Lobster Newberg "Vernal Equinox" (Eigenproduktion, VÖ: 16.05.2008)

Sind selbstbewusst, die vier Jungs von Lobster Newberg. "Unsere Musik ist zeitlos. Hör es dir jetzt an oder in 20 Jahren. Sie wird immer neu klingen... und immer faszinierend". Okay! So lange ihr nicht Atombomben baut!
Sean Briskey (g, back-voc), Victor Vieira-Branco (perc, dr), Colin Peterik (voc, org, key) und Will Gumbiner (b) erinnern mich in ihrer Extravaganz und ihrem Selbstbewusstsein an die stilistisch sonst komplett unterschiedlichen The Mars Volta.
Frechster und unglaublichster Song der ganzen CD ist das Freakmonster "Paradox". Der zweite Track erinnert mich partiell, vor allem im Gesang, sehr an alte Pink Floyd, denen er verteufelt nahe ist; instrumental ist der Song jedoch ein irrer Mix aus Rock'n'Roll, Hardrock und heavy Progressive Rock, fast schon wieder komisch, aber grandios, verblüffend und mitreißend, diese irren und steten thematischen Wechsel aus lustigem Rock'n'Roll, avantgardistischem Synthie-Solo und abstraktem Heavy Rock auf komplett verrückter und dabei hochkomplexer Ebene, dergleichen habe ich noch nicht vorher gehört.
Alle Songs haben eine schier endlose Fülle abgedrehter, schräger Ideen, die in aller Komplexität mordsmäßig rocken und rollen. Das Zusammenspiel von Gitarre und Schlagzeug hat einen einzigartigen Klang, einen stürmischen, nervösen Klang, der nicht zur Ruhe kommt und die Songs hochtourig voranbringt. Es gibt viel und ausufernd lange Instrumentalarbeit zu hören, nicht technisches Oberkantenniveau, aber sehr gut gespielt und die ideenreichen, wechselhaften Themen locker und vital intonierend. Hört ein radikaler Rocker auf, fängt der nächste an, ist ein Thema ausgereizt, folgt ein weiteres. Unisonopassagen aus Schweineorgel, Gitarre und Bass drücken auf die Tube, darunter steckt der brodelnde Schlagzeugsee. Es donnert und bollert so endlos und ausdauernd, dass die wenigen Ambientetappen zwischendrin wie winzige Wellness-Kuren wirken.
Lobster Newberg spielen frischen, sympathischen Krachprogsound, der immer wieder zu verblüffendem, künstlerisch wertvollen Klang findet, wo haben die das nur her?
Der fünfte Track: nach einführender zweiminütiger instrumentaler, wohlunterhaltender Berg- und Talfahrt beginnt plötzlich dieses luftige Popschlagerchen "Happy Together" - hier wird ein Süppchen gekocht, dessen Gewürze und Ingredienzien nicht in jeder Küche vereint werden (mittendrin wieder ein vitaler Instrumentalpart, dann wieder "Happy Together", geht tatsächlich!), ganz ohne Aua! Aber die Augen kneife ich doch zu... Schließlich haben sie vorher schon, im vierten Track "Tabasco-Sauce", kurz mal den mexikanischen Western raushängen lassen, inklusive Tex-Mex-Trompetensolo.
Die vier Jungs sind vorgebildet, aber unvoreingenommen, neugierig, Grenzen brechend, unterhaltend, die eigene Perspektive durchsetzend.
Die rhythmische Landschaft aus Holpersteinen wie im Gebirge, mit Sprüngen, die gewaltig und gewagt sind, aber umso mehr Laune machen. Hat ansteckende endlose Energie, als wollte die Band den Progressive Rock Marathon gewinnen, die längste CD mit den meisten Frickelorgien und Soli bis zum Fingerbluten präsentieren.
Fazit 1: "Vernal Equinox" ist lebenslustige Musik, die mit großer Spielfreude erarbeitet wurde, Lobster Newberg rocken Prog auf die naive Weise, wissen das und machen sich über sich selbst und uns lustig, da wirkt die Ballade "Woods" fast schon ironisch. Fazit 2: die CD ist nix Besonderes, aber etwas ganz Großartiges.
Fazit 3: so klang Prog noch nie zuvor. Dabei geht die Band keine neuen Wege, sondern verknüpft alte Idealklänge verschiedener Couleur, eigener Inspiration und Ideenvielfalt zu einem erfreuenden und fast schon erleuchtenden Sound.
Und ja, bitte, lasst dies die Zukunft des guten alten Progressive Rock sein.

myspace.com/lobsternewberg
justforkicks.de
VM



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