RPWL

Interview mit Yogi Lang


Nachdem die beiden Konzeptalben „Beyond Man And Time“ und „Wanted“ RPWL weit über den üblichen, aussagetechnisch im Unverbindlichen bleibenden Prog-Horizont hinaus katapultiert haben und die Band seitens ihrer Texte klar Position gezogen hat, ist es höchste Zeit, auf das diesen beiden Alben zugrunde liegende Konzept aufmerksam zu machen, in dessen Rahmen sowohl gesellschaftliche und politische als auch philosophische Fragen thematisiert werden. Yogi Lang hat das Wort.


ragazzi: Was verbindest Du mit folgenden Begriffen bzw. Zitaten?

- materialistisches Weltbild: Moderne

- holistisches Weltbild: das Ganze

- Homo conscius: die Bürde der Selbst-Reflexivität

- Fortschritt: Der Begriff wird mindestens genauso oft missbraucht wie das Wort Demokratie!

- Gesundheit: eine Bedingung für Glück

- Medizin: zeigt das Dilemma unserer Zweiklassengesellschaft

- Werte: sollten immer wieder reflektiert werden

- Konservativismus: Veränderung ist ein Merkmal von Leben

- Eliten: wird es wahrscheinlich immer geben

- Sinn des Lebens: das Gegenteil eines Pfefferminzplättchens

- politische Korrektheit: ist oft schwierig und manchmal unangebracht

- Gender Mainstreaming: ist der natürliche Umgang mit dem kleinen Unterschied

- Pressefreiheit: Ein absolutes Muss!

- Souveränität: Kein Mensch sollte fremdbestimmt sein.

- Wahlen: Die Wahl zwischen mehreren Übeln ist keine wirkliche Wahl.

- Wahrheit: ist nur eingeschränkt möglich

- Wirklichkeit bzw. Realität: der individuell empfundene Ist-Zustand

- Glaube/Religion/Kirche: Unser Ziel ist es, genau das zu überwinden.

- Indigo-Menschen: müsste ich googeln

- Banken-System: moderne Schmarotzer

- Globalisierung: eine logische Folge des Schmarotzertums

- Freihandelsabkommen: Ohnmacht

- Gentechnik: faszinierend und unberechenbar

- Maya (Sanskrit): erinnert mich an unser Album von 2005 „World through my Eyes“

- Kali Yuga: eigentlich ist Religion Käse

- kategorischer Imperativ: Kant hatte eine gute Idee

- Sapere aude: das ist ein bisschen wie sein „Menschsein“ annehmen

- Gnothi seauton: Es gibt auch Affenarten, die sich selbst erkennen können!

ragazzi: Welche Möglichkeiten zur Befreiung des Geistes siehst Du im allgemeinen?

Yogi: Ich denke, dass wir im ständigen Prozess der Aufklärung sind. Der größte Gegner dieses Befreiungsaktes ist nach wie vor die Religion. Dabei meine ich beides: unser offensichtliches Bedürfnis Dinge zu mystifizieren bzw. die mangelnde Fähigkeit unsere Endlichkeit zu akzeptieren. Aber auch der daraus entstandene Missbrauch als Kontrollinstrument, also unsere derzeitigen Religionen. Die Art und Weise, wie wir mit diesem altertümlichen Denken sozialisiert und infiziert werden, ist unglaublich. Dabei geht es mir nicht um den individuellen Glauben oder eine individuelle Spiritualität, sondern um die Unart der Ausgrenzung und den irrwitzigen absoluten Wahrheitsanspruch, die jede mir bekannte Religion an sich hat. Das Schaffen von Angst ist dabei wesentlicher Bestandteil. Wir müssen uns immer wieder bewusst machen, dass es immer noch Teile der Menschheit gibt, die Aids für eine Strafe Gottes halten und immer noch Kriege und Zerstörung mit dem Willen eines Schöpfers in Verbindung bringen. Natürlich sind das extreme Ereignisse, aber dieser Zwang zum mystifizierten Zusammenhang finden wir ja auch im kleinen wieder; auch wenn noch niemand auf dieser Welt von einem anderen bestraft worden ist als von einem real existierenden Wesen, werden Menschen nicht müde, bei allem was über das momentan Erfassbare hinausgeht, egal ob emotional oder real, sofort in einen Aberglauben zu verfallen. Wir haben es keinem höheren Wesen zu verdanken, dass wir wissen, warum es zu einer Überschwemmung kommt und warum eine Ernte einbrechen kann. Wir haben die Pest, für die tausende von Juden ihr Leben als Verantwortliche lassen mussten, genauso wissenschaftlich ergründet, wie wir in zwischen für medizinische Heilkräuterkunde niemand mehr verbrennen müssen. Wir können Menschen behandeln, anstatt für sie zu beten, und genau das ist die „Befreiung des Geistes“. Es ist also kein Prozess aus unserer Fantasie, sondern ein Prozess, der schon lange stattfindet und Teil einer sozialen Evolution ist. Wir müssen weiter gegen Aberglauben und Intoleranz arbeiten. Früher entwickelte sich der Mensch in abgeteilten Siedlungen oder Regionen gleichgeschaltet, gleichgesinnt. Ein primitiver Schutzmechanismus, aus dem vom biologischen Mitgefühl seiner Familie gegenüber entwickelten Zusammenhalt innerhalb einer größeren „Familie“. Dem Gegenüber steht heute die nächste Stufe als logische Folge: Unsere Siedlung ist die ganze Welt. Wir können uns als individuelle Menschen begreifen innerhalb einer Welt voller Vielfalt. Eben diese Verschiedenheit ist das Besondere. Die Gleichheit war gestern und da gehört sie hin. Die Befreiung des Geistes macht das zu einem schönen Gefühl. Weg mit der Kultur des Glaubens, hin zu einer Kultur des Fragens und Wissens. Unser individuelles Denken und alles, was daraus folgt, ist unser evolutionärer Kniff, der uns bis heute geführt hat. Darauf sollten wir vertrauen.

ragazzi: Welche Möglichkeiten zu dessen Befreiung bestehen ganz konkret in unserer momentanen gesellschaftlichen Situation?

Yogi: Bildung und Aufklärung. Ich möchte dazu einen Gedanken etwas provokativ ins Feld führen: Fällt es nicht auf, dass die sogenannten Propheten der Religionen oft nichtgebildete Analphabeten waren? Die Apostel, Moses, Mohammed, allesamt nicht gerade die geistigen Überflieger, Paulus vom Pferd gefallen mit offensichtlichen traumatischen Folgen. Ich fange jetzt vom Inhalt der sogenannten Offenbarungen gar nicht an, aber weißt Du, was ich meine? Ich hätte einige Fragen bei einer eventuellen Erscheinung und vor allem: Spätestens nach vier Geboten hätte ich zu diskutieren angefangen, ob er mich als angebliches höheres Wesen verulken will. Aber dabei ist dann auch klar, warum diese Offenbarungen nie besonders intelligent waren. Was ich aber sagen will, ist folgendes: Es reicht nicht, uns auf längst vergangene Märchen und Moralvorstellungen zu berufen. Aus diesem Grund kann es auch nicht sein, dass man Kinder in der Schule mit einer kirchenhistorischen Irreführung absichtlich belügt. Warum versteckt man sich soziopolitisch hinter einer christlichen Leitkultur anstatt Farbe zu bekennen? Wir müssen mit Wahrheiten arbeiten, müssen aus der sozialen Evolution die richtigen Schlüsse ziehen und nicht den grotesken Fantasien einiger Fanatiker folgen. Den jeweiligen Göttern dieser Welt sind genug Menschen zum Opfer gefallen. Es wird Zeit, selbst in die Verantwortung zu gehen. Nach der Trennung von unserer christlich abendländischen Leitkultur und der Säkularisierung aller sozialer Einrichtungen, können wir uns an eine Bildungsreform machen.

ragazzi: „Alles, was der Mensch den Tieren antut, kommt auf den Menschen zurück“ lautet ein Zitat von Pythagoras; wie stehst Du zu einer bewussten Lebensführung am Beispiel des Vegetarismus? Kann eine solche als Gradmesser für die Befreiung des Geistes dienen?

Yogi: Ich denke, dass ein bewusstes Umgehen mit allen Dingen unbedingt erforderlich ist. Das muss nicht notgedrungen zum Vegetarismus führen, wenngleich ich die Antwort auf die Frage, ob man sich der Tiere der Welt nach Belieben bedienen darf, nicht beantworten kann. Ich denke, dass es Teil unserer Entwicklung ist, dass es zum Vegetarismus kommt, auf ganz natürliche Art und Weise. Ich begründe das mit der sich entwickelnden Moralvorstellung in den westlichen Ländern. Vielleicht ist das nicht so offensichtlich: Wir haben zwar einen gut funktionierenden Verdrängungsmechanismus, aber genau hier ist ja diese Entwicklung zu sehen. Wer würde sich sein Kalb noch selber schlachten? Wer dem Affen die Handcreme ins Auge streichen, an der er leidet? Wer stopft die Gans? Wer möchte die Kinder sehen, die das Kleid genäht haben? Die Industrie hält uns fern von all diesen Dingen, aber diese Bilder arbeiten in uns. Es ist Teil unserer Entwicklung, uns selbst immer bewusster zu werden. Es bedarf starker sozialpolitischer oder religiöser Kraft, den Menschen zu instrumentalisieren, aber er wird dem immer mehr widerstehen. Wir dürfen nicht in den Kategorien schwarz und weiß denken. Es ist oft schon ein revolutionärer Akt des Bewusstseins zum lokalen Gemüsehändler zu gehen. Mehr seiner inneren Stimme folgen und sich nicht dem Konstrukt des Absoluten hingeben: Ich würde etwas daran ändern, ich kann aber nicht, also ist ohnehin alles egal. Das ist falsch. Es werden kleine Schritte sein, aber die sind wichtig. Wir müssen gewappnet sein, wenn sie versuchen unser Wasser zu privatisieren! Wasser ist eine der Grundlagen unseres Lebens. Ich hoffe, dass wir dann soweit sind.

ragazzi: Als Unterstützung für die Befreiung des Geistes dient auf „Wanted“ ein Homöopathikum namens „Veritas Forte“ gegen geistige Ermüdung. Bedarf es in unserem heutigen Informationszeitalter, in dem viele praktische Übungen zur Erweiterung des Bewusstseins frei verfügbar sind, überhaupt eines solchen Mittels bzw. muss nicht zunächst ein Bewusstsein für eine Erweiterung des Bewusstseins bei den Menschen vorhanden sein?

Yogi: Ich fand es faszinierend zu spekulieren, dass Platons Höhlengleichnis möglicherweise nichts anderes war als ein Beipackzettel einer Substanz, die man schon damals gefunden hat. Es ist mehr eine Traumvorstellung. Ich denke nicht, dass es Hilfsmittel gibt, um uns zu befreien. Diese Kraft ist eine Sache der individuellen menschlichen Entwicklung.

ragazzi: Welche Aussagen lassen sich über eine Kultur treffen, die meditative Elemente (Tafeln von Chartres etc.) und ganzheitliche Wege zu Gesundheit und Spiritualität (Wyda usw.), die nicht genehm sind, systematisch unterdrückt?

Yogi: Jede Art einer Unterdrückung ist falsch. Und empfindet man sie als zwingend notwendig, ist das System falsch. Hier wird vielleicht meine Aufforderung zum Individualismus oft falsch verstanden: Ich denke jeder sollte einfach für sich selbst bestimmen, was für ihn richtig ist. Ich bin da ganz bei Rousseau, wenn er davon spricht, dass erst die Gesellschaft den Menschen verdirbt und ihn seiner Natürlichkeit beraubt. Die Hirnforschung zeigt uns heute, dass Dinge wie Mitgefühl durchaus evolutionäre Errungenschaften sind, nicht soziale und vor allem nicht religiöse. Wir brauchen keine christliche Leitkultur, um uns nicht gegenseitig umzubringen, das macht die Natur von ganz allein. Unsere Leitkultur hilft uns eher unser unnatürliches Handeln zu rechtfertigen.

ragazzi: Was hältst Du von den Montagsmahnwachen für den Frieden?

Yogi: Jeder Anlass für den Frieden einzutreten ist ein guter Anlass.

ragazzi: Wie stehst Du zu einer wie auch immer gearteten Vernetzung der Menschen, um einer gesellschaftlichen Isolation des Individuums und daraus resultierend seiner relativen Ohnmacht entgegenzuwirken?

Yogi: Dazu habe ich mir keine Meinung gebildet. Trotzdem möchte ich einen Gedanken anbringen: Wir lassen uns womöglich von einer gewaltigen, gesellschaftsverändernden, aber trotzdem etwas unreifen Technik auch den Blick fürs Wesentliche trüben. An der vieldiskutierten Download-Problematik lässt sich das veranschaulichen. Viele denken, dass die Möglichkeit Musik illegal auf den Computer zu kopieren, die Musik Industrie zerstört hat. Wenn das so wäre, hätte das die Firma Philips mit der Erfindung der Compact-Cassette schon seit den 1960ern getan. Die Musikindustrie selbst hat sich durch die Art und Weise mit Musik als Konsumobjekt umzugehen ihr eigenes Grab geschaufelt. Nicht immer ist die Technik schuld, oft sind es eben ganz andere Gründe.

ragazzi: Wie lautet Deine begriffliche Repräsentanz von Demokratie?

Yogi: Wir alle wissen ja, wie Demokratie derzeit begrifflich verwendet wird. Wir haben uns da so eine Art kapitalfreundliche teilrepräsentative und teildemokratische Oligarchie geschaffen und nennen das Demokratie. Das ist natürlich schon ein Ding... Es geht ja nicht darum, ob es gut oder schlecht ist, es geht um gar keine Bewertung, aber es einfach so Demokratie zu nennen, ist gelinde gesagt sehr dreist. Nun, ich denke, das Hauptproblem ist das Einbeziehen auch der im griechisch-klassischen Sinne nicht zur Demokratie fähigen Menschen. Hier kommt wieder der unbedingte Anspruch zur Aufklärung zum Vorschein. Die im ursprünglichen Demokratiebegriff definierten 80 Prozent der „Unterschicht“ sind ja einer Gesellschaft in einer Zeit geschuldet, in der die Schichten wesentlich offensichtlicher getrennt waren. Wir haben keine Sklaven mehr, zumindest in diesem Sinne und haben zumindest auf dem Papier den Anspruch nach Bildung für alle Schichten. Es muss aber mehr passieren; ganz klar hat die Demokratie für alle, und das wäre ja wirklich etwas neues, eine zu 100 Prozent gebildete und aufgeklärte Gesellschaft als Voraussetzung. Des weiteren möchte ich auch einen Eckpfeiler des Begriffs wieder aufgreifen: In einer Demokratie bekommen Politiker kein Geld! Man verzeihe mir das, aber ich habe den Demokratie Begriff ja weder gemacht, noch halte ich ihn für heutige Verhältnisse besonders angemessen. Eines gefällt mir besonders, gerade mit Blick auf die Globalisierung: Die Verwaltungseinheiten der ursprünglichen Demokratie waren eher klein, damit sie auch bewältigbar war. Vielleicht können wir ja in dieser Hinsicht vom Demokratiebegriff und damit von der ursprünglichen Idee dahinter noch etwas lernen.

ragazzi: Manche Menschen behaupten, das Verhältnis zwischen direkter Demokratie und der Größe einer Gesellschaft verhalte sich zwingend reziprok; kannst Du dieser Behauptung zustimmen?

Yogi: Eigentlich denke ich das nicht. Vielmehr geht es darum, die Kreise, in denen entschieden wird, nicht zu groß werden zu lassen. Ob das dann Kreise innerhalb eines Landes, eines Kontinents oder innerhalb der Welt sind, ist doch vom Grundprinzip her gleich. Es müssten eben alle auf dieses Konzept hinarbeiten, also das Konzept einer wahren Demokratie. Keine Industrie, die versucht Energie möglichst zu zentralisieren, keine Agrarwirtschaft, die versucht, Monokulturen zu fördern, sondern klare dezentrale Konzeptionen mit klaren Non-Profit Projekten wie Wasser, Lebensraum, Grundsicherung, etc. Dazu sei auch gesagt, wie dämlich ich diese Länderunterteilung finde. Man sollte endlich die Grenzen rein kulturell ziehen und auch nur im positiven Sinne von Zugehörigkeit, nicht um andere auszugrenzen.

ragazzi: Wie beurteilst Du Akif Pirinccis Buch „Deutschland von Sinnen“?

Yogi: Ich verstehe das als Aufforderung es zu lesen ;-)

ragazzi: Welchen Stellenwert besitzt für Dich die Mystik innerhalb der Religion(en) hinsichtlich einer möglichst umfassenden Entfaltung von Spiritualität? Ich denke dabei z.B. an Meister Eckhart, Hildegard von Bingen oder den Sufismus im Islam?

Yogi: Es tut mir leid, wenn ich das so deutlich sagen muss, aber das ist für mich totaler Käse. Es war auf jeden Fall besser für die liebe Hildegard, ins Kloster zu gehen als auf dem Scheiterhaufen zu enden. Aber im Ernst, ich finde jeder darf so viel mystifizieren wie er möchte, solange er die anderen damit in Ruhe lässt. Das meine ich nicht böse, sondern nur so, wie ich es sage.

ragazzi: Sollten sich Künstler der Aufgabe verpflichtet fühlen, die gesellschaftliche Situation, in der sie leben, in irgendeiner Weise zu thematisieren, sei es deskriptiv oder kritisch-reflexiv, anstelle in eskapistischer Weise Fantasytexte zu verfassen?

Yogi: Das kann jeder so halten, wie er will. Ich kann Dir aber aus Erfahrung sagen, dass es sich nicht immer gut anfühlt, Teil eines Brot- und Spiele-Unterhaltungskonstrukts innerhalb einer Gesellschaft zu sein. Ich will zumindest feststellen, dass es außerhalb einer sozial bzw. menschlich relevanten Aussage auf keinen Fall um irgendeine Art von Kunst gehen kann.

ragazzi: Ist die aktuelle „Generation Prog“ eine „Generation null Bock“ im Blick auf die kritische Reflexion der herrschenden gesellschaftlichen Zustände?

Yogi: Dazu kann ich nichts sagen. Oft ist Musik ja auch einfach nur eine Art sich auszudrücken, ohne irgendwelche (Hinter-)Gedanken.

ragazzi: Es gibt Aussagen von Soziologen, die besagen, dass sich aufeinander folgende Generationen in ihrem Verständnis hinsichtlich politischer und gesellschaftlicher Partizipation deutlich voneinander unterscheiden (müssen), auch um sich von der jeweiligen Elterngeneration abzugrenzen. Kannst Du dem zustimmen?

Yogi: Das habe ich mir oft bei meinen Kindern gedacht. Es wäre für mich damals undenkbar gewesen, meinen Eltern am Abend über den Weg zu laufen. Außer der Tatsache, dass wir bestimmt nicht die gleichen Lokalitäten hatten, war ich für sie zu abgedreht und sie für mich zu uncool. Heute hat sich das alles irgendwie gewandelt. Ich erschrecke oft, wenn ich auf Festivals vermeintlich nicht gealterten Freunden über den Weg laufe, bis ich begreife, dass es klar ihre zum Verwechseln ähnlichen, inzwischen erwachsenen Kinder sind. Der Generationenkonflikt ist nicht mehr da, die Eltern rauchen oft mehr als die Kinder, aber zu was das führt, das weiss ich nicht. Nun, wir werden es sehen...

ragazzi: Die Sprache bietet als primäres Kommunikationsmedium vielfältige Möglichkeiten der Manipulation; besteht für Dich momentan in diesem Zusammenhang Anlass zu besonderer Wachsamkeit?

Yogi: Das Belegen eines Wortes mit Bedeutungen, die es vermeintlich zu etwas Allgemeinen, aber dennoch Undefinierbaren machen. Demokratie ist ja eines davon. Oder auch Wahlen: Eine Wahl ohne Auswahl ist doch irgendwie grotesk. Christlich als passiv und gut, islamisch als aggressiv und böse: Nichts ist geschichtlich derartig falsch wie dieser kindliche Versuch einer Gehirnwäsche. Ich möchte das nicht begründen, dazu muss man sich nur seines Geschichtsbuches erinnern. Bei Worten und Sprache an sich sollten wir immer wachsam sein.

ragazzi: Was hältst Du von der einseitigen Betonung des Verstandes in unserer Gesellschaft?

Yogi: Angesichts der Tatsache, dass auch unsere Emotionen oder unser Bauchgefühl ein Akt unserer Intelligenz sind, würde ich mir das wünschen.

ragazzi: Welchen Stellenwert haben Unterbewusstsein, Intuition, Kontemplation und Meditation in unserer aufgeklärten Welt?

Yogi: Es sind für mich Platzhalter für den Versuch, tiefer in uns vorzudringen. Absolut begrüßenswert. Ob es notwendig ist, muss jeder für sich wissen.

ragazzi: Welche Bedeutung sollten die in der vorherigen Frage erwähnten vier Begriffe haben, um in signifikanter Weise zu einer Befreiung des Geistes beitragen zu können?

Yogi: Egal wie wir es nennen, alles spielt sich in unserem Gehirn ab. Jeder Akt unseres eigenständigen Denkens ist ein Schritt in Richtung „Befreiung des Geistes“. Dieser Akt muss nur frei von äußeren Wegweisern und Zwängen sein. Aber uns muss trotzdem klar sein, dass unsere Entwicklung ein bewusster Akt und kein mystischer unterbewusster Akt ist. Es ist eine lange trainierte Hoffnung, dass da mehr ist, als wir denken. Aber da ist nur mehr, wenn wir es erschaffen mit unserem Denken. Ich habe dazu in „Beyond Man and Time“ die Figur des Schaffenden entworfen. Er zerstört alles um sich herum, um es wieder neu zu erschaffen, weil er weiß, dass alles in Stein Gemeißelte tot ist. Es muss selbst erschaffen sein, nichts über das hinaus ist wirklich.

ragazzi: Kreativität impliziert Grenzüberschreitung; was bedeutet dies für ein auf Konformismus fußendes System?

Yogi: Das ist fast schon eine rhetorische Frage. Aber wenn ein soziales System der evolutionären Entwicklung nicht von selbst weicht, wird es von ihr eingeholt und zerstört. Das hatten wir ja in der Geschichte schon mehrmals.

ragazzi: In welche Richtung sollte sich die Menschheit nach Deinem Dafürhalten entwickeln?

Yogi: In einen altruistischen Individualismus.

ragazzi: Welchen Stellenwert haben für Dich die Begriffe „Freiheit“ und „Verantwortung“? Besteht zwischen diesen beiden Begriffen ein immanenter Zusammenhang?

Yogi: Je mehr Freiheit ich habe, desto mehr Verantwortung trage ich. Das ist aber, so denke ich, ein soziokulturelles Problem. Wir wachsen in dieser christlich-abendländischen Kultur nicht gerade frei-denkend auf und so fällt es uns schwer zu glauben, dass wir diese Verantwortung tragen können. Aber das Mitfühlen ist uns von der Natur gegeben und ein altruistisches Denken lässt sich erlernen. Es gibt sogar Versuche in der Hirnforschung, die zeigen, dass altruistisches Denken zu physischen Veränderungen im Gehirn führt. Wir sind also als evolutionäre Wesen dazu bereit, einen weiteren Schritt zu gehen.

ragazzi: Ein Zitat, dessen Ursprung ich nicht mehr erinnere, lautet „nur wer sich unter das Gesetz stellt, kann wahre Freiheit erlangen“; teilst Du diese Ansicht?

Yogi: In der griechischen Antike hat man diesen Spruch ca. 80 Prozent der Bevölkerung zugewiesen. Man ging davon aus, dass diese Klasse einfach zu nichts anderem fähig ist.

ragazzi: Bestehen schon Pläne für Euer nächstes Album; (nicht nur) ich würde gerne eine Fortsetzung der Befreiung des Geistes in musikalischer und lyrischer Form miterleben und kann mir z.B. vorstellen, das Leben und Wirken von Menschen wie Mirin Dajo, Bruno Gröning oder Giuseppe Calligaris als praktische Beispiele für die Möglichkeiten des menschlichen Bewusstseins zu thematisieren.

Yogi: Wir haben daran gedacht, die Geschichte zu schließen und quasi einen „The Day After“-Bericht zu verfassen. Das wäre dann allerdings eher ein Gedankenspiel, was passieren würde, wenn man eben die Grenzen zum Einstürzen bringt. Also „zurück zur Natur“, ganz in der Vorstellung Rousseaus. Aber das sind nur Gedanken... noch haben wir nichts entschieden.

ragazzi: Könnt Ihr Euch eine Zusammenarbeit mit Frequency Drift hinsichtlich eines gemeinsamen Albums vorstellen? Ein Werk für ein solches Prog-Orchester wäre vermutlich eine besondere Herausforderung für alle Beteiligten und könnte eventuell sogar zu einer Befreiung des Geistes in musikalischer Hinsicht beitragen.

Yogi: Ich glaube nicht, dass sich jemand anders unserem Workflow anpassen könnte. Es wäre zu schwer, sich in dieses RPWL-Konstrukt einzufügen.

ragazzi: Habt Ihr Euch schon überlegt, die Handlung von „Beyond Man And Time“ und „Wanted“ analog zu Vanden Plas in Form einer musiktheatralischen Aufführung opulent inszeniert, also unterstützt von Schauspielern und Tänzern, auf die Bühne zu bringen? Beispielsweise könnten die Kulissen im Stile von Alex Grey während der Aufführung durch ins Stück integrierte Maler entstehen oder mit Klängen gekoppelte Lichteffekte und Gerüche auf die Zuschauer einwirken; ich denke hierbei an den von Wagner im musikalischen Kontext geprägten Begriff des Gesamtkunstwerks oder an Skrjabins unvollendetes Werk „Mysterium“, das in seiner Konzeption synästhetisch war. Vermutlich gibt es einige Studenten, die an einer solchen Umsetzung sehr interessiert sind und auf die Chance, sich dergestalt einzubringen, regelrecht warten.

Yogi: Während wir „Beyond Man and Time“ noch multimedial inszeniert haben, sind wir ja auf der Wanted Tour mit 2 Schauspielern auf Tour gegangen. Wird es zu theatralisch, dann lenkt es ab, deshalb sind wir bewusst innerhalb des Rahmens eines Rock-Konzerts geblieben. Wir haben dazu eben reale Elemente mit eingebracht, wie die Fernsehszenen und eine Theaterinszenierung in Teilen. Das war gut so und hatte den gewünschten Effekt: Inszenierte Musik, aber den Hörer nicht in die Unterhaltung entlassen.

ragazzi: Wer hatte eigentlich die Idee zum Hörbuch von „Beyond Man And Time“?

Yogi: Ich wollte den Inhalt unmissverständlich klar machen.

ragazzi: Unter welchen Umständen wurde Euer Label „Gentle Art Of Music“ gegründet und wurden Eure diesbezüglichen Erwartungen bislang erfüllt?

Yogi: Das war eine unserer guten Ideen. SPV, unser damaliger Vertrieb, ging Konkurs und wir haben die Chance ergriffen, uns ganz zu befreien und mit einem eigenen Label dann einen neuen Partner zu suchen. Soulfood in Hamburg gefiel unsere Idee und so hatten wir einen potenten Vertriebspartner. Das Label war geboren.

ragazzi: Welche Veröffentlichungen stehen auf Gentle Art Of Music in naher Zukunft an?

Yogi: Momentan sind viele der Bands in ihrer kreativen Phase. Als nächstes kommt allerdings eine Band, die wir in Österreich gefunden haben: „Phi“. Ihr neues Album „Now the waves of sound remain“ kommt diesen Herbst. Wir haben schon das neue Album von „Simeon Soul Charger“ gehört: Fantastisch! Das kommt im Januar. Es wird noch ein paar Überraschungen geben, aber da verrate ich noch nicht so viel. Kalle arbeitet auch gerade an einem neuen „Blind Ego“ Album. Es passiert echt viel gerade.

ragazzi: Möchtest Du noch etwas loswerden, das Dir wichtig ist?

Yogi: Ich verstehe nicht, warum bei unserem Steuerkonstrukt die Mitarbeiter der Finanzämter kein Studium brauchen. Sie bräuchten es so dringend...

ragazzi: Herzlichen Dank für Deine äußerst aussagekräftigen Antworten und alles Gute für die Zukunft.

Yogi: Gerne, Ich habe zu danken.

Frank Bender




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