Jelly Fiche "tout ce que j'ai rêvé" (Unicorn Digital, VÖ: 18.03.2008)

Jelly Fiche sind in Montreal zu Hause, im französischsprachigen Teil Kanadas. Konsequent und vollständig ist "tout ce que j'ai rêvé" in französischer Sprache gehalten: die Texte, das Booklet, die Merci's und technischen Angaben, alles.
Der neunminütige Titelsong meistert den Auftakt lyrisch. Gleich hier schon macht sich der starke Einfluss des klassischen Progressive Rock sichtbar. Pollen fallen mir als Vergleich ein, Harmonium, weniger stark Maneige, deren rhythmische und jazzige Seite hier nicht nachvollzogen wird. Und Pink Floyd ("Animals"-Phase).
Jelly Fiche sind jedoch keine Plagiatoren. Das haben sie nicht nötig. Ihre Ideen überzeugen, haben Kraft und Vitalität. Die Band rockt mit schweren Orgelsounds, Gitarren- und Saxophonsoli, komplexem Rhythmus und, typisch französischsprachige Rockmusik, betontem, starken Gesang.
Was im zweiten Track "Les Arbres" erst relativ eingängig als den späteren Pink Floyd verpflichteter Symphonic Rock beginnt, gewinnt in langer instrumentaler Landschaft dermaßen an Fahrt, dass die Aufmerksamkeit vollständig gebannt wird. Der sanfte PF-mäßige Beginn wird durch ein stetig und immer weiter sich steigerndes Saxophon-Solo so ungeahnt aufgebaut, die Energie so ungemein hochgefahren, dass die Hörwohlfühlorgane spürbar in Wolllusterregung aufgehen und sich genüsslich diesen großen Klängen hingeben. Als plötzlich, nach vielen, ausgiebigen und sehr kurzweiligen Minuten das instrumentale, aufregende Geschehen beendet wird, um mit dem letzten Vers das über 10 Minuten lange Stück abzuschließen, verblüfft diese Wiederkehr ebenso. Aus den höchsten Höhen erregter Musikkunst ins liedhafte Verslein ein Schritt nur, ein riesiger, aus der Klangfülle in die Nüchternheit der Gesangzeile. Bitte mehr davon.
Syd (Syd? voc, b, perc), Jean-François Arsenault (g) und Éric Plante (key, sax, prog, back-voc) haben einige Gäste ins Studio geladen. So den nützlichen Mathieu Bergeron (ein mit den einst in Nathan Mahl engagierten Brüdern Verwandter? dr), Vanessa Caron (fl) und Gardy Fury (back-voc). Ohne Schlagwerker wäre dem Werk gewiss die technische Note genommen, ein Drumcomputer hat so manche anmutige Produktion in der Qualität gedrückt. Glückauf, hier nix kaputt.
Die Vokalpassagen und kurzen instrumentalen Spaziergänge sind eher liedhaft und eingängig, gewiss von aufwendigem Arrangement, aber doch nicht der meisterhaften Dramatik, wie im langen Ausritt des zweiten Stückes. Die Überzahl der auf der CD enthaltenen Songs hat zeitliche Länge, einige darüber mehr. Und gerade in der weiten Ausarbeitung liegt diese epische Pink Floyd Note. Besonders wird es stets dann, wenn Jelly Fiche sich entschließen, einen außergewöhnlichen Part einzubauen, solistisch auszugehen.
"In Vitro", zwar keine drei Minuten lang, ist in seiner rein instrumentalen Strecke ganz und gar beeindruckend, nimmt an Lautstärke und Schräglage stetig zu und macht neugierig auf das, was die Band danach noch anbietet.
So richtig fahren sie jedoch erst wieder im die CD abschließenden fünfzehn Minuten langen "La cage des vautours/Liberté" hoch, das nach langer Einführung und viel französischem Textmaterial eine weitere Explosion intus hat, die, wenn auch nicht mehr so verblüffend phänomenal, für gänsehautigen Wohlklang sorgt.
Symphonic Rock hat längst nicht ausgedient, so lange es inspirierte Musik mit klugen Ideen gibt, die dem Genre neues Leben einhauchen. Wie Jelly Fiche.

jellyfiche.com
unicorndigital.com
VM



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