In Extremo

Von Gauklern, Rockern, Instrumentenbauern und einem toten Pferd

Keine mittelalterliche Festung oder Burg war Schauplatz des Treffens von ragazzi und In Extremo, sondern das schlichte Ambiente des Savoy-Hotels in Frankfurt/M. Statt Met gab es eine Runde Milchkaffee und das Einfüllen von Süßstoff in selbigen - vom Dudelsackspieler Yellow Pfeifer mit den Worten: "Das macht den Mokka rund" begleitet - sorgte für große Heiterkeit und weckte Erinnerungen an den Film "Wir können auch anders". Ein gemeinsamer Lieblingsfilm, wie sich herausstellte. "Den kenn ich inzwischen auswendig, der ist einfach Kult", lachte In Extremo Sänger Das letzte Einhorn. Yellow Pfeifer und Der Lange, Gitarrist und Dritter im Bunde, nickten grinsend. "Wir gucken den immer wenn wir im Nightliner unterwegs sind." Und es folgten weitere Zitate aus dem Streifen, der an dieser Stelle nur wärmstens empfohlen werden kann. Aber keine Angst, dass Gespräch artete nicht in eine Fachsimpelei über Filme aus. Über das neue Album der rockenden Spielleute "Sünder ohne Zügel" wurde auch gesprochen.

RAGAZZI: "Ihr habt schon einige der neuen Titel auf Festivalauftritten getestet. Wie waren die Reaktionen?"
Das letzte Einhorn: "Sehr gut. Besonders "Wind" kam gut an. Oft tun sich die Leute ja schwer mit Sachen, die sie noch nie gehört haben. Aber das können wir nicht behaupten."
RAGAZZI: "Gerade "Wind" ist für meinen Geschmack ein eher gewöhnungsbedürftiger Titel."
Das letzte Einhorn: "Wir wollen mit der neuen Scheibe Veränderungen schaffen. Diese Platte ist eine bewusste Weiterentwicklung. Ob uns das gelungen ist, entscheiden letztendlich die Hörer. Und die Medien."
RAGAZZI: "Wie sehr interessiert euch das, was über euch geschrieben wird?"
Yellow Pfeifer: "Wir sind total neugierig darauf, wie die Platte angenommen wird."
Das letzte Einhorn: "Es gab mal einen Journalisten in Frankfurt, dem wir ein Interview gaben. Der hatte eine Praktikantin und die fragte uns allen Ernstes, was In Extremo mit dem Dritten Reich zu tun hat! Ich war total verdattert und fragte, wie sie das meinte. Die Antwort war: Im Dritten Reich gab es doch auch viel Feuer und Fackelumzüge, deshalb habe ich das verbunden. Wir sind daraufhin aufgestanden und gegangen. Also so was passiert dir auch."
Der Lange: "Wir machen multikulturelle Musik und dann das! Fackelumzüge!"
RAGAZZI: "Da hätte man euch genauso gut mit der DDR in Verbindung bringen können!"
Das letzte Einhorn: (lacht) "Aber weißt du, wenn Journalisten solche Fragen stellen, würde ich mich mit denen nie wieder an einen Tisch setzen! Wenn solche dummen Assoziationen verbreitet werden, kann dir das das Kreuz brechen!"
Der Lange: "Aber da sieht man eben, dass wir uns mit den Meinungen der Medien auseinandersetzen. Um noch mal auf den Titel "Wind" zurückzukommen. Du sagst gewöhnungsbedürftig. Ein Kollege von dir meinte, dass ist als Opener auf der CD genau der richtige Kracher."
RAGAZZI: "Ihr seid ja aufgrund eures Instrumentariums keine Rockband im klassischen Sinne. Wie muss man sich bei In Extremo den Entstehungsprozess neuer Songs vorstellen?"
Das letzte Einhorn: "Da gibt's keinen großen Unterschied. Jeder kommt mit einer Idee und wirft die in'nen großen Topf. Dann wird kräftig umgerührt und was rauskommt, ist In Extremo."
RAGAZZI: "Wer rührt?"
Das letzte Einhorn: "Jeder."
St. Sebastian: "Wir sind sieben Leute, die Woche hat sieben Tage. Da ist jeder mal dran."
Das letzte Einhorn: "Sieben Tage, sieben Köpfe."
RAGAZZI: "Es gibt aber doch bestimmte Regeln. Zum Beispiel dass die Dudelsäcke nicht zu kurz kommen, oder?"
Das letzte Einhorn: "Na klar. Wir achten schon darauf das unsere Dudelsackspieler nicht arbeitslos werden. Schließlich stehen wir in der Tradition der Spielleute. Das sind unsere Wurzeln. Warum sollen wir einen Gitarrenchorus machen, wenn wir Dudelsäcke, Drehleier oder Harfe haben."
RAGAZZI: "Die Merseburger Zaubersprüche haben es euch wohl angetan. Sie sind schon auf eurem letzten Album vertreten und jetzt wieder..."
Das letzte Einhorn: "Das sind ja auch zwei Teile. Auf "Verehrt und angespien" ist der erste Teil. Und auf der neuen Platte der Zweite. Das wollten wir so machen."
Yellow Pfeifer: "Teil zwei hat einen völlig anderen Text."
Das letzte Einhorn: "Es gibt aber eine Verbundenheit zwischen den Merseburger Zaubersprüchen und uns. In beiden Teilen geht es nämlich darum, die Menschheit vor dem Bösen zu bewahren. Und wir sind nicht das Böse. Wir sind keine böse Band. Wir wollen einfach gute Laune verbreiten. Das ist wichtiger, als sich auf der Bühne mit Theaterblut zu beschmieren."
RAGAZZI: "Aber ihr arbeitet schon mit Showelementen wie dem besagten Feuer und einem Galgen."
Yellow Pfeifer: "Das sind Gaukeleien, Spielmannskunst."
Das letzte Einhorn: "Wenn ein Spielmann früher in eine Stadt oder ein Dorf kam, trug er sein Instrument in der Hand und musste damit überzeugen. Er spielte Lieder, die nicht jeder kannte, und er musste das mit Gaukeleien untermalen. Und wenn den Bewohnern das nicht gefiel, wurde er vom Dorfplatz gejagt."
Der Lange: "Und er war der Nachrichtenüberbringer. Gern gesehen, aber genauso gern wieder rausgeschmissen..."
RAGAZZI: "...wenn er schlechte Nachrichten hatte. Inwieweit sind eure Gaukeleien auf der Bühne einstudiert? Oder seid ihr Meister der Improvisation?"
Yellow Pfeifer: "Also die Feuer-Shows sind natürlich nicht spontan. Da ist genau festgelegt was, wann, wo. Aber obwohl wir so oft zusammen spielen, ist es nie das Gleiche was auf der Bühne passiert."
Das letzte Einhorn: "In Extremo hat keine Bühnenchoreographie. Niemals!"
RAGAZZI: "Das ist sicherlich auch platzabhängig bei euch, oder? Ich erinnere mich an ein Konzert im Rostocker M.A.U. Da ging es recht eng zu."
Das letzte Einhorn: "Das macht dann auch keinen Spaß mehr. Rostock war eine super Veranstaltung! Aber auf dieser Bühne möchte ich nicht noch mal spielen! Die ist einfach zu klein. Das hat nichts mit dem Club zu tun! Das Publikum war gut drauf, die Veranstalter waren nett. Aber ´ne Bühne von drei mal vier Metern für sieben Leute, nee."
RAGAZZI: "Wie schwer ist es, die Texte in den vielen verschiedenen und alten Sprachen zu lernen?"
Das letzte Einhorn: "Ich beherrsche diese Sprachen ja nicht, sondern nur die entsprechenden Texte. Das ist aber gar nicht so kompliziert, da ich mich intensiv damit beschäftige. Ich kenne auch alle Übersetzungen, denn ich möchte ja wissen was ich singe. Und ich suche die Texte selber aus."
RAGAZZI: "Wo findest du die Texte? Wühlst du dich durch verstaubte Archive?"
Das letzte Einhorn: "Zum Beispiel. Es gibt Liedersammlungen, die Carmina Burana. Manchmal hilft auch der Zufall, wie bei dem Stück "Nature Nous Semont", das lose in einem Archiv lag. In diesem altprovenzialischen Text aus dem zehnten Jahrhundert geht es darum, dass ein Spielmann in einem Wirtshaus sitzt, als ein General hereinkommt und alle Männer mit in den Krieg nehmen will. Doch der Spielmann versteckt sich unter zwei Weiberröcken. Dass deren Ehemänner mit am Tisch sitzen, stört ihn nicht. Im Gegenteil, er spielt unter den Röcken sogar noch ´n bisschen rum. Und das sind Texte, mit denen wir uns identifizieren können! Der ist tausend Jahre alt, aber noch heute total richtig!"
Yellow Pfeifer: "Das war der erste Kriegsdienstverweigerer!"
RAGAZZI: "Kennt die Band alle Texte, oder überlässt sie das ihrem Sänger?"
Das letzte Einhorn: "Die kennen sie schon. Aber natürlich nicht so gut wie ich. Doch wenn wir die neuen Songs für die Tour proben, möchte ich dass sie den Background singen. Das gab's bisher nicht bei In Extremo. Ich musste immer alleine singen und jetzt müssen die Kollegen mal mitmachen."
Der Lange: "Wir hatten die Texte ja auch im Studio schon vor der Nase. Da kriegst du das rein von der Phonethik schon mit."
RAGAZZI: "Ihr baut eure Dudelsäcke selbst. Wo lernt man das?"
Yellow Pfeifer: "Auf Mittelaltermärkten, bei Instrumentenbauern. Wir haben schon ewig unsere Eigenen gebaut und sind dabei immer ehrgeiziger geworden. Wenn einer nicht schön oder laut genug war, wurde weiter probiert, bis der Dudelsack besser zu spielen, oder eben lauter war. Das ist ein Lernprozess, der noch nicht abgeschlossen ist."
RAGAZZI: "Und was hat es mit eurem neuesten Instrument, dem Pferd, auf sich?"
Das letzte Einhorn: "Das ist eine überdimensionale Rahmentrommel, über die eine ganze Pferdehaut gespannt wird. (Das Pferd ist übrigens eines natürlichen Todes gestorben!) Der Bauer bot Dr. Pymonte, der im selben Dorf wohnt, die Pferdehaut an. Denn er wusste, dass der Musik macht und mit Trommeln arbeitet. Dr. Pymonte und Morgenstern, unser Drummer, haben dann diese Trommel draus gemacht."
RAGAZZI: "Kommt die auch live zum Einsatz?"
Das letzte Einhorn: "Klar!"
RAGAZZI: "Das Ding muss doch riesengroß sein?"
Das letzte Einhorn: "Ja es ist groß und schwer. Aber wir haben eh soviel Zeug dabei, da kommt's da auch nicht mehr drauf an."
Yellow Pfeifer: "Unsere Techniker haben wir alle in Fitness-Studio geschickt."
RAGAZZI: "Zurzeit seid ihr ja fast ausschließlich mit dem Rockprogramm unterwegs. Ist demnächst mal wieder eine reine Mittelalter-Tour oder -CD geplant?"
Das letzte Einhorn: "Wir könnten jeden Tag auf einem Mittelaltermarkt spielen. So viele Angebote haben wir. Aber das sind meist solche Märkte, wo die Veranstalter nur ihre Bockwürste verkaufen wollen. Und darauf haben wir keine Lust. Man erwartet von uns, dass wir uns mittelalterlich kleiden und stellt daneben Plastezelte auf, wo Cola verkauft wird. Außerdem sind wir `ne Rockband. Das ist unsere Priorität!"
RAGAZZI: "Dann freuen wir uns auf das neue Rock-Album und auf die bevorstehende Rock-Tour und bedanken uns für das Interview!"

LARS




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