Im Interview: Raymond Watts (PIG)

PIG ist KMFDM ist PIG

Manchmal kommt es anders als man denkt und Interviews entwickeln eine Eigendynamik. Da bereitet man akribisch diverse Fragen vor, zerbricht sich den Kopf über eine besonders innovative Einstiegsfrage und dann das. Raymond Watts, seines Zeichens Kopf von PIG, wartet nicht brav auf meine erste Frage, sondern beginnt mir Fragen zu stellen. Woher ich komme und wie ich denn seine neue Platte finde. Tja, und so waren wir plötzlich mitten drin in einem anregenden Gedankenaustausch...

ragazzi: "Das aktuelle PIG Album "Genuine American Monsters" erschien bereits 1999 in Amerika. Erst jetzt, drei Jahre später, kann man es in Deutschland kaufen. Warum diese unterschiedlichen Veröffentlichungstermine?"
Raymond: "Nach der Veröffentlichung in Amerika war ich mit so vielen anderen Dingen beschäftigt, dass ich es einfach vergessen habe, die Platte auch hier herauszubringen. Ich war in Amerika auf Tour, meine Frau hat Kinder bekommen etc."
ragazzi: "Worauf bezieht sich der Albumtitel?"
Raymond: "Es ist ein Überbegriff für verschiedene Arten von Monstern, die man in der amerikanischen Gesellschaft findet, wie z.B. Serienmörder. "Genuine American Monsters" bezieht sich auf die andere, unheimliche Seite des reizvollen und hellen Amerika. Von der amerikanischen Kultur fühlen sich scheinbar viele Menschen angezogen. Amerika ist das Beste und Schlechteste zugleich, vereint in einem einzigen Tier."
ragazzi: "Lass uns einen Blick zurückwerfen. Was waren Höhepunkte deiner bisherigen Karriere und was würdest du am liebsten vergessen?"
Raymond: "In den Achtzigern habe ich einige Zeit in Deutschland verbracht. Als die Mauer fiel, war es für mich Zeit zu gehen. Die Party war vorbei. Ich habe die Jahre in Deutschland wirklich geliebt. Ich habe musikalisch viel experimentiert und begonnen mit Bands wie KMFDM und den Einstürzenden Neubauten zusammenzuarbeiten. Es war sehr aufregend. Als ich nach London zurückkehrte, war ich enttäuscht von der engstirnigen Musikszene. Keiner wollte Musik veröffentlichen. So kam ich zu einem Projekt, das mich nach Japan und zu japanischen Musikern führte."
ragazzi: "Für jemanden aus dem Westen ist es ziemlich ungewöhnlich, mit japanischen Musikern und Labels zusammenzuarbeiten. Wie kam es dazu?"
Raymond: "Ich habe in London japanische Musiker getroffen. So hatte ich verschiedene Kontakte und reiste mehrfach nach Japan. Dort wird unkonventioneller gearbeitet, deshalb konnte ich mich mehr mit der Musik beschäftigen, die mich wirklich interessiert, wie z.B. PIG. Es macht Spaß mit japanischen Labels zu arbeiten. Man hat eine gute Promotion, kann mit seinen Wunschmusikern zusammenarbeiten etc. Und Japan ist ein interessanter Ort zum Leben."
ragazzi: "Raymond, du arbeitest an zwei großen Projekten: PIG und KMFDM. Was ist deine Hauptband?"
Raymond: "Das ist definitiv PIG. Es gibt einige Musiker, die in beiden Bands spielen. Es ist inzwischen so etwas wie eine Ehe zwischen PIG und KMFDM entstanden."
ragazzi: "In den Achtzigern hattest du ein besonderes Motto: "Terrorismus statt Wohlklang schaffen". Welche Intention stand dahinter?"
Raymond: "Mich hat nie normales Songwriting interessiert. Mich interessierte es mehr, verschiedene musikalische Genres miteinander zu kombinieren, z.B. elektronische Sounds mit Latin oder Salsa und Orchesterklänge mit denen von druckvollen Gitarren."
ragazzi: "Ist PIG allein dein Projekt oder sind daran noch andere Musiker beteiligt?"
Raymond: "Ich spiele zwar Gitarre und auch einige andere Instrumente, aber ich arbeite lieber mit richtig fantastischen Musiker. Sie spielen jeweils ihren Part und dann sind sie wieder raus. So kann ich die Kontrolle über allem behalten. Ich bin verantwortlich und muss mich mit niemandem einigen oder streiten. Ich schreibe auch sämtliche Texte und einen Großteil der Musik selbst."
ragazzi: "Wo findest du deine Inspiration?"
Raymond: "Mich inspirieren Reaktionen gegen etwas. Wenn ich beispielsweise Dancemusic höre, möchte ich etwas völlig Entgegengesetztes komponieren. Die Inspirationen für meine Texte finde ich in Gemälden, aber genau so auch in diesen schrecklichen TV Programmen oder in Boulevardblättern."
ragazzi: ""Genuine American Monsters" klingt sehr aufgeschlossen gegenüber anderen musikalischen Stilen. Hast du das beabsichtigt oder ist es eher zufällig passiert?"
Raymond: "Es ist einfach passiert. Die meisten Menschen möchten Musik hören, die sehr einfach ist. Nur einen Stil auf einer Platte. Wenn ich viele Alben verkaufen wollte, würde ich nur in eine musikalische Richtung arbeiten. Aber ich brauche Veränderungen, damit ich nicht das Interesse an einer Sache verliere. Sonst wäre ich schnell gelangweilt. Damit haben viele Leute Probleme. Plattenlabels und Zeitschriften können nicht damit umgehen und Plattenläden wissen nicht, wo sie meine Alben einordnen sollen. Auf der einen Seite ist es großartig, nur das zu machen, was du möchtest. Auf der anderen Seite kann es ein Problem sein - nämlich dann, wenn du deine Rechnungen bekommst."
ragazzi: "Wie sind denn die Verkaufszahlen?"
Raymond: "In Amerika verkaufen wir etwa 30.000 Platten. Mit KMFDM ist es viel mehr, so 200.000 Stück. In Europa gab es von PIG seit Jahren keine Veröffentlichung. Insofern bin ich sehr gespannt auf die Verkaufszahlen von "Genuine American Monsters"."
ragazzi: "Werdet ihr live in Deutschland zu sehen sein?"
Raymond: "Ja, wahrscheinlich als "KMFDM featuring PIG". Ich hoffe, wir können im kommenden Frühjahr oder Sommer einige Shows spielen. Man kann bereits einen Vorgeschmack auf unsere Liveperformance bekommen, wenn man sich die Live DVD (KMFDM featuring PIG) besorgt, die Anfang 2003 herauskommen wird."

Stefan




Zurück