Email-Interview mit Roine Stolt im November 2009


Obelix würde sagen, die spinnen, die Progressive Rocker. Du willst dir ein Lied anhören, dich mal eben kurz unterhalten lassen, und die nageln dich 78 Minuten lang fest. Mit einer Nummer!
Transatlantic sind zurück. Neal Morse baut alte Brücken wieder auf, für Roine Stolt ist ein Traum wahr geworden. Pete Trewavas lebt auf, Mike Portnoy, Jungspund und quirliger Unruhegeist, darf endlich wieder transatlantisch trommeln. Roine Stolt rief mich an, ach Quatsch, ich habe die Fühler ausgestreckt. War das jetzt eine einmalige Sache, die neue Platte "The Whirlwind", oder geht es mit der Band weiter? Roine Stolt war auskunftsfreudig.




Ragazzi: "Wie ist nach den Jahren der Kontakt wieder zustande gekommen - oder wart ihr die Jahre über ständig in Kontakt zueinander?"

Roine Stolt: "Wir hatten über die Jahre sporadischen Kontakt, Weihnachtsgrüße, Mitteilungen zwischen den Mitgliedern des Königshauses (nur'n Scherz), und so.
Zudem wegen der Veröffentlichungen nach dem Aus der Band 2002, wie den "SMPT Roine-Mixes", der DVD "The Making of BAF", einem weiteren frühen VHS Video aus Philly in den USA, das 2000 für die DVD einen Remix und ein paar zusätzlichen Gitarrenspuren über dem Monosound brauchte, und was ganz dezent gemacht wurde.
Ja klar, wir haben guten Kontakt untereinander seit ein paar Jahren.
Trotzdem war die Reunion eine wirklich große Überraschung.
Die Transatlantic Legende scheint weiterzugehen, meine Erwartung wirbelte ein paar Jahre herum und jetzt ist unser Traum wahr geworden."

Ragazzi: "Du arbeitest in einer Menge Projekte, deiner eigenen Band, der Soloarbeit, mit Jonas Reingold, als Gast in anderen Bands - wie machst du das alles nur, und wie schafft ihr es, dass jede Band ihren eigenen Sound hat und nicht alles gleich klingt?"

Roine: "Ich hoffe immer, dass die Kombination von Musikern und Komponisten den Unterschied macht, aber ich hätte kein Problem damit, wenn alles ziemlich gleich klingen würde. Ich analysiere Musik nicht übermäßig, ich habe einfach stets das Gefühl für ein jedes Projekt. Es macht den Eindruck, dass aus jeder neuen Projektidee etwas wird. Die Leute haben die Wahl, zu kaufen oder es zu lassen, sie können mir nicht vorwerfen, dass ich ich bin, meinen Stil habe, wenn du verstehst, was ich meine.
Es ist, als würdest du Carlos Santana fragen, ob er BB King, oder Bono, ob er Bruce Springsteen sei. Wir sind, wer und was wir sind und alles, was wir tun können, ist, zu fühlen, wie sich welche Musik in uns zu einem bestimmten Zeitpunkt entwickelt.
Ich habe den Anschein, dass die Frage, ob eine Band ‚progressiv' oder originell ist, oder Türen in neue Dimensionen öffnet, viel zu intellektuell angegangen wird. Ich persönlich könnte mir kaum weniger Sorge darum machen, als was unsere Musik beschrieben wird, solange ich auf emotionalem Level Freude daran empfinde.
Nebenbei, ich kann nicht verstehen, warum der Terminus "Projekt" so einen schlechten Ruf hat. Ich arbeite lieber in einem "Projekt" mit Musikern zusammen, die genau das lieben, was sie tun und kreativer sind als eine Band, deren Musik ein seichtes Rinnsal ist."

Ragazzi: "Hat sich euer Kontakt über die Jahre geändert? Wie geht ihr miteinander um? Könnt ihr eure Kreativität in Transatlantic ohne jede Beschränkung voll und frei ausleben?"

Roine: "Alles ist sehr entspannt, wir sind wie vier Brüder, die ein bisschen Musik zusammen machen. Und sicher, es gibt immer ein paar Einschränkungen, wenn verschiedene Individualisten zusammenarbeiten. Das ist doch natürlich.
Wir sandten uns gegenseitig Demobänder zu und diskutierten potentielle Songs und Einfälle per Email. Im April trafen wir uns in Tennessee in den USA in Neals Studio, wir vier waren zusammen im selben Raum und probten miteinander und nahmen das neue Album Stück für Stück, Bit für Bit auf, und warfen die Einzelteile in neuen Sektionen zusammen, wenn wir es für gut befanden.
Diese Teile waren alle so cool, das brachte einen neuen Funken in TA (Transatlantic, d. Red.) - da war sehr präzise Energie zwischen uns."

Ragazzi: "Ist Transatlantic der Sound von euch allen Vier? Wie findet ihr euch im Bandsound wieder?"

Roine: "Wir haben gemeinsam an Themen geschrieben und sie miteinander kombiniert, die Pete, Neal und ich zuhause geschrieben hatten, wir trafen uns erst, als jede Menge neue Ideen beisammen waren.
Wir haben viel gejammt, mehr als jemals zuvor, ganze Sektionen mussten zum Laufen gebracht werden. Sachen wie "Evermore" haben nur Mike, Pete und ich in Jams ausgearbeitet, wir haben es aufgenommen, später habe ich einen Text dazu geschrieben und darüber gesungen.
"Lay down your life" war ein Riff einer meiner Ideen, das Pete und Mike anfingen zu jammen, sie dachten sich alle verrückten Arten vertrackter Takte mit markanten Rhythmuswechseln aus und ich spielte nur ein paar Akkorde darüber, die wie Lennon klangen, das animierte Neal, Stehgreiftexte zu singen die keinen Sinn haben wie "Rain in Spokane" und so. Es war urkomisch!!!
Und dann haben wir es zu einem Part von "Whirlwind" ausgearbeitet, das ist einer meiner Lieblingsteile. Es ist ordentlich harter Stoff, dem wir echte Saiten zugefügt haben, im dicken Zeppelin Stil und mit verrückten E-bow Solo.
"On the Prowl" wurde aus einer Menge gejammter Ideen zusammengesetzt, Neal kam mit ein paar proggigen Geigen-Parts dazu, die wir hier und da einfügten, und so arbeiteten wir Petes "Is It Really Happening" zum totalen Prog-Wahnsinn aus.
Die Story hinter "Whirlwind" ist eine Kombination aus Neals Texten, meinen und Petes Textideen. Wir fügten es zusammen, dass es am Ende Sinn macht (was ich hoffe). Thema und Idee sollten Metapher für die Wendungen und Veränderungen im Leben sein, für die Kraft, die wir aufwenden müssen, um Erfolg zu haben.
Wir sahen, das das Leben ein Mysterium in sich selbst ist, wir alle hoffen auf gute Dinge Tag für Tag, aber das klappt nicht immer, es gibt Tage, die hart sind, wir haben einen langen harten Weg zu gehen, manchmal straucheln wir, und manchmal nimmt uns der "Wirbelwind" mit sich, entführt uns, bringt uns Kummer, Bitterkeit oder gar Hass, wir versuchen, dagegen anzukämpfen und die Dinge besser zu machen.
Wir verlieren unsere Lieben und unsere Freunde und fragen uns warum und versuchen ein Sinn in allem zu sehen.
Das "Whirlwind" Konzept ist ein wenig düsterer als die der vorherigen Alben, rauer, niemals resignierend, aber mit düsteren Gedanken gefüllt und ich denke, wir brauchten das, so konnten wir hart abrocken, und das war ein großer Spaß und hat sich gelohnt, manchmal ging es atonal und freakig mitten in einer hübschen Ballade ab."

Ragazzi: "Transatlantic - ein großer Spaß oder mühsame Arbeit?"

Roine: "Ein großer Spaß und viel harte Arbeit!
Es ist wirklich großartig, ich bin immer mit einer Menge Energie nach Hause gekommen, habe hart und viel für das Album gearbeitet, das wird auf der limitierten Edition der "Making Of" DVD vielleicht nicht zu sehen sein, was daran liegt, wie das zusammen geschnitten wurde, aber Fakt ist, ich war eine der treibenden Kräfte hinter dem Album, in allem, bis zum Mix und zum Artwork."

Ragazzi: "Die drei anderen sprechen Englisch als ihre Muttersprache. Ich denke, sie verstehen wohl kein Schwedisch? Wie gehst du damit um?"

Roine: "Das brauchen sie auch nicht, wir haben immer Englisch gesprochen. Ich bin geübt darin."

Ragazzi: "Was denkst du über den Input der anderen? Haben Neal und du die meisten Parts komponiert? Was haben Mike und Pete eingebracht? Nicht nur das Spielen ihrer Instrumente?"

Roine: "Oh nein, es waren nicht nur Neal und ich, es ist ein Transatlantic Album, das den größten Input aller Beteiligten hat, was Songs, Ideen, Arrangements, Texte und auch den Mix betrifft. Wir haben alles in Tennessee, USA, in Neals kleinem Studio aufgenommen. Wir versuchten gemeinsam, das richtige Gefühl hinzubekommen - ich war total aufgeregt - wir arbeiteten sehr hart daran, die Magie - den Feenstaub - um es so zu sagen, zum Leben zu bringen, immerzu, was auch immer ich tat, ob ich irgendwo saß, las oder ging, im Studio, in meinem Hotelzimmer, in der Nacht, oder wenn ich mit neuen Ideen am nächsten Tag wiederkam.
Wir waren ganz Musiker zusammen im selben Raum und probten und nahmen das neue Album Stück für Stück auf, setzten es in neuen Sektionen zusammen, wie wir es überlegten.
Ich habe stets versucht, so detailliertes und qualitatives Spiel wie möglich in alle Aufnahmen einzubringen, in alles, was ich tue und tat, und einiges kam noch später hinzu, in unseren Overdub-Sessions (in meinem Fall in Schweden). Ich bin sehr glücklich über das Album als Ganzes und ich bin mir sicher, dass es den Test der Zeit bestehen wird und mit den Jahren wachsen wird.
Wir allen haben Herz und Seele und alle unsere kollektiven Experimente in der Musik aufgehen lassen und waren perplex über die Qualität des Ergebnisses, über den Level, den wir dieses Mal erreicht hatten und ich denke, das gilt auch für die weiteren Ingenieure und Leute, die den Mix getan haben.
Pete, Neal und ich haben jetzt die 50 erreicht. Es ist ein ausgereiftes Album geworden, wir hatten mehr Spaß als je zuvor und fühlten uns wie alte Kameraden."

Ragazzi: "Jahr für Jahr neue Musik zu komponieren, wird das immer leichter oder schwerer im Laufe der Zeit? Ist deine Inspiration, deine Kreativität die gleiche wie die von 1993? Wie hat sich das entwickelt?"

Roine: "Ha! Wenn du die alten Fans fragst, werden sie sagen, dass ich es verloren habe, nicht mehr kann. Das ich keine neue Musik mehr schreibe, die sie fertig macht, oder die eine Entwicklung zeigt. Aber das sagt mehr über die Hörer, ihre persönliche Entwicklung. Ich meine, wenn ich damals, 1994, ein Album wie "Agents of Mercy" gemacht hätte, wäre das ein Klassiker geworden, der von allen als bahnbrechendes Album im neuen Prog bezeichnet worden wäre. Leider kann man sein erstes, "jungfräuliches" Prog-Album nicht wieder und wieder machen, du musst dich entwickeln und verändern. Aber du wirst immer verglichen mit dem, was du in der Vergangenheit gemacht hast, was die Leute für "klassisch" halten, und das ist nicht fair.
Ich persönlich fühle mich heute sehr inspiriert und ich meine, viele Sachen wie Transatlantic "The Whirlwind", Agents of Mercy "Fading Ghosts Of Twilight" und das neue 3rd World Electric Album sind sehr aufwendig und komplex - auf ihre Weise.
Das Einspielen von 3rd World Electric war ein großer Spaß, etwas, wovon ich eine lange Zeit geträumt hatte. Ich bin mit dem Mahavishnu Orchestra aufgewachsen, mit Weather Report, Headhunters, Billy Cobham, usw., viel mehr als mit Prog, Rock oder Pop.
Ich bin ein großer Fan von Josef Zawinuls Musik. Also habe ich ein paar Songs in dieser Art geschrieben, als Hommage an Joe. Als er starb, meinte ich, das tun zu wollen und müssen, "die Reifen in Bewegung zu halten", und ich hatte sofort Jonas (Reingold, d. Red.) an Bord, er ist der totale Pastorius Freak.
Ich hoffe, dass wir das jetzt auf die Bühne bringen können und eine Liveplatte aufnehmen, die die Band beim Experimentieren und Improvisieren zeigt.
Außerdem finde ich den zurückliegenden temporären Bruch der Flower Kings als gesund und als etwas, das dafür sorgen wird, dass da eine inspirierte, andersartige neue Veröffentlichung folgen wird. Aber zuerst arbeite ich an einigen anderen Projekten, um alles zu überdenken."

Ragazzi: "Das Publikum, die Fans, die Freaks - was ist da, Liebe oder Hass?"

Roine: "Du kannst gar nicht anders, sie sind so hingebungsvoll, gehen zu großen Konzerten und auf Festivals und zeigen uns ihren Respekt und ihre Dankbarkeit. Die Tour, die wir gerade mit Karmakanic und Agents of Mercy unter dem Banner "The Power of 2" gemacht hatten, war der größte Spaß, den ich seit Jahren auf der Bühne hatte. Das ist etwas, das bleibt."

Ragazzi: "Transatlantic - ein Traum oder ganz OK?"

Roine: "Wenn du eine Tournee meinst, oder ein neues Album, würde ich sofort Ja sagen!"

Ragazzi: "Werdet ihr auf Tour gehen?"

Roine: "Wir gehen höchstwahrscheinlich 2010 auf Tournee. Im Frühling in den USA und Europa, vielleicht Südamerika, Kanada und Japan. Ich persönlich liebe es mehr, auf großen Bühnen zu spielen, ich kenne Leute, die kleinere, intime Clubs bevorzugen, ich kann das nachvollziehen, mag aber ein großes Publikum viel lieber, große Bühne mit großartiger Technik, bester Produktion. Da fühle ich mich entspannter. Über Festivals bin ich mir nicht sicher, vielleicht später. Transatlantic ist ein sehr kompliziertes Ding auf Tournee mit Zillionen Synthesizern und Gitarrenzeug und ich fürchte, wir werden nicht die besten Shows geben, wenn der Soundcheck nicht perfekt ist, wir unsere eigenen Amps benutzen und unsere eigene Crew dabeihaben usw."

Ragazzi: "Wie sieht die Zukunft der Band aus? Hat Transatlantic eine Zukunft?"

Roine: "Transatlantic? Klar, ich denke doch! Zumindest hoffe ich das! Wenn unsere jeweiligen Zeitpläne das zulassen, sehe ich keinen Grund, warum wir nicht weiter neue Musik aufnehmen sollten. Wir haben so viel mehr neue Musik in uns, so viel mehr zu spielen, aufzunehmen."

VM




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