Mortiis (Norwegen)

"Endlich das getan, was ich wirklich tun wollte"

Mortiis - ein Name, der bisher mit minimalistischem, depressivem Dark Ambient aus Norwegen assoziiert wurde. Vereinzelt löst der Name auch Erinnerungen aus an die Black Metal Combo Emperor, der Mortiis für kurze Zeit angehörte. Hat man den Musiker einmal auf einem Foto gesehen, so glaubt man sich an ein Fabelwesen erinnert. Die lange Nase und die überdimensionalen Ohren konnten fraglos zu seinen Markenzeichen gezählt werden. Und sie sind es noch immer! Ansonsten ist jedoch kaum noch etwas, wie es einmal war. Das wird schon beim ersten Hören des aktuellen Mortiis-Albums "the Smell of Rain" (VÖ: 22.10.2001; EARACHE Rec. / SPV) deutlich und bestätigte sich im Interview, das ich kürzlich mit dem charismatischen Künstler führen konnte. Obwohl noch etwas verkatert von einer durchzechten Hamburger Nacht, hatte ich mit Mortiis, der mit bürgerlichem Namen Havard Ellefsen heißt, einen äußerst freundlichen und aufgeschlossenen Gesprächspartner am anderen Ende der Telefonleitung.
 
ragazzi: "Nach dem Hören deines neuen Albums wird es wahrscheinlich niemanden geben, der die deutlichen Veränderungen in deiner Musik nicht wahrnimmt. Was sind die Gründe für diese Entwicklung?"
Mortiis: "Einer der Hauptgründe für die Veränderungen ist, dass ich zum Zeitpunkt von "Stargate" (das 1999 erschienene letzte Album von Mortiis, Anm. d. Verf.) sehr desillusioniert war von der Musik, die ich machte."
"Ich hörte in jenen Tagen primär computerprogrammierte Musik von Bands wie Nine Inch Nails, Ministry, Enigma, Front Line Assembly und dachte, o mein Gott, das ist richtig coole Musik, ich möchte etwas Ähnliches machen. Also begann ich, mich mit Programmierung zu beschäftigen. Es war ein hartes Stück Arbeit, konnte ich doch zunächst keinen einzigen Beat programmieren. Doch die Mühe hat sich gelohnt: das Ergebnis macht mich sehr glücklich. Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich musikalisch das getan, was ich wirklich tun wollte."
ragazzi: "Bekanntlich brauchen viele Menschen Kategorien, in die sie Musik einordnen können. In welche musikalische Schublade würdest du deine aktuelle Platte stecken?"
Mortiis: "Ja, Menschen wollen gesagt bekommen, was sie denken sollen. Es ist schwierig, eine Kategorie zu finden. Ich würde meine Musik am ehesten noch mit Electro-Industrial beschreiben. Obwohl ich dabei kein wirklich gutes Gefühl habe. Das Problem der meisten Electro-/Industrial-Acts ist, dass sie nicht Songs im eigentlichen Sinne schreiben, sondern sich allein an der Tanzflächenkompatibilität orientieren. Das ist auch in Ordnung so, aber es ist nicht das, was ich möchte, nämlich Musik und Songs schreiben, die Gefühle und Reaktionen auslösen. Klar würde ich mich auch freuen, wenn ein DJ einen Titel von Mortiis spielen würde. Aber das ist nicht meine primäre Absicht und würde auch nicht mit jedem meiner Songs funktionieren."
ragazzi: "Wie entstehen deine Songs? Gibt es bestimmte Inspirationen, die du zum Schreiben deiner Musik benötigst?"
Mortiis: "Also, ich brauche natürlich mein Equipment. Daneben glaube ich, dass meine größte Inspiration von anderen Bands kommt. Ich höre ein Stück und denke, so etwas möchte ich auch schreiben. Dabei geht es absolut nicht um das Kopieren anderer Künstler, sondern um Gedankenanstösse."
"In vielen Fällen sind da zunächst einmal nur Melodiefetzen, einzelne Töne oder Sounds, normalerweise auf dem Keyboard gespielt Alles beginnt mit einer solchen Grundidee, um die herum dann Stück für Stück immer mehr aufgebaut wird. Man kann es mit dem Bau einer Mauer vergleichen: Man beginnt mit einem einzelnen Stein und am Ende steht das komplette Bauwerk vor einem. Irgendwann nehme ich dann eine erste Demoversion auf, variiere diese mehrfach und füge Intros, Samples etc. hinzu. Die Texte liegen fast immer schon bereit, bevor die Musik geschrieben ist."
ragazzi: "Stichwort Texte: Würdest du mir zustimmen, dass es ein Thema gibt, das sich durch die Stücke der neuen Scheibe zieht?"
Mortiis: "Ja, dem ist so. Vielleicht gilt es nicht für alle Titel, jedoch für die Meisten. Man findet eigentlich zwei Hauptthemen auf dem Album. Das erste reflektiert die tiefe Depression, in der ich mich vor einigen Jahren befand. Die zweite Problematik steht damit in Zusammenhang. Ich beobachte die Gesellschaft und wie sie mit Leuten umgeht, die anders sind. Dies empfinde ich als sehr deprimierend. Und auch das Thema Religion spielt eine Rolle."
ragazzi: "Warum hast du als Albumtitel "the Smell of Rain" gewählt?"
Mortiis: "Es hat zu tun mit einem gewissen Zustand, in dem sich wohl jeder von uns schon mal befunden hat: Man hat ein sehr heftiges Verlangen nach etwas, beispielsweise nach Wasser, wenn man durstig ist und will dieses Verlangen natürlich auch stillen. Der Titel steht für etwas Positives, denn Regen bedeutet Wasser, das wiederum ein Symbol für das Leben darstellt."
ragazzi: "Wie bereits festgestellt, hat sich deine Musik mit der aktuellen Platte radikal verändert. Du nennst dein Projekt aber weiterhin Mortiis. Was spricht aus deiner Sicht gegen eine Namensänderung, um auch in dieser Hinsicht deine Metamorphose deutlich zu machen? Besteht nicht die Gefahr, dass du durch das Festhalten an Mortiis potenzielle neue Hörer "abschreckst"?"
Mortiis: "Ich trage diesen Namen nun schon so viele Jahre. Es würde für mich keinen Sinn machen, da etwas zu ändern. Ich bin nun mal Mortiis, das müssen die Leute einfach akzeptieren. Ich, wie auch alle anderen Menschen, die an dieser Platte beteiligt sind, glauben an den Erfolg auch unter dem Namen Mortiis. Wir müssen den Leuten eben deutlich machen, wofür Mortiis heute steht. Im Übrigen gibt es sogar eine kleine Änderung: Das in den Namenszug integrierte "M: Era 2" symbolisiert die neue Ära."
ragazzi: "Ist Mortiis eine Kunstfigur, die nur für Plattenproduktionen und auf der Bühne "aufersteht" oder existiert Mortiis 24 Stunden am Tage, 7 Tage die Woche, 365 Tage im Jahr?"
Mortiis: "Am Anfang gab es so etwas wie ein Image, das Mortiis vermittelte. Inzwischen steht keine Philosohpie mehr dahinter. Mortiis, das bin einfach ich, in anderer Gestalt zwar, aber dennoch immer der gleiche Typ, das gleiche Schwein, das ein Mann eben ist. Obwohl es für viele Menschen so scheinen mag, schlüpfe ich da in keinerlei Rollen, wie es beispielsweise Schauspieler tun. "
ragazzi: "Ich würde dein Äußeres als sehr speziell und nicht gerade alltäglich beschreiben. Inwiefern spielt das Outfit für dich eine Rolle und wofür steht es?"
Mortiis: "Es repräsentiert schlicht Mortiis. Es ist eine Möglichkeit, auch visuell ein bestimmtes Konzept umzusetzen und so eine Einheit aus Musik und Optik zu schaffen. Gleiches gilt im Übrigen auch für das Artwork der CD und für das Video, das ich gedreht habe."
"Das Konzept Mortiis ist ganz simpel ohne große intellektuelle Ideen oder ähnlichem dahinter. Allein auf diese Weise gelingt es mir, wirklich ehrlich zu sein."
ragazzi: "Du hast also zum ersten Mal auch ein Video gedreht. Was können wir diesbezüglich erwarten?"
Mortiis: "Ja, es ist ein Video zu "Parasite God" entstanden. Ich sehe es als eine Möglichkeit der Promotion, damit viele Leute die Chance haben, mich und meine Musik kennenzulernen. Wir haben in Death Valley und in einer Kirche in London gedreht. Es wird viel von Mortiis in dem Video zu sehen sein und ich denke, es ist großartig."
"Mit Sicherheit wird es bei MTV nicht zwanzigmal am Tag laufen. Aber ich denke doch, dass sie es in den spezielleren Sendungen spielen werden."
ragazzi: "Meine letzte Frage: Gibt es Pläne für eine Tour, und wenn ja, werden dich auch die deutschen Fans live erleben können?"
Mortiis: "Eine Tour wird auf jeden Fall stattfinden, jedoch nicht vor Februar nächsten Jahres. Ich kann dir noch nicht viel Konkretes dazu sagen, da wir mitten in den Vorbereitungen, die mit einem erheblichen Aufwand verbunden sind, stecken. Nur soviel: Es werden diverse Musiker mit mir auf der Bühne stehen und es wird großartig werden. Und auf Deutschland freue ich mich besonders, weil ich weiß, dass es gerade hier viele Fans meiner Musik gibt."
ragazzi: "Ich danke dir für deine interessanten Antworten und freue mich schon jetzt, dich nächstes Jahr live zu sehen."

Stefan Bast

    



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