Kaipa "The Decca Years 1975-1978" (InsideOut Music, VÖ: 18.11.2005)

Ganz was Feines ist die endlich veröffentlichte, bereits seit einiger Zeit angekündigte 5-CD-Box der klassischen Kaipa. Enthalten sind die drei symphonischen Alben "Kaipa" (1975), "Inget Nytt Under Solen" (1977), jeweils samt Bonustracks, das 1978er "Solo" sowie die beiden CDs "Kaipa Live" (aufgenommen zwischen 1976 und 1978 in Schweden und Dänemark) und "1974 Unedited Master Demo Recording" mit Aufnahmen aus der Pre-LP-Phase der Band, die im Sommer 1974 mitgeschnitten wurden.
Die drei Originalalben von Kaipa waren bereits Anfang der 90er auf Musea Records veröffentlicht worden, auch mit Bonustracks (gar einem auf "Solo", der in dieser Box nicht enthalten ist). Jedoch ist die Soundqualität der Musea CDs mit denen dieser Box nicht zu vergleichen. Sämtliche Aufnahmen sind für die Box remastert worden, der Klangeindruck der alten CDs im Vergleich zu den neuen ist schrecklich platt, dünn und flach, während das remasterte Material auf den 3 ersten CDs der Box erheblich dynamischer und lebhaft ist.
Kaipa galt als die schwedische Antwort auf Genesis. Die beiden Bands haben eigentlich wenig gemein. Zwar sind beide im symphonisch ausgeprägten Progressive Rock aktiv, doch Kaipas Kompositionen und Arrangements klingen völlig eigen.
Vor allem auf "Kaipa" (und der 5. CD mit den Aufnahmen von 1974) sind klassische Einflüsse stark auszumachen. Das Gros der Songs hat Hans Lundin geschrieben, die heutigen Kaipa sind nicht mit den historischen zu vergleichen, ebenso sind die von Roine Stolt geschriebenen Stücke nicht mit den Flower Kings vergleichbar, zu viele Jahre liegen zwischen der alten Band, ihrer neuen Inkarnation und den Flower Kings. Die Kompositionen von Mr. Flower King (der damals das Cover gemalt hatte) sind weniger symphonisch und klassisch, haben dafür einen interessanten Hang zum Jazzrock. Zwei Bonustracks sind hier enthalten, von denen einer bereits auf einer der Musea-CDs zu finden ist. Auch die Bonustracks wurden remastert und klingen stehen den LP-Stücken nichts nach.
Vor allem "Inget Nytt under solen" war ein Hit. Gerade hier kommt das Remastering gut an, die Songs sind deutlich druckvoller und volumiger, was der symphonischen Schwere und den bombastischen Motiven ausgezeichnet steht. Das 21-minütige "Skenet bedrar" ist der Clou der Platte und hat der Band großen Zuspruch eingebracht. Insgesamt klingen die historischen Kaipa-Platten heute etwas dated, aber Freaks des symphonischen Progressive Rock können sich genüsslich zurücklehnen und wohltuend verwöhnen lassen. Eine eindrucksstarke Platte, die nur zu empfehlen ist. Das gilt auch für die weiteren 5 Songs neben dem Mammutsong sowie die 4 englisch gesungenen und soundtechnisch ebenso wohlklingenden Bonustracks, die sämtlichst schon auf der entsprechenden Musea CD enthalten waren.
Die 11 Songs von "Solo", im Dezember 1977 eingespielt und 1978 veröffentlicht, tendieren teilweise weg vom Symphonic Rock. Funk und Pop haben ihre ersten Spuren hinterlassen. Jedoch ist die komplette Platte stark symphonisch geprägt und schöner 70er Rock mit progressiven Mustern. Die Stücke sind nicht sonderlich komplex, haben aber ungemein Flair und Sound. Die wenigen Popsongs zwischendurch klingen in diesem Zusammenhang zwar etwas gewöhnungsbedürftig, stören aber nicht. Komischer Weise heißt der 5. Track "Frog Funk". Dahinter würde ich einen flotten, rhythmisch geprägten und humorvollen Song vermuten, jedoch ist das Stück eine symphonische Note mit gehauchter Melancholie. 8 der 11 Tracks sind radiokompatibel kurz (und doch nicht radiokompatibel…). Das Gros der Songs ist sehr leise und lyrisch, zurückhaltend, symphonisch und verträumt melancholisch. Die Band rockt nur selten. Die Rollen der Komponisten hatten sich gewandelt. War zuerst Hans Lundin Hauptkomponist der Band, hatte Roine Stolt, der auf "Inget…" die Hälfte geschrieben hatte, den Hauptteil für "Solo" übernommen. Lasse Holm hatte das witzige Layout geschaffen, das nun auch die äußere Box schmückt. Nach Veröffentlichung der LP schied Roine Stolt aus Kaipa aus. Die Band machte noch zwei weitere Poporientierte Alben und löste sich 1982 auf.
Im 56-seitigen Booklet der Box ist die Story der Band detailliert nachzulesen, in einzelne Kapitel gegliedert, stehen schräge und witzige Anekdoten und etliches Hintergrundwissen zur Verfügung. Nicht nur das, nach einer Einführung in das Booklet wird den einzelnen CDs mit diversen technischen Details, gemalten Bildern von Roine Stolt und Fotomaterial viel Raum gegeben. Das ist nicht nur umfassend, sondern auch ansprechend und übersichtlich gemacht worden.
Kaipa Live ist über 79 Minuten lang. Die meisten Songs sind ausgedehnte Live-Versionen von auf den Studio-LPs enthaltenen Tracks. Der Gesang im Opener "Total förvirring", wie Track 1 bis 7 am 25. 05. 1978 in Kopenhagen, Dänemark, mitgeschnitten, klingt in der Gesangslinie, in Stimme und Ausdruck erstaunlicher Weise wie bei den frühen BAP (nur dass der Text natürlich nicht deutsch, sondern schwedisch gesungen wurde…). Musikalisch gibt es da keine weiteren Parallelen. Vor allem tobt sich Hans Lundin an seinem umfangreichen Keyboard Equipment aus. Die Soli der elektrischen Gitarre sind nicht ausgedehnt, aber sehr nett anzuhören. Die Version von "Skenet bedrar" ist keine 17 Minuten lang, die leisen symphonischen Parts sind weggelassen beziehungsweise stark verkürzt worden. Die Soundqualität der 11 Songs ist professionell gut, da hat das Remastering sehr viel gebracht.
Die CD mit den Demos, knapp 50 Minuten lang, lässt im Klang nach. Die Songs sind nicht im Studio eingespielt worden, waren nie zur Veröffentlichung vorgesehen. Im Proberaum mit einer Zweispurmaschine mitgeschnitten, ist der gemasterte Klang dennoch ganz annehmbar. Die Band spielt nicht ganz fehlerfrei, rockt dafür toll. Ein paar der Tracks waren auf dem Debüt der LP enthalten, dort jedoch in teilweise deutlich kürzeren Versionen. Die Songs sind noch etwas rau, nicht so ausgeprägt wie später. Das klingt noch wie alter Progressive Rock. Viele Parts klingen gejammt. Hardrock und symphonische Ansätze treffen aufeinander. Tolle Sache, für mich ganz persönlich das Highlight der Box, trotz des etwas weniger guten Klanges (gutes Bootleg-Niveau). Schön zu hören, wo die Band stilistisch herkommt, und wie sie sich entwickelt hat. Mit weniger Einfluss von Hans Lundin sicher mehr zum Heavy Rock; ohne Roine Stolt wäre die Band vielleicht zu seicht geworden.
Die Demosongs haben ein hinreißendes Folk-Flair, klingen ungewollt komisch und witzig, naiv und frisch. Den 9. Track "Akrobaternas dans" widmen Kaipa gar als Hommage den Samla Mammas Manna, so klingt er auch, einfach hinreißend.
Seit Sommer 2004 war Hans Lundin dabei, alte Bänder zu hören, Material für die Box auszusuchen und schließlich zu remastern. Dass daraus so eine schöne Box geworden ist, kann nur begrüßt werden. Für die potentiellen Fans ist es viel preiswerter, als würde jede CD separat verkauft werden. Tipp!

kaipa.info
insideoutshop.de
VM



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