DIRK SCHLÖMER

Zwischen Amygdala und Das Zeichen liegt Ornah Mental

Dirk Schlömer ist Ornah Mental. Das wäre weiter nichts besonderes. Wenn da nicht die Vergangenheit des Herrn Schlömer wäre. Er war Gitarrist der legendären Ton Steine Scherben um Rio Reiser, deren Vermächtnis er heute mit der Band Neues Glas aus alten Scherben verwaltet. Zu Beginn der Neunziger produzierte er junge Independent-Bands. Seit einiger Zeit widmet er sich den Projekten Das Zeichen und Ornah Mental, mit denen er sich in die Gefilde der Weltmusik und der Esoterik begibt. Wie das alles aber miteinander zusammenhängt und welche Bahnen eine musikalische Entwicklung nehmen kann, darüber sprach ragazzi mit Dirk Schlömer.
 
ragazzi: ""War damals, als du noch bei den Scherben gespielt hast, abzusehen, dass du heute diese Art Musik machst?""
Dirk Schlömer: "Ja. Ich habe mich schon immer für experimentelle Randgruppenmusik interessiert und ein Faible für Trance gehabt. Und das schon vor meinem Engagement bei den Scherben."
ragazzi: "Siehst du die Wurzeln der heutigen Trance- und Worldmusic in den Siebzigern?"
DS: "Auf jeden Fall! Da gibt es konkrete Beispiele wie die Band Can, die über Improvisation lange hypnotische Stücke gemacht haben. Das ist Trance im ursprünglichen Sinn. Und nicht das was heute Techno-Trance heißt."
ragazzi: "Gab es einen konkreten Auslöser dafür, dass du dann selbst diese Musik gemacht hast?"
DS: "Ich habe 1994 meine Karriere als Popmusiker beendet. Bis dahin hatte ich noch eine Band namens Zikato und einen Vertrag bei einer Major-Company. Dort gab es zwar viel Geld aber ganz wenig Seele. Davon war ich sehr frustriert und habe das Thema begraben. Statt dessen habe ich mich alleine in die Studioarbeit gestürzt. Ich spiele Gitarre, Klavier und Schlagzeug und merkte, wieviel ich machen kann, ohne Kompromisse einzugehen. Und dann lernte ich Rafaela kennen (seine Partnerin bei Das Zeichen, Anm. d. Red.). Sie füllte mein Leben mit Yoga und Meditation. Diese spirituelle Sehnsucht hatte ich schon lange und ich begann das in Verbindung mit meiner Musik zu bringen. Und das war dann die Grundidee zu Das Zeichen."
ragazzi: "War es schwierig für diese Musik eine Plattenfirma zu bekommen?"
DS: "Die Geschichte ist sehr komplex. Ich hatte damals den Auftrag einer Klassik-Plattenfirma, eine populäre Symphonie zu schaffen. Die wollten jemanden aus dem Pop-Genre dafür und keinen Klassikprofessor. Das war in der Zeit meiner Veränderung und eine große Herausforderung für mich. Und so entstand meine Todessymphonie "Memento Mori" unter dem Projektnamen Amygdala. Die Klassikfirma war geschockt und gab mir die Rechte an dem Werk zurück. Veröffentlicht wurde es dann auf dem Dark-Wave-Label Hyperium, weil ich denen ein fertiges und bezahltes Produkt anbieten konnte. In der Folge erschien dort auch die erste CD von Das Zeichen."
ragazzi: "Von A wie Amygdala nach Z wie Das Zeichen. Das Ornah-Mental-Album heißt "A to Z". Was ist jetzt aber anders bei Ornah Mental?"
DS: "Das Zeichen ist eine Band, deren Musik auf Improvisation beruht. Ich bin Rafaelas spontanen Äußerungen gefolgt und habe als Produzent die passenden Momente für die Stücke verwendet. Ornah Mental dagegen ist mein Soloprojekt, ein Egotrip. Ich überlege mir vorher die Songabläufe und spiele sie ein. Es ist mein Hobby und meine Therapie."
ragazzi: "Welche Leute hören deine Musik?"
DS: "Das Zeichen ist, labelbedingt, in der Dark-Wave-Szene gut angekommen. Die gemäßigten Grufties sind sehr offen für diese ethnologische und rituelle Musik, was ich sehr gut finde. Im Grunde genommen möchten aber viele Menschen diese Musik hören. Das kommt mir immer wieder zu Ohren. Nur wissen die meisten nicht, wieviel gute Musik es in dieser Richtung wirklich gibt. Und wo sie diese Musik kriegen."
ragazzi: "Weil für diese Art Musik leider kaum Platz in den Medien ist..."
DS: "Genau. Selbst in Lifestyle-Magazinen nicht. Dabei lechzen gerade die Leser solcher Zeitungen nach entspannender Musik. Und zwar nicht nach dieser typisch kitschigen Esoterik-Mucke. Sondern nach gehaltvoller, tiefer und dunkler Musik mit mystischer Komponente. Daher ist Ornah Mental auch für eine ganz breite Hörerschaft geeignet."
ragazzi: "Außerdem bist du jetzt bei African-Dance-Records, einem Indie-Label, womit einer massenhaften Verbreitung deiner CD und teuren Werbekampagnen Grenzen gesetzt sind. Würdest du noch mal zu einem Major-Label gehen?"
DS: "Schwer vorstellbar. Die Majors verstehen nichts von dieser Musik. Bei denen sind solche Produktionen immer auf diese RTL-Mystic-Sampler beschränkt. Aber ich will auch nichts ausschließen. Denn ich hätte gerne mal das Geld, meine Musik soundtechnisch auf eine andere Ebene zu bringen und zehn- oder zwanzigminütige Pink-Floyd-Nummern zu produzieren. Natürlich wünscht man sich das als Künstler."
ragazzi: "Welche Musik oder Künstler hörst du zur Zeit?"
DS: "Im Rockbereich finde ich Radiohead sehr interessant. Außerdem höre ich gerade viel Chill Out und Dub. In den Genres ist das Niveau zu Zeit sehr hoch. "Witness Of Our Time" von den Hypnotix kann ich da nur empfehlen. Kurioserweise eine tschechische Band mit afrikanischem Sänger."
ragazzi: "Bei Ornah Mental erkennt man ja auch nicht, dass es sich um Musik aus Deutschland handelt."
DS: "Das ist vielleicht sogar ein Politikum. Die deutsche Medienlandschaft freut sich, wenn Inder, Algerier oder Lateinamerikaner hier Popmusik produzieren. Wenn sich umgekehrt aber deutsche Musiker für andere Kulturen interessieren, wird das sehr argwöhnisch betrachtet. Damit meine ich speziell die Radiosender."
ragazzi: "Hast du eine persönliche Verbindung zur afrikanischen oder orientalischen Kultur?"
DS: "Eher zur indisch-orientalischen Kultur und zur jamaikanischen. Mich fasziniert, dass dort Musiker viele Jahre geschult werden, bevor sie überhaupt auftreten dürfen. Dann aber sind sie in ihrem Land und ihrer Kultur anerkannt. Sie haben eine feste Stellung innerhalb der Gesellschaft. Für Musiker ist das eine wunderbare Sache. Bei uns kann jeder am PC einen Hit basteln. Aber er bleibt ein Nobody als Musiker, weil sich in zwei Jahren keiner mehr für ihn interessiert."
ragazzi: "Wie sieht dein Blick in die Zukunft aus?"
DS: "Ich habe einen Weg und Mittel gefunden, mit denen ich produzieren kann. Dafür muss ich keinen fragen. Ich kann allein entscheiden, habe Freunde und Firmen um mich rum, die gerne mit mir zusammenarbeiten. Und dafür nehme ich gern in Kauf, dass ich nur ein Zehntel oder Hundertstel von dem verkaufe, was irgendwelche Kasperle verkaufen. Ich bin frei!"
ragazzi: "Ein schöneres Schlusswort hätte es nicht geben können! Vielen Dank für das Interview."

Lars




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