Necronomicon "Haifische" (Eigenproduktion 2012)

Über das Debüt mit dem provokanten Titel "Tips zum Selbstmord", das 1972 veröffentlicht wurde und 2004 als offizielles CD-Reissue mit Bonustracks folgte, schrieb ich vor 9 Jahren: die moralistischen Texte würden mich stören. Necronomicon haben immer noch Meinung, indes ist die Aussage in den vier langen Tracks ihrer zweiten LP nicht moralinsauer, sondern, ebenso kritisch wie einst, heute bildhaft und, wenn auch in einfachen Bildern erzählt, ihrem ökologischen, ‚grünen' Selbstverständnis verpflichtet. Mit anderen Worten: die Texte sind schlicht gesagt: gut.
Indes gibt es nicht sehr viel Text, dafür sehr viel instrumentale Musik. Und die ist Krautrock pur. Da sind Hardrock mit bisweilen fast metallischer Härte ("Wiegenlied"), akustischer Folk (ebenso "Wiegenlied"), Bluesiges, Jazzrock, Symphonik Rock (in jedem Song) - schwer Gitarrenlastiges, fette Orgelwucht, komplexes Schlagzeugspiel, satter, melodischer Bass. Und die Songs sind gut komponiert. Sehr abwechslungsreich, hochmelodisch, knackig akzentuierter Rock, Liedhaftes, progressive Komplexe - und alles im Zeitgeist von, na, etwa 1973 und ebenso 2013.
Die LP kommt als Pendant zum Debüt 40 Jahre später als ebenso aufklappbares Kreuz, dieses Mal nicht mit weißem, sondern schwarzem Grund. Die Cover sind nummeriert (auf meinem steht: PR, es wird keine Nummer an die Presse verschwendet, die Liste ist also ‚echt'), dazu gibt es die vier Songs beigelegt auf CD. Sammler schöner Hüllen bekommen genauso ein schickes Teil wie tatsächliche Hörer. Wer sein gutes Stück ‚schonen' will, legt die CD ein, LP-Hörer schonen währenddessen die CD.
Die Texte prangern menschliches, politisches und soziales Fehlverhalten in einfachen, nachvollziehbaren Bildern deutlich und klar an, fordern Respekt, geben Denkanstöße. Ebenso wie ein recht ausführlicher Text zur Bandgeschichte sind sie auf dem 1,20 x 0,90 cm großen Cover abgedruckt.
Obschon die Jungs heute nicht mehr ganz die Jünglinge von einst sind, schunkeln sie doch keinen sanftmütigen Altherrenrock, sondern zelebrieren knackig heftigen Krautrock, der rhythmische Finessen, zahllose instrumentale Themen, Gitarren- und Orgelsoli, partiell unisono, präsentiert, ungemein und erstaunlich facettenreich ist, Eingängigkeit und Widerborstigkeit mixt, Kanten und Ecken hat und vor allem längst nicht leise oder lau ist. Stilistisch ist nichts, NICHTS enthalten, was der ganze Quatsch der stupiden Popmusik seit 1972 der Welt und ihren Bewohnern angetan hat. Es klingt wie 1972/73: satter Deutschrock, kaum zu glauben, in Wort & Ton.
Tips zum Selbstmord? Nö. Tipp zum Zuhören.

1. Wann kommt der Tag 10:53
2. Wiegenlied 11:18
3. Wenn die Menschen wie Tiere wären 13:33
4. Epilog 5:43

necronomicon-1972.de
VM




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