Joy Unlimited "Schmetterlinge" (Pilz 1971, Garden of Delights 2005)

1966 gründete sich die Band Joy & The Hit Kids. Die Sängerin Joy, die als Erna Strube geboren wurde und später als Joy Fleming Karriere in Jazz, Blues und Schlager machen sollte, hatte eine kraftvolle raue Rockröhre und war der Mittelpunkt der Band. Joy & The Hit Kids spielten Beat und Pop, 7 Singles wurden veröffentlicht, einige der Songs sind auf der ersten LP der Nachfolgeband Joy Unlimited von 1970 enthalten.
Zum Ende der 1960er Jahre veränderte sich die Landschaft der Popmusik radikal. Eben noch bedeuteten hübsche 3-minütige Songs das Glück der Teenager; plötzlich gab es komplizierte, ausgeflippte, leidenschaftliche Musik. Da wollten Joy & The Hit Kids mitmachen und benannten sich zum Zeichen dessen in Joy Unlimited um. Drei weitere Singles wurden eingespielt, unter anderem der Song "Take me to the pilot" vom damals noch unbekannten Elton John. Seit The Hit Kids war Roland Heck (org, key) der musikalische Kopf der Band; Klaus Nagel (g, fl) stieg während der Umbenennung aus und wurde der Manager der Gruppe. Hans Herkenne (dr), Albin Metz (tr, b) und Dieter Kindl (g, b) ergänzten das Line-Up, für Klaus Nagel kam Gerd Köthe (fl, sax).
Die handwerkliche Qualität der Musiker bescherte der Band diverse Arbeiten für Theater. Sicher spielte die Wahnsinnsstimme von Joy dabei eine nicht unwesentliche Rolle. "Schmetterlinge", die zweite LP von Joy Unlimited und auch eine Theaterarbeit, kam 1971 auf dem BASF Unterlabel Pilz heraus. Die Geschichte der Band ist im Booklet der jetzt von Garden of Delights (wie stets sehr ansprechend, umfassend informativ und hochqualitativ) veröffentlichten CD nachzulesen. Die weiterführende Geschichte (nach dem Ausstieg von Joy und dem Neuzugang Ken Traylor) wird in den für das folgende Jahr angekündigten CDs "Reflections" (1973) und "Minne" (1974) nachzulesen sein. "Schmetterlinge" ist in drei Parts eingeteilt: "Contacts", "Manifestations" und "Emotions".
Stilistisch ist die Platte sehr vielseitig. Das reicht von Heavy Blues über harten Progressive Rock, von liedhaften Parts über jazzige Passagen bis Free Jazz, jeweils fabelhaft ausgelotet und toll komponiert. Joy Unlimited hatten einen eigenen Sound, wenn auch manches instrumentale und klangtechnische Merkmal auftauchte, das damals etliche Bands transportierten. Die Aufnahmetechnik in den Studios hat manchen Sound geprägt. Zudem war der Klang einiger Instrumente, wie der Orgel, ganz modern zu der Zeit. Doch Joy Unlimited waren instrumental sehr vielseitig. Neben dem normalen Rockinstrumentarium haben die Jungs Marimba, Vibes, Trompete, Flöte, diverse Saxophone und Perkussion gespielt. Das hat die Qualität der Songs deutlich angehoben. Die drei großen Blöcke sind jeweils in kurze Tracks unterteilt, die unterschiedliche Motive spielen. Joy hat zwar etliche Lyrics zu absolvieren, dennoch gibt es auf der CD viele und lange Instrumentalparts zu hören. Mal abgesehen von einigen etwas gewöhnlichen Refrains, dem üblichen qualitativen Abrutsch, tun sich erstaunlich interessante, mitreißende Harmonien auf.
Roland Heck, Dieter Kindl und Gerd Köthe, die die meisten Kompositionen einbrachten, hatten es faustdick hinter den Ohren und wussten mit aussagekräftigen Ideen zu überzeugen. Zudem nahm die Band sich nirgends zurück. Die Gitarre rockt heavy; wo Bläser sind, gehen sie ungebremst und vital vor; die Band kracht gewaltig, in ziemlich komplexen Songs. Joy kann ihre Stimmbänder zu "normalem" Gesang bringen, weiß aber viel besser wild zu schreien oder extreme Laute von sich zu geben, ähnlich wie einst Janis Joplin. Joy Unlimited konnten nicht nur laut, sie brachten es auch leise. Zart und lyrisch sind einige Stücke, spannend werden die Motive angetrieben, bis sie heftig explodieren. Sicher gibt es auf "Schmetterlinge" auch einiges zu hören, das eher dem Zeitgeist entspricht und gewöhnlich ist. Aber die vielen kunstvollen Themen adeln das Werk.
Als Bonus gibt es den mit dem Gastvibraphonisten Fritz Hartschuh eingespielten "Neckarbrücken-Blues" mit einer grandiosen Joy, das Stück "All heaven and earth are silent" vom Sampler "Heavy Christmas", auf dem beide Sänger, Joy und Ken Traylor zu hören sind. Ein grandioser Song, der nach etwas mehr als einer Minute plötzlich in einen leider nur kurzen, wundervoll komplexen zappaesken Free Part ausbricht. Joy singt Ken Traylor voll an die Wand, im Vergleich zu ihrer Stimme hat Ken keine Chance, obwohl seine eigene Stimme selbst auch beeindruckend ist.
Zudem sind die beiden Songs der zur gleichen Zeit wie "Schmetterlinge" veröffentlichten Single zu hören: "Silver gun" und "Peace train" von Cat Stevens.
Die CD ist nicht nur aus rockhistorischer Sicht wertvoll, die Musik mit ihren etlichen witzigen und facettenreichen Ideen ist absolut empfehlenswert. Zudem sind die Garden of Delights CDs jeweils mit einem äußerst interessanten Booklet ausgestattet, das die sehr gut recherchierte Geschichte der Gruppe auf deutsch und englisch, alle Veröffentlichungen mit detaillierten Labelangaben, originale Bilder, Single- und LP-Cover, Bandphotos und alle bisherigen Veröffentlichungen des Labels enthält.
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