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Nicolas Lens "Flamma Flamma (The Fire Requiem)" (Sony 1994)
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"Für mich ist das einzige Faktum, welches das Leben erträglich macht, das Wissen um seine Endlichkeit, denn nur durch das Akzeptieren dieser Erkenntnis kann das Leben bedingungslos und frei genossen werden. Es brauchte viele lange Reisen, sowohl physisch als auch mental, um zu dieser offensichtlichen Einsicht zu gelangen." Mit dieser Aussage eröffnet Nicolas Lens die Einführung zu seinem Requiem - einer musikalischen Gattung, die in den letzten Jahrzehnten eine beachtliche Renaissance erfährt. Werke neueren Datums müssen sich allerdings an den "Klassikern" dieses Genres von Mozart und Berlioz messen lassen.
"Flamma Flamma" hält einem Vergleich in jeglicher Hinsicht stand. Schon die Ingredienzien dieses Meisterwerks dürften jedem auf Horizonterweiterung bedachten Musikhörer die Freudentränen aufs Antlitz zaubern. Neben fünf "üblichen" Stimmlagen (Sopran, Mezzosopran, Tenor, Bariton und Bass) setzt Lens einen Countertenor ein, der Fans von Jon Anderson ein Aha-Erlebnis bescheren dürfte (und den singenden Ja-Sager ganz schön alt aussehen lässt).
Des Weiteren kommen drei Sängerinnen des mittlerweile international bekannten Frauenchors "Le Mystère des Voix Bulgares" zum Einsatz, die durch ihr ganz spezielles Timbre das vokale Spektrum nochmals erweitern. Als instrumentales Leckerli fungiert eine japanische Kotospielerin, die den ohnehin schon interessanten Klangkörper (diverse Flöten, Oboe, Englischhorn, Trompete, Geigen, Keyboards und Percussion) um eine samtene Note bereichert. Natürlich soll auch der sehr wirkungsvoll agierende Chor Erwähnung finden.
Was Graeme Koehne im Bereich der säkularen Musik höchst eindrucksvoll gelingt, nämlich der Verschmelzung völlig gegensätzlich erscheinender Dinge, schafft auch Lens gleich auf mehreren Ebenen. Zum einen, indem er elektronische mit archaischen Instrumenten kombiniert, zum anderen durch Darstellung des "primitiven" Kulturen innewohnenden unverkrampften Umgangs mit dem Tod im Unterschied zu dessen unserer hoch technisierten Zivilisation eigenen Tabuisierung, einhergehend mit der zunehmend geringer werdenden religio an das Göttliche. (Da sich der westliche "moderne" Mensch durch seine fortschrittliche Einstellung bereits in einem Stadium fortgeschrittener Sinnentleerung befindet, das er durch einen Computer-/Spaß-Kult zu kompensieren sucht, droht er seinen "Status" als Homo religiosus zu verlieren.)
So verkörpern die sechs Solisten Götter, die sich in teils allegorischer Weise über die menschliche Gefühlswelt in Bezug auf den Tod austauschen und deren Gedanken vom Chor bisweilen in fast schon mantrisch anmutender Art wiederholt werden.
Die Texte sind, wie bereits im Titel zum Ausdruck kommt, in lateinischer Sprache verfasst. Dazu meint der Librettist Herman Portocarero, dem Lateinischen hafte einerseits eine mystische Aura an, andererseits sei es eine zwar tote, nichts desto weniger aber universelle Sprache.
Die Musik fließt sujetbedingt elegisch dahin und deckt dabei ein Spektrum ab, das zwischen Melancholie und verhaltener Euphorie changiert, doch stets haftet ihr ein Nimbus der Erhabenheit an. Was kann man mehr von einem Requiem erwarten als ein musikalisches memento mori, verbunden mit der Botschaft, dass zwar das ewige Feuer den Körper zu Asche verbrennt, der Seele aber gleichzeitig durch sein Licht den Weg weist… (Ob Heraklit bei dieser Vorstellung Pate stand?)
Frank Bender
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