Gothics, die stampfende Technosounds mögen

Im ragazzi-Interview: ULTRAVIOLENCE (16.12.2004)

Nein, nicht Alt-Punker Johnny Rotten war der vorweihnachtliche Gesprächspartner von ragazzi, sondern sein Namensvetter Johnny Violent. Obwohl der sich der elektronischen Musik verschrieben hat, gibt es durchaus Berührungspunkte zum Punk. Und zu Moby. Und auch die kürzlich verstorbene Radiolegende John Peel traf der Kopf von Ultraviolence. Wie das alles zusammenpasst? Johnny hat es uns verraten...





ragazzi: "Atari Teenage Riot bzw. Alec Empire können als Erfinder des sogenannten Digital Hardcore betrachtet werden. Da diese Art von Musik gewisse Berührungspunkte zu deinem Sound besitzt, würde mich interessieren, was du über Alec & Co. denkst?"
Johnny Violent: "Früher mochte ich die Musik von Alec. Vor ein paar Jahren hat er mich grundlos als Faschist bezeichnet. Das war echt dumm, weil Faschismus ein ernstes Thema ist. Aber er macht das auch mit anderen so. Seitdem mag ich seine Sachen nicht mehr hören. Aber ich höre noch immer Digital-Hardcore-Musiker wie Christov de Babylon, Bomb 20 etc. Wobei ich aber nicht sicher bin, ob meine Musik wirklich so ähnlich ist."
ragazzi: "Man sagt, dass Ultraviolence die Industrial-Cyber-Szene in England mitgeprägt haben. Kannst du diese Szene ein bisschen näher beschreiben?"
Johnny Violent: "Das sind Gothics, die stampfende Technosounds mögen."
ragazzi: "Was war der Auslöser, der dich mit härterer elektronischer Musik in Berührung brachte?"
Johnny Violent: "In den späten Achtzigern habe ich Techno von 808 State, Acid Rock, N-Joi etc. gehört. Aber ich wollte extremere Sounds und auch extremere Texte. Ich habe auch Front 242, KMFDM etc. gehört. Und irgendwie wollte ich die beiden Stile verbinden, aber gleichzeitig eigene Ideen entwickeln."
ragazzi: "Abgesehen vom Abtanzen im Club - zu welchen anderen Anlässen sollte man Ultraviolence-Songs hören?"
Johnny Violent: "Die Alben sind so gemacht, dass man sie zu Hause hören kann - und zwar laut! Damit sie über die gesamte Länge interessant bleiben, arbeite ich mit vielen verschiedenen Sounds und Lyrics. Die emotionalen Inhalte können manchmal im Club verloren gehen, die bekommt man zu Hause besser mit. Manche Stücke sind auch gar keine Tanznummern."
ragazzi: "Nach welchen Kriterien suchst du die Sänger aus?"
Johnny Violent: "Entweder entdecke ich sie auf einer Platte oder live. Ich merke mir dann die Emotionen, die die Stimme ausdrückt. Wenn ich ein Stück schreibe, stelle ich mir zuerst vor, wie es mit der Stimme klingen würde. Erst dann lade ich den Sänger ins Studio ein."
ragazzi: "1992 warst du bei einer der legendären Peel Sessions. John Peel ist kürzlich verstorben. Was war das Faszinierende an diesem Menschen?"
Johnny Violent: "Er schaffte es, neue Musik - auch meine - einem größeren Publikum nahe zu bringen, und zwar völlig selbstlos. Er war charmant und freundlich. Sein Tod ist ein großer Verlust für die Musik und die Menschheit allgemein."
ragazzi: "Welche musikalischen Stile interessieren dich? Kennst du deutsche Musik?"
Johnny Violent: "Mel (ein Bandmitglied, d. Verf.) hat mal Keyboard für Icon of Coil gespielt - eine wirklich coole Band. Meine deutschen Lieblingsmusiker sind Wagner, Beethoven and Bach, wobei - das hier ist vielleicht der falsche Ort dafür."
ragazzi: "Du warst der Support auf Mobys "Animal Rights" Tour. Wie kam es dazu und wie lief es?"
Johnny Violent: "Moby sucht sich seine Support-Acts selbst aus und nahm uns, weil ihm das Stück "Heaven Is Oblivion" gefiel. Es war ja eher die rockige Phase von Moby. Ich mag eher seine elektronischen Sachen."
ragazzi: "Du warst auch mit der Punkband The Exploited unterwegs. Ziemlich ungewöhnlich... Warum hast du das gemacht?"
Johnny Violent: "Seit meiner Schulzeit war ich ein Fan von The Exploited. Ich wollte damit alle schockieren. Da war es einfach toll, mit ihnen auf Tour zu gehen."
ragazzi: "Wie sieht die aktuelle Londoner Clubszene aus?"
Johnny Violent: "Letzte Woche spielten wir im Slimelight, was großartig war. Ein Großteil der Clubmusik ist jetzt ein bisschen retro. Da liege ich also genau richtig mit meinem neuen Album, das ja 10 Jahre meiner Karriere widerspiegelt.
Ich freue mich aber auch schon, nächstes Jahr neue Songs zu schreiben, um alles ein wenig durcheinander zu wirbeln."
ragazzi: "Ist es etwas anderes, Songs für Filme wie aktuell zu "Guts" zu schreiben?"
Johnny Violent: "Es ist etwas ganz anderes, weil ich sowohl die Vision des Regisseurs als auch die Geschichte und die Stimmung des Films rüberbringen muss. Sonst mache ich das ja nur, um mir eine Freude zu bereiten. Da ich besonders extreme Horrorfilme liebe, ist es toll, an der Entstehung eines Films mitmachen zu können. Filmmusik könnte mancher auch als Einschränkung oder Zwang empfinden. Für mich ist es mehr eine angenehme Herausforderung."
ragazzi: "Gibt es Pläne für Auftritte in Deutschland?"
Johnny Violent: "Noch nichts Konkretes, aber ich hoffe, ich werde im neuen Jahr da sein."
ragazzi: "Danke für die Antworten!"
Johnny Violent: "Ich danke auch für deine Fragen und das Interesse....Fröhliche Weihnachten!!!"

Stefan




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