Little Tragedies "Chinese Songs Part One" (Mals Records 2007)

Was mag passiert sein, dass die Band sich diesen witzigen, beschwingt-gelassenen Namen gibt, der an heruntergefallene Vasen und zerbrochene Mellotrons erinnert?
Chef des russischen Symphonic Rock Unternehmens ist Keyboarder und Sänger Gennady Ilyin, der sämtliche Songs geschrieben hat. Seine Mitstreiter sind Yury Skripkin (dr), Oleg Babynin (b), Alexander Malakhovsky (g, Apple Pie) und Aleksey Bildin (sax).
Der Symphonic Rock Little Tragedies ist überaus sanft und lyrisch, in elegischen Parts stark elektronisch geprägt, ein sehr langes Stück hat Ilyin ganz ohne Band eingespielt: nur sein Gesang und Elektronik. So beginnt auch das erste Stück. Doch sobald die komplette Band ins Geschehen rückt, wird es lebendig. Druckvolle, komplexe und emotional aufgedrehte Arrangements harmonischer Kompositionen stürmen aus den Boxen, endlich freigelassen, endlich die Möglichkeit habend, sich auszutoben, sich auszudrücken. Das sind die besten Momente der CD und es gibt ein paar davon. Little Tragedies spielen zwar überwiegend lyrische Musik, können aber auch ins komplexe Fach wechseln, dann stets mit diesem freudetrunkenen Übermutsanfall, der an ein junges Pferd erinnert, das das erste Mal auf der Weide die Glieder herumspringt.
Sehr anmutig auch die Kompositionen, überraschend, flott, dynamisch, virtuos. Niemals wird es 'schräg', selbst in den eher heavy geprägten Parts, die leidenschaftlich mitreißen. Der Gesang Ilyins ist stets sehr sanft und melodisch, die Gesangslinien passen, glaube ich zuerst, eher einem Liedermacher, vermutlich ist hier die russische Prägung sehr stark, die Liedermacherszene ist seit 50 Jahren in Russland, auch als Anklage der Unterdrückung, weit verbreitet.
Mit deutschen Liedermachern haben diese jedoch nur die akustische Gitarre gemein, die Gesangsmelodien sind dort viel aufwendiger. Da spielt die folkloristische Historie ein, aus der das Liedermachertum in Russland erwachsen ist. Wer derlei Gesang nicht kennt, wird erst einmal erstaunt sein. Ein etwaiger Vergleich kann mit dem charismatischen Gesang der Franzosen Ange gezogen werden. Ilyins Tastenspielereien im Opener sowie dem 13-minütigen "Wanderer" sind lyrisch, einschmeichelnd harmonisch und sanft. Wäre der Gesang nicht, der nicht viel zu tun hat, würde das als weiches Bett schon ausreichen.
Ilyin singt in russischer Sprache. Seine Art, die Texte zu singen, macht das Hören erstaunlich angenehm, die Sprache wirkt nicht störend, nicht hart oder aggressiv. Die Texte sind im Booklet in englischer Sprache abgedruckt, die Stories der Songs handeln von chinesischen Liedern, die in der weiten Zeitspanne von 712 bis 1210 entstanden sind, in der melodischen Struktur der Songs findet sich jedoch kaum eine chinesische Note.
Der vitalste Part der 7 Songs (und 51 Minuten) ist das 1 0-minütige "There Came an Unexpected Guest", eine Schule in Sachen progressiv-symphonischer Komplexität! Unglaublich lebendig und stürmisch, einfach grandios.
"Chinese Songs Part One" ist ein eindrucksvolles, überraschendes Album. Die sphärische Lyrik der sanften Stücke ist ebenso intensiv und dicht wie die feurige Leidenschaft der dynamischen Songs. Die CD wird gewiss nicht nur in der Neoprog-Abteilung der Gläubigen ankommen.

mals.ru
VM



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