Jeavestone "Spices, Species and Poetry Petrol" (Nordic Notes, VÖ: 06.06.2008)

Ihr freakiger Auftritt auf dem Würzburger Freakshow Artrock Festival hat nicht nur dem lockeren und mitgerissenen Publikum viel Freude bereitet, sondern auch der Band selbst. Ihre erste CD war danach wie vom Erdboden verschluckt und nur durch blöd endlose Recherche zu bekommen. Schön, dass die Band, die das Event stolz auf ihrer Webseite listet, jetzt ein echtes Label im Rücken hat, dass nicht nur die Band in vielen Wohnzimmern ankommt, sondern auch, ähm, ja, in noch mehr Wohnzimmern.
Am neuen Werk hat vermutlich Artrock-Freak Charly, nun, zumindest Teilschuld. Wie er damals durchs Auditorium seines Festivals hüpfte und "Rock'n'Roll" brüllte, in Obelix-Hosen, da hat die Band sich gewiss gedacht, hier haben wir Prog, da haben wir Rock'n'Roll. Auf der einen Seite sind wir zwar Künstler, auf der anderen Seite kommen wir aus Finnland, in unseren Adern fleucht und kreucht Wikingerblut. Da müssen wir also authentische Musik machen und die nennen wir fix: Prog'n'Roll.
Wohl getan! Wie die Musik zeigt. Es rockt zum Mähneschütteln, es jazzt und folkt, es ist komplex und aufwendig und unterhaltsam und herausfordernd, kurz gesagt: das ist brillante, Quatsch, GEILE Musik!
Viele Kleinigkeiten gehen erst am Ohr vorbei, so etwa das kurze "Au" der Banddame, der jemand wohl auf den Popo geklopft hat und sie dann mit verschmitzt-grimmigem Gesicht angrummelte. Klingt!
Die Musik ist unglaublich facettenreich. Alles zu erwähnen ist nicht drin, Überraschungen müssen bleiben: nur soviel: Song Nummer Drei ist abgedrehter Zappa/Keneally-Stuff zum Schmunzeln, da gibt es Rock'n'Folk'n'Prog mit allen möglichen Drehungen und spaßigen Erlebnissen, die künstlerisch grandios in Szene gesetzt werden. Wenn wir denken, das wäre alles nur ein großer Spaß, irren wir, meint Old Wabble. Die Band schläft jetzt sehr gut, nach der anstrengenden, endlosen Arbeit. Sie haben fast perfektionistisch jede Sekunde mit dem besonderen Extra ausgefallener Ideen und schräger Motive angefüllt, und dabei eine exzellente Handwerklichkeit an den Tag gelegt, dass die technische Einspielung nur brillant genannt werden kann. [Der Mantei wieder!]
Song Nummer Vier: nach der akustischen Einstimmung folgt ein CSN&Y-Chorgesang, der das schlaffe Außengewebe zum Gänsehäuten bringt. Ein Cello drauf und noch einmal von vorn. Wahnsinn! Diese fünf Minuten mit Geigen, Cello, Gitarre und Jazz-Rhythmus unter der Fuchtel von melodisch grandiosem Bass und dezentem Schlagzeug ist den Prog-Orden in Silber wert! Darauf folgen 8 Freak-Minuten, Prog-Folk, die mit pseudoorientalischem Kauderwelsch beginnen und dann ein unglaublich harmonisches Motiv entwerfen, das glatt auf den echten 70ern stammen könnte.
Jeavestone bewahren sich auf dem neuen Werk ihren burschikos charmanten Humor, den sie auf der Würzburger Bühne offenbarten, hingegen auf der ersten CD noch nicht so definitiv drauf hatten. Jazziges, wunderschöne Gesangsharmonien, Balladen, freakiger Prog'n'Roll, mal ein flotter kurzer Kracher zwischendurch - hier ist immer was los, zwar wird's gegen Ende der Platte gemütlicher und ruhiger, aber es bleibt gut. Das 10-minütige "The Brief" ist nicht allein der Höhepunkt, so was gibt es immer wieder auf der Platte.
"Spices, Species and Poetry Petrol" ist nicht nur extravagant ausgefallen, was hin und wieder auch mal zu Gunsten düster-heller und gar lieblicher Motive wegfällt und Streicher zur akustischen Gitarre präsentiert, sondern auch sehr sympathisch und beglückend. Vor allem: es rockt! Und für Freunde ausgefallener Instrumente sei angemerkt: es gibt Vibraphon!

nordic-notes.de
VM




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