Neo Symphonic Art Pop Special

Moonlight "Integrated in the system of guilt" (Metal Mind Productions, VÖ: 27.11.2006)
The Pineapple Thief "Little Man" (Cyclops Records, VÖ: 11/2006)
Blackfield "II" (Snapper Music, VÖ: 19.02.2007)

In einer Musik vor unserer Zeit… nein. Damals - auch nicht. Es war einmal… Verdammt!
Nun, es ist lange her…
Schlicht gesagt: es gab dermaleinst Grabeskämpfe. Die Rocker hier (von den anderen als "alte Naive" beschimpft) und die (doofen) Popper dort. Das Ende der 70er Jahre und darauf der Beginn eines schlimmen Jahrzehnts für die Rockmusik. Outfit, Lebenseinstellung, Kunstsinn, alles - alles widersprach sich. Die Rocker machten wilde, böse Musik, trugen lange Haare und schräge Klamotten. Ohne Rücksicht auf Kommerz, dessen Erfolg sie nicht vordergründig wollten, entwarfen sie komplexe, extravagante Musik. Die Popper liebäugelten mit Erotik, die sie mit zarten Klängen schmeichelhaft entwarfen, dabei nicht unbedingt Disharmonien scheuten, aber längst nicht bereit waren und auch nur ansatzweise vorhatten, sich in ewiggestrigen "Prog" oder "Psych" Schubladen oder was dergleichen auch immer zu versenken.
Beider Erben sehen keinen Sinn darin, die Seiten auch nur ansatzweise als Auseinandersetzung nachzuvollziehen. Als Mix aus den Gegensätzen vermengen sie Marillion und Depeche Mode - und erfinden in der neuzeitlichen Stille daraus etwas, was treffend wohl nur als "Silence is the new loud" zu definieren ist.
Wilde Rockmusik findet dabei nicht ansatzweise statt. Aber ein dezenter Schatten desselben schwingt stets in den kompliziert aufgebauten und sphärisch konstruierten Musikbauten des Nachwuchses. Da brüllt kein Sänger, jaulen keine Gitarren, werden keine ultrakomplexen Motive abgeschossen, kracht es nicht laut, explodiert keine Rockschwere.
Nein, da schweben Mellotron-schwangere Symphonic-Partikel in sphärisch-elegischer Empathie, trippeln zarte Rhythmen im Schwange der weiblichen und männlichen Stimmen lieblich dahin, von heiß geduschten und wohl gecremten Arrangements intelligent gesteuert. Hauchzartfeine Avantgarde im späten Geiste King Crimsons kratzt aus den Boxen. Zerbrechliche Disharmonien treffen auf fette Rhythmen, die nicht dancelastig dahinjubeln, sondern erstaunlich komplex vertrackte Tiefe, leise, aufbrechen.
Echtes Schlagzeug und echte Gitarren bauen die minimalistischen, aufgewühlten, erregten Themen, in denen schwere Energie aus blecherner Melancholie tropft. Die Haare sind halblang, seitengescheitelt; diszipliniert und politisch korrekt die tiefen Gedanken der Musiker. Und doch, da fehlt so viel. Das ist Musik für den lieblich klingenden, erhaben kritischen und wohl unterhaltenden Abend, ohne kulturell hinterfragenden Sinn und atonal platzende Bomben, die aus dem Wohnzimmersessel katapultieren. Schöne Musik, wertvoll, perfekt für den erschöpften Feierabend, aber trotz Wurzel daraus kein Stück progressiv.
Blackfield haben auf "II" 10 liedhafte Songs, fern jeden bösen Aufbegehrens, aus kleidsamer Intelligenz geschmiedet und - ganz "silence".
Nicht viel anders im Ansatz und doch nicht ein Stück vergleichbar Moonlight. Die stark von Paatos inspirierte polnische Band spielt mit dem Sound des Knackens von LPs, sphärisch-erhabener Liedhaftigkeit, die sich in vielen Songs weit über 10 Minuten in tiefster, erotischer Melancholie ausdehnen kann und einer eleganten Elegie, die in ihrem popverliebten Schönklang gut gepflegte Haare, ein teures Bad und extravagant musikalischen Mainstream-Sinn verraten.
The Pineapple Thief sind, wie ihre Mitstreiter, ganz und abgrundtief Melancholie. Das Gefühl der Zeit, der Klangausdruck der Moderne anspruchsvoller populärer Musik. Tief in der vitalen Rockmusik entdeckt, lyrisch aufgezogen, lieblich verspielt, zart umschmeichelnd. Rock-Freaks gucken da nur große Fragezeichen in die Luft und fragen sich, ob sie sich selbst überlebt haben.
Keine Frage, alle drei Bands sind geniale Musikerfinder. Alle drei, und keine weniger als die andere, wird mit ihrem intelligent lyrischen Sound in der nachwachsenden Szene viel Erfolg feiern, weil sie modern sind, die Stimme, den Klang der Zeit erkannt haben und das grandios definieren können. Doch sie sind nur Weitere in der langen Reihe der Musiker, die "Progressive Rock" Stück für Stück zu Grabe tragen.
Es gilt, sich zu entscheiden. Entweder, sich dem neuen Sound, ganz modern, hinzugeben. Oder aber das alte Zeug, etwa das Mahavishnu Orchestra oder X-Legged Sally, aufzulegen und sich einen Dreck um heute zu scheren. Denn morgen kommt bestimmt. Und vielleicht wird's ja wieder rock'n'rolliger…

moonlight.art.pl
thepineapplethief.com
blackfield.org
justforkicks.de
VM



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