Kaze "Uminari" (Libra Records, 05.05.2015)


"Uminari" ist das dritte Album des japanisch-französischen Unternehmens Kaze. "Rafale" (2012) und "Tornado" (2013) sind die Vorgänger. Das Quartett Christian Pruvost (tr), Natsuki Tamura (tr), Satoko Fuji (p) und Peter Orins (dr) steht für impulsiven, intuitiven und radikalen Avantgarde Jazz.
5 Kompositionen sind auf "Uminari" zu hören, die zusammen eine Spielzeit von 69:06 Minuten füllen. Opener "Tioky Astimo" ist mit knapp 10 Minuten der kürzeste, "Inspiration" mit über 20 Minuten der längste Track. Jedes Thema wird ausführlich erzählt. "Tioky Astimo" ‚verbraucht' fast die Hälfte seiner zeitlichen Dauer als Intro. Das Quartett powert und donnert sich ein, lässt das eröffnende Thema in die eine Richtung weit schwingen, um an anderer Stelle krasse Dynamik explodieren zu lassen. Zwei Minuten, bevor der Track ausgespielt ist, haben alle Beteiligten ihre Schwingungen und Emotionen eingeholt, um zu einem plötzlich recht historischen und verblüffend eingängigen Jazzmotiv zu finden, wie es im Modern Jazz der 1950er von einem schwarzen Ensemble in den USA möglich gewesen wäre.
Doch dies ist nur ein thematischer Entwurf. Die Tendenz weist deutlich ins Radikale, Abstrakte. So können relativ leicht nachvollziehbare kompositorische Themen über ambiente Laszivität in extraradikal berstende Atonal-Schübe verfallen und hochenergetische Explosionen und Eruptionen verursachen. Das Geschehen ist von hoher Intuition, gepaart mit starkem Bezug zu Improvisation mit solistischen Eckpunkten. Wo soeben noch sphärische Klänge schwebten, deren instrumentale Ursache kaum ergründet werden können, und wo schon unterschwelliger Drang und enorm starker Druck zu spüren sind, die zu der alsbaldigen thematischen Explosion führen, kann doch ebenso die Leichtigkeit empfunden werden, mit der das Quartett diesen dynamischen Prozess so lebhaft und entspannt zu transportieren weiß. Das Gleichgewicht aus lyrischer Tiefe und expressiver Rasanz, krasser Ambienz und schwebend berstender Lautstärke ist ebenso kompromisslos unbremsbar wie technisch durch das Quartett beherrschbar. Der Tanz auf dem Vulkan hat enorme Qualitäten und beindruckt durch thematische Freiheit, kraftvolle Improvisation und handwerklich Finesse, wie durch Witz, Energie und Spielfreude.
Die höchste Erfüllung war den Musikern wohl die Einspielung des humoristischen "Inspiration", das mit so beeindruckend leichter Note zwischen comicartiger Verspieltheit über krasse Atonalität zu verspieltem bis radikalem Avantgarde Jazz führt. Hörspiel-Charakter der ausgefallenen Art!
Ganz bestimmt arbeitete das Quartett in einem soundmäßig perfekten, aber nüchternen Raum und musste also aus sich selbst heraus und der gemeinsamen Zusammenarbeit diese vitale Sprache finden.
Die so gelungen nur unbedingt zu empfehlen ist. Leckerbissen für Avant-Experten!

satokofujii.com/eindex
peterorins.com
VM



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