LACRIMOSA

Der imaginäre Soundtrack

Lacrimosa - das sind Tilo Wollf und Anne Nurmi. Ihr neues Album "Echos" ist einmal mehr eine Symbiose aus Rock und Klassik, welche die Musik des Duos in den letzten Jahren prägte. Weit über die deutschen Landesgrenzen hinaus ist die Band bekannt und erfolgreich. Trotz anspruchsvoller deutscher Texte und Songs, die eben nicht gleich beim ersten Hören einschlagen. Eine Ausnahmeerscheinung? ragazzi sprach mit Sänger und Komponist Tilo Wolff.


ragazzi: "Ihr zählt zu den erfolgreichsten deutschen Bands des Gothic-Genres. Wie habt ihr das erreicht?"
Thilo: "Ich möchte mir mal einbilden, dass die Menschen spüren, dass wir etwas Echtes sind. Dass hier nicht Musik zusammengeschustert wird, sondern dass hier Inhalte und Emotionen sind. Es ist unsere Wahrhaftigkeit und Beständigkeit - und die spürt auch der geneigte Hörer."
ragazzi: "Gibt es ein Lacrimosa-Markenzeichen?"
Thilo: "Es gibt verschiedene Markenzeichen. Wir wurden im Laufe der Jahre mit verschiedensten Labels behaftet. Zuerst hieß es, "Lacrimosa sind die Mitbegründer des deutschsprachigen Undergrounds". Danach hieß es, "wir sind die Begründer des Gothic-Metal" und inzwischen heißt es, "Lacrimosa sind die Begründer des orchestralen Gothics". Ich selber würde sagen, dass unsere Markenzeichen emotionale und gefühlsbetonte Musik und Inhalte sind."
ragazzi: "Welches Feedback bekommt ihr von den Fans?"
Thilo: "Wir bekommen sehr viel und sehr unterschiedliches Feedback. Leute schreiben uns, dass ihnen unsere Musik in schweren Zeiten geholfen hat. Oder dass ihnen unsere Musik eine gewisse Heimat bietet. Fans legen unsere Musik auf, wenn es ihnen schlecht geht und fühlen sich dann besser. Weil sie sich verstanden fühlen."
ragazzi: "Das widerspricht dem Klischee, dass Gothic-Rock traurig und depressiv macht..."
Thilo: "Es gibt natürlich Musik in diesem Genre, die auch mich traurig machen würde. Die höre ich mir aber nicht an. Wir greifen Themen auf, die auf unserer Seele lasten. Da alle Menschen die Suche nach Geborgenheit bewegt, ist Lacrimosa eine Band, die vielleicht etwas mehr Aufmerksamkeit bekommt."
ragazzi: "Es gibt im Internet erstaunlich viele Lacrimosa-Fansites aus aller Herren Länder. Aus Mexiko, Brasilien, Weißrussland, Türkei und so weiter. Ihr müsst ja wirklich sehr beliebt sein!"
Thilo: "Das ist eine unfassbare Sache, die ich mir selber nicht erklären kann. Und auch nicht erklären will. Denn das würde die Sache entzaubern. In Ländern, in denen die deutsche Sprache keine Rolle spielt, hat unsere Musik so einen großen Stellenwert. Die schönste Episode dazu passierte uns während einer Tournee durch Mexiko. Wir saßen in einer Pizzeria, als ein Straßenmusiker hereinkam. Der spielte verschiedene Lieder auf seiner Gitarre und plötzlich "Der brennende Komet" von Lacrimosa."
ragazzi: "Würdest du euer neues Album "Echos" einem Neu-Lacrimosa-Fan als Einstieg empfehlen?"
Thilo: "Im Prinzip ja. "Echos" vereint viele Elemente Lacrimosas und spiegelt vieles wieder, was uns ausmacht."
ragazzi: "Welche Gefühle finden sich in den Texten auf "Echos" wieder?"
Thilo: "Wenn man davon ausgeht, dass man seinen Gegenüber nur dann lieben kann, wenn man sich selbst liebt. Wenn man den Gegenüber nur dann verstehen kann, wenn man sich selbst versteht. Dann ist der inhaltliche Aufbau des Albums so zu verstehen: Erstens: Die Suche in sich selbst, die eigene Persönlichkeit zu begreifen. Zweitens: Die Hingabe, sich dem zu öffnen und hinzugeben und sich dem zu stellen. Drittens: Der Bittruf. Dinge, die man gelernt hat, auch festzuhalten. Nachdem man das alles in sich selbst definieren konnte, soll man den Blick nach außen wenden und von Neuem mit der Suche bei dem Gegenüber beginnen."
ragazzi: "Das neue Album ist deutlich ruhiger als seine Vorgänger und der Anteil klassischer Musik gestiegen. Warum?"
Thilo: "Mit dem Vorgänger "Fassade" hatte ich mir einen lang gehegten Traum erfüllt. Nämlich eine Kombination aus Gitarrenmusik und orchestraler Musik zu schaffen, die für mich in vollem Umfang stimmig ist. Danach war ich sehr befreit und konnte ganz unbefangen meine Gedanken und Emotionen fließen lassen. Dabei ist mir gar nicht aufgefallen, wie viel Orchester ich eingebaut habe und wie wenig Gitarren. Das hat viel mit der persönlichen Konstitution zu tun und der eigenen Entwicklung, mit der man die Musik reflektiert."
ragazzi: "Gibt es eigentlich Stimmen aus dem Lager der klassischen Musik, die sich ernsthaft mit Lacrimosa auseinandersetzen?"
Thilo: "Wenn man die professionelle Stimmen meint, dann Nein. Die Damen und Herren sind nach wie vor befangen."
ragazzi: "Kannst du dir vorstellen, mal ein rein klassisches Werk zu schaffen?"
Thilo: "Derzeit nicht. Vielleicht in zehn Jahren. Vielleicht wenn ich meine Sturm- und Drangzeit abgeschlossen habe."(lacht)
ragazzi: "Wie findest du andere Bands, die Gothic oder Metal mit Klassik verbinden? Zum Beispiel Therion?"
Thilo (schmunzelt): "Dazu möchte ich im Rahmen dieses Interviews lieber nichts sagen..."
ragazzi: "Zwei eurer Songs, "Sacrifice" und "Ein Hauch von Menschlichkeit", erinnerten mich an Barmusik aus alten Schwarz-Weiß-Filmen. Ist die Interpretation passend oder Quatsch?"
Thilo: "Ich finde das sehr interessant. Und in Bezug auf "Ein Hauch von Menschlichkeit" kann ich das auch hundertprozentig verstehen. Ich sitze selber gern in verqualmten Bars und höre dort den Musikern zu. Vielleicht kommt es daher. Die beiden Titel sind aber auch sehr bezeichnend für das Album, weil sie ein bisschen mit angezogener Handbremse funktionieren."
ragazzi: "Hättest du denn Lust, mal eine Filmmusik zu komponieren?"
Thilo: "Sicher. Sehr sogar. Das Problem ist nur, dass ich noch keine Zeit gefunden habe und auch noch kein Regisseur auf mich zugekommen ist. Am liebsten würde ich natürlich die Musik zu meinem eigenen Film schreiben. Ich sehe Lacrimosa eh als Soundtrack für einen imaginären Film."
ragazzi: "Gibt es einen Regisseur mit dem du sofort arbeiten würdest?"
Thilo: "Natürlich! Aber leider weilen von denen nicht mehr alle unter uns. Ich mag die Filme von Charlie Chaplin, Stanley Kubrick oder David Lynch."
ragazzi: "Zu David Lynch, dem noch lebenden der Drei, würde deine Musik auch gut passen. Das Subtile, die verräucherten Bars - da wäre alles beisammen..."
Thilo (lacht): "Ja!"
ragazzi: "Du sagtest mal, dass du live nicht mit Orchestern arbeitest, weil sie dir den Raum zum Improvisieren nehmen. Hat sich an der Einstellung was geändert?"
Thilo: "Im Moment noch nicht. Aber das wird sich eines Tages ändern. Das hat dann auch wieder was mit der Sturm- und Drangzeit zu tun, wenn ich erst genug Tourneen als Rock'n'Roll-Band absolviert habe. Wir werden dieses Album auch nicht betouren. Das liegt aber nicht am Album. Ich bin seit 2000 ununterbrochen beim Komponieren, Produzieren oder eben auf der Bühne. Jetzt muss ich erst mal wieder die Batterien aufladen, bevor ich auf der Bühne wieder hundert Prozent geben kann."
ragazzi: "Was sind eine Wünsche für 2003?"
Thilo: "Ich habe eigentlich nur einen Wunsch. Dass endlich "Echos" in den Regalen steht. Denn ich kann mir Lacrimosa ohne dieses Album nicht mehr vorstellen. Am Veröffentlichungstag werde ich mich wie ein kleines Kind freuen. Und dann hoffe ich, dass das Publikum, welches Lacrimosa bisher vertraut hat, nicht enttäuscht ist."
ragazzi: Vielen Dank für das Interview!"

LARS




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