THEATRE OF TRAGEDY

  
"Das Publikum ist unser Reflektor"

Theatre Of Tragedy haben eine musikalische Wandlung vorgenommen, die nicht jeder Fan und Kritiker nachvollziehen kann oder will. Vom düsteren Gothic-Metal hin zum poppigen Electro-Rock. Genug Gesprächsstoff also für ein Interview. Doch gerade als die in Deutschland lebende Sängerin Liv Kristine Espenaes und ich es uns auf einer sonnigen Bank vor dem Offenbacher Club "Hafenbahn" gemütlich machen wollten, erkannten zwei Fans, wer dort saß und baten erst mal um Autogramme und gemeinsame Fotos. Da in der Hafenbahn alle Räume belegt oder zu laut waren, verlagerten wir den Interviewort eben kurzerhand in mein Auto. Und so ungewöhnlich wie das Interview begann, entwickelte sich auch unser Gesprächsfaden...
ragazzi: "Wie ist das Tourleben bei Theatre Of Tragedy?"
Liv Kristine: "Teilweise recht langweilig. Turbulent wird es immer dann, wenn meine Jungs zu viel getrunken haben. Ich selber trinke ja nicht."
ragazzi: "Kein Alkohol?"
Liv Kristine: "Nur mal ein Glas Sekt zum Anstoßen. Ich kann auch ohne Alkohol verrückt sein."
ragazzi: "Du hattest im März Examenprüfung in Anglistik. Wie war das Ergebnis?"
Liv Kristine: "Ich habe bestanden."
ragazzi: "Herzlichen Glückwunsch! War das der Grund für den späten Tourstart zwei Monate nach Veröffentlichung "Assembly", dem neuesten Album?"
Liv Kristine: "Natürlich musste ich lernen. Die Abschlussprüfung war sehr wichtig und ich wollte das hinter mich bringen. Wegen meiner Aufenthaltsgenehmigung und dem Ganzen. Ich kann nicht ewig studieren. Aber auch die Band war noch gar nicht fertig mit den Vorbereitungen."
ragazzi: "Was hat es mit dieser Aufenthaltsgenehmigung auf sich?"
Liv Kristine: "Ich muss einmal im Jahr zur Ausländerbehörde, vorweisen, dass ich hier studiere und eine Aufenthaltsgenehmigung für ein weiteres Jahr beantragen. Das geht schon seit fünf Jahren so. Seit ich in Deutschland lebe. Außerdem muss jemand für mich bürgen."
ragazzi: "Und das nur weil Norwegen nicht in der EU ist?"
Liv Kristine: "Ja, sonst wäre es einfacher. Aber das ist ja bald vorbei. Im nächsten Jahr werden Alex und ich heiraten." (Alex Krull, der Sänger von Atrocity, Anm. d. Red.)
ragazzi: "Wie sind jetzt nach dem zweiten Album im neuen Stil die Reaktionen eurer Fans? Haben sie sich dran gewöhnt oder sind sie euch immer noch böse?"
Liv Kristine: "Es gibt bestimmt welche, die noch böse sind. Das ist aber nicht schlimm. Man kann ja nicht erwarten, dass es jedem gefällt, was man macht. Das Publikum ist unser Reflektor. Egal was wir von ihm zurückbekommen, es ist immer okay. Aber als Künstler muss man sich entwickeln. Ein Maler malt auch nicht dasselbe Bild dreimal. Wir werden auch wieder neue Fans dazu gewinnen."
ragazzi: "Der Schnitt zwischen "Aegis" und "Musique" war aber auch extrem."
Liv Kristine: "Das lag daran, dass dazwischen zwei Jahre waren. 1998, gleich nach "Aegis" hatten wir zwar schon neue Lieder geschrieben. Mit denen waren wir aber nicht zufrieden. Und dann hat unser damaliger Gitarrist, der die meisten Songs schrieb, die Band verlassen. Raymond, unser Sänger, übernahm diese Aufgabe. Er wollte schon immer mehr Elektronik in die Songs einbringen."
ragazzi: "Dafür hat er aber, was den Gesang betrifft, zu deinen Gunsten zurückgesteckt."
Liv Kristine: "Das war seine Wahl. Er wollte nicht mehr so im Vordergrund stehen, sondern lieber die Produzentenrolle übernehmen. Ich habe dann auch zu 80 Prozent die Texte geschrieben, weil Raymond dafür keine Zeit hatte. Dabei habe ich mich sehr wohl gefühlt, weil ich jetzt meine eigenen Wörter singen kann. Ich brauche auch keine Texte mehr auswendig lernen, weil man die beim Schreiben automatisch behält."
ragazzi: "Seid ihr dadurch eine andere Band geworden?"
Liv Kristine: "Nein. Wir sind immer noch die selbe alte Familie mit den selben alten Witzen."
ragazzi: "Die Kombination eurer alten und neuen Songs auf der letzten Tour empfand ich als etwas gewöhnungsbedürftig. Ist diese Verbindung schwierig für euch?"
Liv Kristine: "Für mich überhaupt nicht. Aber das Set dieser Tour enthält fast nur Songs aus den letzten beiden Alben. Wir haben ja jetzt genügend neues Material. Aber ein paar alte Stinker sind noch dabei."
ragazzi: "Tanz der Schatten?"
Liv Kristine: "Nein. Ich habe zwar gesagt wir müssen den spielen. Aber die Mehrzahl in der Band hat sich dagegen entschieden."
ragazzi: "Wie offen seid ihr für andere Musikstile. Was haltet ihr beispielsweise vom Nu Metal, der ja gerade total angesagt ist?"
Liv Kristine: "Wir waren schon immer für alle Genres offen. Privat hören wir ganz viele und unterschiedliche Sachen. Raymond ist zum Beispiel ein großer Kraftwerk-Fan. Unser Gitarrist steht dagegen auf diesen Nu Metal. Ich dagegen meine ja, dass wir das alles vor zehn Jahren schon mal gehört haben."
ragazzi: "Nirvana."
Liv Kristine: "Genau."
ragazzi: "Es gibt außer euch noch viele andere norwegische Bands, und ich meine nicht A-ha, die in Deutschland bekannt und erfolgreich sind. Woran liegt das, dass aus deiner Heimat so viele gute Musiker kommen?"
Liv Kristine: "Keine Ahnung. Manchmal glaube ich, dass es an der Weite des Landes liegt. Norwegen hat nur 4,3 Millionen Einwohner, aber so viel Platz. Ich selber fühle mich dort viel freier. Und in Norwegen wirst du als Künstler auch mehr akzeptiert. Deswegen ist es sehr populär Kunst oder Musik zu studieren. Auch in meiner Familie gibt es sehr viele Künstler."
ragazzi: "Die Weite als Inspirationsquelle?"
Liv Kristine: "Ja. Außerdem kann man dort sehr gut abschalten. Die Berge, die Küste, das Meer... Ich wohne in Deutschland zum Glück auf dem Land. Außerhalb von Stuttgart. Da spürt man noch die Jahreszeiten. Genau wie in Norwegen. Ich bin kein Stadtmensch. In der Großstadt wäre ich total aufgeschmissen. Ich brauche den Platz, die Weite, die Natur."
ragazzi: "Deshalb ist Norwegen bei den Deutschen auch als Reiseland so beliebt..."
Liv Kristine: "Du musst nur ganz viel Bier mitnehmen, weil das so teuer ist. Und am besten auch deutschen Essen."
ragazzi: "Kannst du noch einen kleinen Ausblick auf dieses Jahr wagen?"
Liv Kristine: "Nach der Tour werden wir in Beirut spielen, wenn dort alles friedlich bleibt. Dann ist Moskau angesagt. Und Mexiko. Im Herbst mache ich noch meine Abschlussprüfung in Germanistik und danach muss ich meine Magisterarbeit schreiben."
ragazzi: "Dann wünsche ich dir und der Band viel Erfolg auf Tour und dass du dein Studium erfolgreich abschließt."

Stefan





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