Interview mit Kaaja Hoyda (Stendal Blast)

Genieße den Augenblick!

Es gibt Zeitgenossen, bei denen man heilfroh ist, wenn man sich nicht länger als nötig mit ihnen zu unterhalten braucht. Und dann gibt es Menschen, mit denen könnte man stundenlang quatschen. Kaaja Hoyda, Sänger von Stendal Blast, gehört zweifellos zu letzteren. Offen, süffisant und humorvoll sprach er mit ragazzi über Gothics, Pinkeln an der Autobahn, Monte von Zott und natürlich die neue Platte seiner Combo. Doch lest selbst...
 
ragazzi: "Ihr habt Deine Lakaien auf ihrer jüngsten Tour supportet. Wie lief's?"
Kaaja: "Bei unserem ersten Konzert in Dortmund lief es schon nicht schlecht, wir sind immerhin nicht ausgepfiffen worden... Es wurde dann von Auftritt zu Auftritt immer besser. Den Höhepunkt haben wir beim letzten Gig in Leipzig erlebt, als wir sogar eine Zugabe spielen mussten. Ein echter Erfolg für eine Vorband von Deine Lakaien."
ragazzi: "Leipzig ist ein gutes Stichwort. Ist es wirklich so, dass ihr bisher auf östlichem Terrain weitaus erfolgreicher wart als auf westlichem?"
Kaaja: "Ich glaube, das ist immer noch so. Wahrscheinlich wird es sich mit dem neuen Album und auch durch die Tour mit den Lakaien erstmals etwas aufweichen. Aber bisher war in der Tat nur östlich von Braunschweig "Stendal Blast-Land". Zum einen hat das mit dem Namen zu tun. Stendal ist eine Stadt in Ostdeutschland, entsprechend identifizieren sich die Leute dort damit. Zum anderen waren die Leute in den östlichen Bundesländern nach der Wende hungrig nach Independent-Musik. Und so haben auch wir uns dort viel getummelt."
ragazzi: "Wie ist euer Verhältnis zu ostdeutschen Musikern? Gibt es Kontakte?"
Kaaja: "Ich weiß, dass es viele ostdeutsche Bands gibt, die elektronische Musik machen. Konkreten Kontakt gibt es zu einer Leipziger Elektro-Band namens Scarecrow, die für unsere Maxi das Stück "Ohne Gnade" geremixt haben."
ragazzi: "Apropos Remixe. Wie ist bei euch das Procedere: Fragt ihr die Bands oder kommen die Bands zu euch?"
Kaaja: "Beides passiert. Wenn man sich kennt und häufiger miteinander zu tun hat, dann geht das so: Machst du einen Remix für mich, dann mach' ich einen für dich. Es läuft auf Tauschbasis, ähnlich wie mit Fußballbildern. Bei Scarecrow war es so, dass ich sie gefragt habe. Für sie ist es natürlich eine super Promotion, auf einer Single mit Veljanov zu sein. Was den anderen Remix betrifft: KiEw und wir sind ab und an auf den gleichen Parties. Da hab ich sie einfach mal gefragt, musste aber versprechen, dass ich für ihr nächstes Projekt ebenfalls einen Remix mache. Sowohl der KiEw- als auch der Scarecrow- Remix machen mir Spaß, sind Knaller auf den Tanzflächen."
ragazzi: "Kaaja, lass uns mal ein Stück zurück gehen und schauen, wie sich eure Band entwickelt hat. Bei einem Besuch auf eurer Homepage www.stendalblast.de fiel mir folgende Aussage auf: "Stendal Blast – ein sexy Name, der Oralverkehr impliziert". Was hat der geneigte Leser darunter zu verstehen?"
Kaaja: "Also, es gibt keine plausible Erklärung für unseren Bandnamen. Wir sind kurz nach der Wende häufiger über die A 2 Hannover-Berlin gefahren und wir haben immer in der Nähe von Stendal eine Pinkelpause gemacht. Wir fanden den Namen dieser Stadt sehr hübsch. Es könnte eigentlich auch ein martialisches Wort für Penis sein. Blast kam dazu im Sinne von Kraft, Power, Explosion, Zerstörung. Das Ganze ergibt so eine Melange, die eben ein bisschen nach Oralverkehr klingt."
ragazzi: "Seit wann gibt's Stendal Blast?"
Kaaja: "Wir haben 1989 angefangen als Doda. Daraus wurde dann 1990 Stendal Blast."
ragazzi: "Hat Stendal Blast 1990 schon die gleiche Musik gemacht wie Stendal Blast 2002?"
Kaaja: "Das war etwas völlig anderes damals. Wir haben keine Stücke komponiert, sondern einfach nur gespielt. Der Plan war eigentlich, dass wir Stücke machen, die es nur einmal gibt und dann nie wieder. Das heißt, unsere Proben waren immer Sessions. Wir haben – adäquat zu den Einstürzenden Neubauten – alles mögliche an Instrumentarium benutzt, von Bohrmaschine bis Gummirohr."
ragazzi: "Was waren deiner Ansicht nach die Knackpunkte in der Entwicklung der Band?"
Kaaja: "Mir fallen da vor allem zwei Ereignisse ein. Der eine Knackpunkt war unser erster Plattenvertrag 1995. Wir hatten null Studioerfahrung und keinen Plan, was wir tun sollten. Wir wussten, wenn wir die Musik, die wir damals gemacht haben, einfach aufnehmen, würde es nicht funktionieren. Die Neubauten gab's schon und 'ne Band, die nur Krach macht, wollten wir nicht sein. Stendal Blast hat sich dann komplett reformiert. Wir haben uns gefragt, wohin es gehen soll und uns schließlich für die Mischung aus extremen Texten und Electro-Gitarren-Musik entschieden. Es war wie eine zweite Geburt der Band. Der zweite Knackpunkt war für mich der Ausstieg von Gründungsmitglied Hajo Mönnighoff 1999. Hajo war ein wichtiger Teil von Stendal Blast, hatte den Großteil der Songs komponiert. Nach seinem Weggang mussten wir uns noch einmal neu orientieren."
ragazzi: "Das Stendal Blast-Publikum kommt zu großen Teilen aus der "Schwarzen Szene". Wie steht ihr zu dem Phänomen Gothic-Subkultur?"
Kaaja: "Wir sind in dieser Szene erfolgreich, insofern gibt es da eine Verbindung. Persönlich bin ich kein Gothic-Anhänger, habe aber auch nichts gegen diese Szene. Genau so ist es auch kein Problem, wenn Punks auf unsere Konzerte kommen. Wer Stendal Blast sehen möchte, kann kommen, ohne dass er irgendeinem Zugehörigkeitskodex entsprechen muss. Früher bin ich auch in Grufti-Discos oder auf entsprechende Konzerte gegangen. Aber nie ausschließlich. Ich hab mir genau so Mike Oldfield angesehen."
ragazzi: "Was war dein letztes Konzert, das du gesehen hast?"
Kaaja: "Element of Crime, allerdings war es ein langweiliger Gig."
ragazzi: "Lass mich noch einmal auf eure sehr interessante Homepage zurückkommen. Dort kann man lesen, dass ihr die Freigabe von Musaril-Tabletten fordert. Warum?"
Kaaja: "Musaril dient der Muskelentspannung. Es führt u.a. dazu, dass man ein bisschen lockerer unterwegs ist. Es erscheint uns als probates Mittel für unser häufig sehr angespanntes Volk."
ragazzi: "Außerdem fordert ihr heißen Kaffee im Backstage-Bereich. Ist der etwa immer kalt?"
Kaaja: "Also bestimmt in fünfzig Prozent der Fälle."
ragazzi: "Und wie sind sonst so eure Catering-Erfahrungen?"
Kaaja: "Oh, das ist ganz unterschiedlich. Gute Veranstalter besorgen Joghurt und frisches Obst vom Markt. Bei den weniger guten gibt's nur Brötchen - und die sind dann oft auch noch von gestern. Du kannst quasi die Qualität eines Clubs am Catering erkennen."
ragazzi: "Was waren die kulinarischen Highlights auf der Tour mit den Lakaien?"
Kaaja: "Das Catering war hervorragend, das beste in der Geschichte von Stendal Blast. In Nürnberg gab es leckere Kohlrouladen mit Semmelknödel, von denen ich gleich drei essen musste. In Bremen waren verschiedene Aufläufe im Angebot, u.a. ein hervorragender Quark-Kartoffel-Auflauf. Aber unsere größte Entdeckung war der exzellente Schoko-Vanille-Pudding Monte von Zott. Zum Reinlegen! An einem Abend hab ich drei Paletten Monte mit in den Tourbus genommen. Es war eine Monte-Nacht bis zur Ohnmacht."
ragazzi: "Kommen wir nach diesen Schlemmereien für den Gaumen mal zu akustischen Schlemmereien, sprich zur neuen Platte. Die erste Singleauskopplung ist "Nur ein Tag", ein Duett mit Lakaien-Sänger Alexander Veljanov. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit?"
Kaaja: "Ich kenne Alexander schon seit drei, vier Jahren, was damit zu tun hat, dass wir auf einem gemeinsamen Label, Chrom Records, waren. Uns verbindet mehr als nur eine künstlerische Freundschaft. Es war an einem etwas heftigeren Kneipenabend, als ich Alexander gefragt habe, ob er nicht Lust auf einen gemeinsamen Song hat. Er hat sofort "Ja" gelallt. Ich hab' das Stück dann geschrieben und ihm vorgestellt. Es ist ein Thema, das uns beide interessiert, dieses "Genieße den Augenblick, leb den Augenblick jetzt"."
ragazzi: "Eure Duett-Idee scheint gut anzukommen..."
Kaaja: "Ja, die Single ist jetzt fast ausverkauft. Seit fünf Wochen ist der Song in den Deutschen Alternative-Charts. Er läuft erfolgreich in vielen Clubs, obwohl es ja gar kein richtiges Tanzstück ist."
ragazzi: "Bei diesem, aber auch bei vielen anderen Songs fällt auf: Texte spielen bei euch eine große Rolle. Was ist dir wichtig, wenn du einen Text schreibst?"
Kaaja: "Mir ist wichtig, dass der Text deutschsprachig, aber nicht peinlich ist. Ich mag keine Texte, die zu plakativ sind, was bei Schlagern der Fall ist. Ich kann es auch nicht haben, wenn es zu verklausuliert und zu kryptisch ist. Texte müssen eine gewisse Lebensnähe haben und trotzdem gut klingen. Ich mag es, wenn man von kleinen Dingen auf große Fragen kommt. Ein Beispiel: In einem unserer Songs heißt es "Tausend Tage Nägelkauen". Ein Bild, das für die Frage steht, ob nicht unser gesellschaftliches Leben von Geburt an vorformatiert ist."
ragazzi: "Du hast gerade von deutschen Texten gesprochen. Der letzte Song des Albums "Adieu" enthält sowohl englische als auch französische Passagen."
Kaaja: "Das ist wirklich die absolute Premiere und auch die absolute Ausnahme. Es gibt dafür einen ganz praktischen Grund. Eines Tages hatte ich diesen englischen Satz "I'll see you later, I'll see you soon, if you don't close the sky in the afternoon" im Kopf. Dann hab ich wochenlang versucht, ihn gescheit ins Deutsche zu übersetzen – ohne Erfolg. Da hab ich mir gedacht, mach' ich halt noch was Englisches drumherum. Und dann wollte ich auch gleich noch die andere Fremdsprache, derer ich mächtig bin, einbauen. Und so ist das französische Textstück entstanden. Das Spannende war, trotz Sprachenwechsels den Song ohne Bruch hinzukriegen, was – glaube ich - funktioniert. Übrigens: "Adieu" ist mein persönlicher Favorit auf dem Album."
ragazzi: "Ein Foto im Booklet zeigt euch drei mit jeweils einem bandagierten Arm, an dem die Hand fehlt. Was steckt dahinter?"
Kaaja: "Wir haben es aus zwei Gründen gemacht. Zum einen wollten wir ein Hingucker-Foto haben, auf dem man auch noch auf den zweiten Blick etwas entdecken kann. Zum anderen wollten wir demonstrieren, dass wir uns einen Fotografen leisten können, der gute Ideen hat. Übrigens: unser Fotograf war der "Ärzte"-Fotograf Jörg Grosse Geldermann."
ragazzi: "Zwei Songs auf der Platte stammen nicht aus eurer Feder: "Sind so kleine Hände" und "Wanze". Wie fanden die Titel den Weg auf das Album?"
Kaaja: "Dem Song von Frau Wegner konnte man ja zu einem bestimmten Zeitpunkt in Deutschland gar nicht entkommen. Es war ein Flüstersong in der DDR und ein Protestsong in der westdeutschen Friedensbewegung. Ich habe das Lied ausgewählt, weil es so voll ist von "Gut-Menschentum", dass es unbedingt auf ein Album gehört, das sich mit Gut und Böse beschäftigt. Diese Stück ist allerdings so hochmoralisch, dass es fast schon wieder abtörnend ist. Ich teile die Grundintention von Bettina Wegner, aber die Art und Weise, wie übertrieben plakativ die Moral beschrieben wird, ist nicht mein Stilmittel. Deswegen fand ich es ganz passend, wenn dieser Text begleitet wird von einem bösen, brüllenden Kaaja Hoyda und einer Brettgitarre. Damit haben wir das Lied ein wenig karikiert."
ragazzi: "Und der "Wanzen-Song"?"
Kaaja: "Das ist unser Statement zur aktuellen elektronischen Musik, besonders zur EBM. Ich finde, dass man da auf die Texte größtenteils verzichten kann. Die Texte sind nur flach, so sie überhaupt akustisch wahrnehmbar und nicht verzerrt sind. Darüber hinaus ist es auch unser Statement zum Thema Überwachungsstaat."
ragazzi: "Seid ihr demnächst mal wieder auf Tour?"
Kaaja: "Ich nehme an, wir machen im Herbst eine kleine Club-Tour."

Stefan




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