Naranja Mecánica "1993 - 1995" (Luna Negra 2001) TIPP!!!

"En Algo..." heißt das erste, ziemlich blöde Volksmusik-Stück. Schon senkt sich mein Verlangen. Doch ab Song 2 gibt es sehr komplexen und anspruchsvollen Progressive Rock typisch südamerikanischer Bauart. Unglaublich, mit welcher Intensität die La Habaneros Alejandro Del Valle, Manuel Clúa, Ernesto García, Alden Del Toro, Jorge L. Barrios und Igor Urquiza ihre Songs ausarbeiten. Verblüffend deshalb, weil die hochkomplexen Strukturen nicht so unbedingt sauber intoniert wurden und trotzdem wirken. Naranja Mecánica legen nicht viel Wert auf exakte Reproduktion ihrer Kompositionen, ihnen reicht es, wenn die Songs so einigermaßen klingen. Die Vocals sind nicht immer im Gleichklang, hier und da sind Verspieler dabei und ganz lässig dürfen einige ungenau/unsauber gespielte Töne einfach so stehen bleiben. Außerdem hat der Sound teils kräftige Macken, im ersten Stück wird es mittendrin einfach so hörbar leiser. Der Mann an den Reglern hatte entweder zuviel an seine Freundin gedacht oder einen Joint zuviel geraucht. Für europäische Ohren mit clean installiertem Ordnungssinn nicht so ohne weiteres zu ertragen. Doch die Band (die ihre Einflüsse mit ELP, King Crimson, VdGG und Jethro Tull benennt) erlangt gerade mit diesen kleinen, gewollt oder ungewollt schrägen Fehlern einen großen Sympathie-Bonus. Plötzlich habe ich das Gefühl, dass dies ein Ausdruck der Rockmusik ist, der in den letzten Jahrzehnten stark vernachlässigt wurde. Immer mehr akkurate und streng sortierte Noten haben Leben aus dem Genre gesaugt, abenteuerliche Wildheit und entschlossene Lust scheinen keinen Platz mehr darin zu haben. Naranja Mecánica erinnern so ganz nebenbei daran. Nicht genug damit, die Band hat auch einige gewollte "Fehler" drauf, was ihre Songs ordentlich schräg und gleichzeitig beschwingt und lustig macht. Fern von jeder skandinavischen Vorstellung von Rockmusik, manchmal schon zu leicht oder egal dargebracht, sprechen die Songs eine Sprache von Leben, Verliebtsein und emotionaler Fülle. Es muss angenehm sein, die Jungs zu kennen. Bestimmend ist die Flöte, die quasi ständig unterwegs ist. Doch auch die Keyboards und Gitarren halten sich nicht zurück und so kann es passieren, dass mitten in einer Improvisation jeder macht, was er will, irgendwie aber trotzdem Musik draus wird. Und wenn zum Schluss mit "...En Nada" wieder das Thema des Eröffnungsstückes erklingt, passt dies plötzlich - und die Platte hat mein Herz erobert. Das muss man mal gehört haben.

VM



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