Little Tragedies "Cross" (Mals Ltd. 2009)

Die letzten beiden Alben der in Kursk, Russland, ansässigen Band Little Tragedies lösten sehr verschiedene Reaktionen aus. Viele Stimmen scholten die CDs und diejenigen gleich mit, die nicht entrüstet von der doch wohl augenscheinlich schlechten Qualität der Musik (vor allem der Keyboardsounds) sprachen. Das Leben, soviel war klar wie ein frischer Wasserquell, ging weiter, in China fielen Reis- und in Brasilien Kaffeesäcke um, Kinder wurden geboren, Achtlinge darunter, Menschen starben, Bekannte darunter. Nebenher passierten noch ein paar Dinge auf diesem Planeten und schwupps!, hatte Gennady Ilyin, Kopf, Keyboarder und Sänger des Unternehmens Little Tragedies, wieder Inspiration genug, neue Texte und Songs zu schreiben, die Band in den Proberaum zu scheuchen und 8 neue Songs einzuüben.
Langer Rede kurzer Sinn, der Proberaum ist längst verlassen, auch das Studio, in dem die Band anschließend ihre neuen Songs aufnahm, die Hausaufgaben sind gemacht. Intensiver als je zuvor haben die fünf Musiker sich in die Musik gestürzt.
Der Symphonic Rock ist ungemein lebhaft und dynamisch. Der dezente Einfluss Emerson, Lake & Palmers ist geblieben, zudem haben die Flower Kings starke Spuren hinterlassen. Die instrumentalen Parts der Songs sind länger, vielschichtiger, leidenschaftlicher, komplexer als auf den Alben zuvor. Die Band kann hart und zart, manche Partie kommt Prog Metal nahe, andere sind sehr sanft und zart. Tiefe Melancholie durchzieht die leicht dunklen Klänge, forsche Dynamik springt aus den forsch und druckvoll rasenden Stücken.
Opener und Titelsong "Cross" donnert durch seine achteinhalb Minuten wie ein ICE, ist im Flug vorbei. Irre gut und verdammt schnell - der Song rockt heavy! Und hat dennoch zurückhaltende Passagen, in denen das Saxophon unisono mit der Gitarre jazzige Intermezzi fährt.
Ilyins Keyboardfantasien sind prächtig und virtuos und scheinbar endlos. Es gibt immer neue Ecken und Kanten, an denen es weiter geht, hinter denen weitere Ideen stehen. Die Songs haben eine unglaubliche Themenvielfalt, nicht nur in den instrumentalen Parts sind Ilyins Synthesizer-Klänge allgegenwärtig, bohren sich in den Song und malen ihn mit bunten Schnörkeln aus. Die instrumentalen Passagen strotzen vor Bombast und Fanfaren. Jedoch, wie von manchem bei den Vorgängeralten stark bemängelt, kann ich hier keine nervenden Töne feststellen. Die Klänge sind ausgewogen. Ilyin, der als Solo-Elektroniker Musik veröffentlicht hat, versteckt auch in den Songs auf "Cross" kurze Strecken, die elektronische Sounds auf phantasiereiche Weise entfalten.
Gewiss sind nicht alle Ideen perfekt, wenn die Band das auch anders sieht. So ist der fünfte Track des Albums, "Portrait of a man", etwas flach und zu gemütlich, wenn die Keyboard-Saxophon-Einheit auch ansprechend ist. Die sich anschließende mittelalterliche Tanzmusik in "Tanets" ist hingegen gekonnt symphonisiert, sehr schön gemacht!
Ilyins Gesang hat diesen ganz bestimmten Ausdruck, den die russischen Liedermacher, und nur die russischen Liedermacher können. In der Qualität etwa mit den Franzosen Ange vergleichbar, deren Christian Decamps ähnlich stark betont singt (sang?).
Höhepunkt des Albums ist, neben dem furiosen Opener "Cross" der Song Nummer 7, "The Voice of Silence". Hier kommt in 17 Minuten alles zusammen, was die Band kann. Die grandiose Keyboardarbeit, die Unisonoklänge, der druckvolle Rhythmus, die kompakten Arrangements, das virtuose Spiel, die enorme Phantasie.
Wer meckern will, mag das tun. Ich jedoch sage, dass "Cross" ein umfänglich tolles Album ist, das keinen Vergleich im Symphonic Rock zu scheuen braucht und von äußerster Lebendigkeit geprägt ist.
Tipp!

littletragedies.com
mals.ru
VM



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