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Mediabanda "Dinero y Terminación Nerviosa" (Sobierno De Chile 2009)
Code "A Tempo Real" [DVD] (Cielpanel/Potemkin/Code 2008)
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Warum nur, wie und woraus hat Musik diese Kraft, diese Wirkung, dass sie die Welt verändert, Sozialisierungen und Freundschaften schafft, wissenschaftliche und persönliche Neugierde schürt und weltweit in so unterschiedlicher Weise gespielt, zelebriert, gehört und geliebt wird!?!
Und so unterschiedlich Musik weltweit sein kann, so können bestimmte musikalische Stile auf der ganzen Erde verteilt sein, ihr Fieber, ihre Sucht ausgeschüttet und Musiker wie Musikhörer ein Leben lang infiziert und mehr als nur kulturell beeinflusst haben.
Mediabanda würde es nicht geben, wäre Fulano (Chiles Jazzrock-Antwort auf Frank Zappa) nicht aufgelöst worden, nachdem deren Keyboarder Jaime Vivanco sein Leben verlor.
Arlette Jequier, Fulanos lautmalerische Stimme, die Frau mit dem variabelsten, verspieltesten Gesangsorgan dieses derzeitigen Planeten und Christian Crisosto, Saxophonist, Klarinettist, Flötist, Bläser aller möglichen Blasinstrumente, gründeten Mediabanda und widmeten das Debütalbum "Entree La Inseguridad Y El Ego" ihrem Freund. Mittlerweile gibt es Fulano wieder, fast in originaler Besetzung, die Lust auf Musik war zu groß, und Mediabanda immer noch. Glücklicherweise zum Quadrat.
Die große Band, neben den beiden "Alten" Arlette Jequier und Cristian Crisosto sind weitere acht (junge) Musiker Mitglied in Mediabanda, legte dieses Jahr eine 2CD auf. Stilistisch hat sich zum Vorgänger nichts getan. Die Virtuosen zelebrieren exzellenten, ausgefallenen Jazzrock, der viel Jazz, diverse kleinere Jazz Folk Einsprengsel und ganz viel rasanten, ungemein lebhaften Jazzrock der instrumental komplexen und verspielten Art enthält.
Besonderheit: zum einen die dichten Bläserarrangements, sodann die melodisch abstrakten, einzigartigen Unisonopartien, und zuerst der Gesang Arlette Jequiers.
In nur fünf Songs gibt es Texte, "echten" Gesang. So zart und zierlich die Frau, so enorm mächtig ihre Stimme, so stark ihre Ausdruckskraft und melodisch schier endlose Vielfalt und improvisative Phantasie. Wenn Arlette in Fahrt kommt, und das kommt sie in quasi jedem Song, oftmals ausgiebig und intensiv, kann alles passieren: sie scattet, jubelt, kreischt, brüllt, summt, flüstert, geht die Tonleiter in beängstigender Geschwindigkeit hoch und runter, reizt alle Stimmungen von aufgeregt energisch bis tief melancholisch voll aus, geht mal unisono mit den Instrumenten, dann melodisch dagegen an durch alle Melodie-, Harmonie- und Rhythmusbrüche, Forcierungen, Phrasierungen, Dynamisierungen und Verschleppungen. Ihre Stimme ist eines der ausdrucksstärksten Instrumente der beiden CDs - und keines der involvierten Instrumente ist schwach. Manchmal hat sie zwei Spuren gesungen, die sich ergänzen und parallel laufen, dann singt sie mit sich selbst im Chor, als umspielten sich zwei verliebte Schmetterlinge oder sie singt mit Regina Crisosto, die ihrem Vorbild nicht wenig ausdrucksstark nacheifert und ihre Stimmbänder ebenfalls zu benutzen weiß. So viele Minuten, so viel Variation und Verblüffung.
Die Songs sind komplex und stets sehr abstrakt, verlegene Anbiederungen an ein gnädiges Publikum gibt es nicht. Ich würde empfehlen, mit dem letzten Song der zweiten CD zu starten. Die elektrische Gitarre eröffnet mit einem kreischenden Hardrock-Solo, in das die Band samt Arlette mit Wucht einsteigt, und mit enormer Energie und tüchtiger, ungebremster Aggressivität sofort süffigen Jazzrock daraus macht. Trocken ist anders. Was für ein Temperament!!!
Schön ausgefallen melodisch sind alle 14 Songs der beiden CDs, die zusammen etwa 95 Minuten voll machen. Ein Erlebnis, die Band mit ihrem ekstatischen Jazz-Bass-Drive, dem knackfrischen Rockschlagzeug, den jazzrockigen Fusion-Keyboards, den instrumentalen Abhängen und solistischen Höhenflügen, knallharten Arrangements und sensiblen Motiven zu hören und zu wissen, dass Jungs und Mädels auf der anderen Seite des Planeten sich solche zu Freudentränen rührenden Songs ausgedacht und eingespielt haben, die auch europäische Ohren genießen dürfen.
Wunderschönes Design übrigens, das sich durch das gesamte Booklet zieht!
Im Umfeld der Band, in der experimentellen Musikszene Chiles, haben sich unzählige Musiker, Bands, Künstler und Projekte gefunden, abseits eingefahrener und stilistisch abgeschliffener Pfade neue populäre Musik zu erfinden. Einen Eindruck davon gibt die DVD "Code - A Tempo Real" wieder. Die Dokumentation über Perkussion und Experimentelle Musik ist sehr leise und poetisch aufgebaut und hat trotz überwiegender Perkussionsklänge eine eher stille, sensible, intuitive Atmosphäre, die aus melancholischen Bildern lebt und die Musiker in sechs Musikstücken, die in der Dokumentation zu sehen und hören sind, in den Fokus stellt, sich dabei aber nicht aufdrängt und versteckte Blickwinkel findet, aus entfernten oder ungewöhnlichen Perspektiven aufnimmt und dabei eine Bildsprache komponiert, die der innigen Musik entspricht. Herkömmliche Stile sind keine guten Vergleichsparallelen, zwischen Folk, Rock, Ethno, Jazz, Neuer Musik und in allem Zwischendurch in ungewöhnlichen Klangfarben ist alles ungewiss und voll sensibler Überraschung. Gegliedert ist die DVD in mehrere Parts: komplette Songs, Dokumentation, Trailer, Konzert, eingebettet in langsame Kamerafahrten, witzige, ungewöhnliche Bilder in heller, lichter, grausonniger Bildsprache. Die im Studio aufgenommenen, die Dokumentation begleitenden gesprochenen Erklärungen und Einführungen sind englisch untertitelt.
Christian Hirth und Enrique Siqués stehen für die Musik, das inspirierte Kamerateam wurde von Francisco Willumsen geleitet. Ob die 105 Minuten lange DVD jedoch auch in Europa vertrieben wird oder hier nur über Onlinekanäle zu bekommen ist, weiß ich nicht.
mediabanda.cl
myspace.com/mediabanda
VM
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