen, von dynamischer Wildheit und lasziver Nachlässigkeit. Eine fabelhafte Note, die es nicht zu erklären gilt. Da gibt es nur eins: anhören! Und immer wieder anhören.
Ingemar Hjertqvist und Per Sundbom werden gewiss drei Kreuze machen, dass diese ihre erste Komposition nach so vielen Jahren endlich würdig verewigt worden ist.
Und tatsächlich gibt es bereits Pläne für ein neues Album. Ingemar Hjertqvist meint, dass es bereits 3 Songs zwischen 10 und 15 Minuten Länge gibt, die nur darauf warten, im Studio eingespielt zu werden. Hoffen wir, dass die Band in der Zukunft mehr Glück hat und nicht in so lange Pausen gezwungen wird. An dem umfangreichen "Brill" kann man sich lange satt hören, doch die Neugierde bleibt: was sind denn das für neue Longtracks…?

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