Kristen "The Secret Map" (gusstaff records 06.03.2015)


Kristen gilt als eine der besten 'abgefahrenen' Bands in Polen. Gegründet in den späten 1990ern legten Kristen bereits sieben Alben vor. Stilistisch mögen es Mateusz Rychlicki (dr), Lukasz Rychlicki (g), Michal Biela (Bariton g, voc) und Gast Maciej Baczyk (EMS synth, p, in vier der fünf Tracks) weitgefasst. Ursprünglich von Post und Math Rock der Chicagoer Szene inspiriert und beeinflusst, entwickelte die Band sich zum Avant Rock mit FreeJazz - Tendenzen und Electronic.
Album Nummer acht baut die avantgardistischen Tendenzen zum ‚frenetischen' Kraut/Noise Rock aus, und setzt gleichermaßen auf melancholische Balladen - die ich Avant Postrock nennen würde. Zusammen bringen es die 5 (fast rein) instrumentalen Tracks (Song 3 und 5 haben Gesang) auf 35:47 Minuten Spielzeit, was weder zu lang noch zu kurz ist und für den anarchischen Sturm aus Empathie und Wut gerade ausreicht. Track 1 kann kaum Rock genannt werden, zwar baut sich ein wüstes Klanggemälde auf, das indes elektrische Gitarre, Bass und Electronics schräge Entwicklungen lässt. Sehr anschaulich und homogen, und trotz der radikalen Amelodik in seiner melancholischen Düsternis fast eingängig, filmmusikartig und ambient wirkt.
Track 2 stolpert schlapp vor sich hin - guter Ausdruck entspannt tiefer Melancholie. Sehr lässig und fast humorvoll, dabei konzentriert schräg und relativ schlicht. Sehr schöner Ausdruck Postjazzrockiger Doom-Ambient-Ballade (in der Tat). Sehr clever, wie Kristen eigenartige Strukturen basteln. "Music Will Soothe Me" als dritter Track, der einzige ohne Synthesizer, ist ein stoischer Avantpopsong, dessen Komposition in anderem Kleid gewiss im Allgemeinradio funktionieren könnte, wenn Kristen nicht mit Leib und Seele im Avant/Kraut/Rock zu Hause wären. Gutes Stück Musik, dessen noisige Inlays zwischen dem Postpunkpop-Gesangsarrangements schick Schräglage haben, ohne sich um abgefahrene Strukturen zu kümmern. Kristen lassen ihre Idee einfach laufen und folgen dem Thema sehr entspannt.
Auch der Titeltrack an vorletzter Position möchte gern ein Popsong sein. Hier funktioniert die süße Idylle besser als im vorhergehenden Stück. Pianorhythmusimpulse treiben das Motiv voran, der Sänger jubelt nachdenklich in der eingängigen Melodie, Schlagzeug und Bass schleppen sich mit. Bis der Refrain die fast einsetzenden wüsten Ideen verhindert und den Song daran erinnert, bitte doch freundlich zu sein. Die Jungs machen das sehr gut, der Song kommt an, hat sehr angenehmes entspanntes Flair, verwandelt sich schließlich, als die ganze Band zusammengefunden hat, zum Alternative Poprocksong, dessen Noise-Elemente im Off fast wie beatleske Tapete wirken. Sehr stark! Eindeutiges Hitpotential, für Leute, die tiefer in Musik hören als die Weghörer der Berieselungsgeldkunst.
Die letzten 11:01 Minuten versprechen "Endless Happiness". Kristen wissen, wie das geht. Schön schräger Stoff, dessen monoton wüste Landschaft eindrucksvoll zwischen simpel und clever changiert und Avantfreaks mit psychedelischer Krautoption ins Gen treffen. Könnte durchaus länger sein. Die polnische Band beweist ein erstklassiges Faible für lässige, lang ausgedehnte Strukturen, in denen zwar keine extravagant komponierten Radikalitäten ausgebaut werden, das dicht wuselnde Arrangement indes mit Kraft und Saft zu überzeugen weiß. Fabelhaft! Mit dem Sound der elektrischen Gitarre wird schließlich gar dieses mahlende Doors-Feeling aufgebaut, das etwa "The End" in seine Untiefen verführte.
Bleibt bis zuletzt spannend.

1. Upward beyond the onstreaming, it mooned 09:23
2. 2 A.M. 05:00
3. Music will soothe me 04:16
4. The secret map 06:00
5. Endless happiness 11:01

gusstaff.com
VM



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