ILLUMINATE

Viel Feind, viel Ehr

Zehn Jahre Illuminate: Konsequent ging die Band um Johannes Berthold in dieser Zeit ihren Weg. Und das, obwohl nicht immer alles glatt lief. Wirtschaftliche Rückschläge und Anfeindungen von Musikkritikern kennzeichneten diese Jahre. Doch eine stetig wachsende und treue Anhängerschaft und Rückendeckung von anderen Künstlern entschädigten dafür. Zum Jubiläum erscheinen gleich zwei Best-Of-CDs: "10x10 Black" und "10x10 White". Alle Songs hat Berthold komplett neu eingespielt. Das schwarze Album enthält die härteren Nummern, während sich das Weiße der romantischen Seite Illuminates widmet. ragazzi sprach mit Johannes - aber weniger über die Musik, sondern ließ sich ihm ein paar Anekdoten aus den letzten zehn Jahren erzählen.


ragazzi: "Wenn du die vergangenen zehn Jahre einmal Revue passieren lässt, was ist da neben der Musik so alles passiert?"
Johannes: "Da kann ich dir eine ganz kleine Anekdote vorausschicken. Irgendwann muss man ja einmal einen Zeitpunkt finden, an dem man sagt: Das ist der Tag X oder das Jahr X. Und diese zehn Jahre Illuminate kommen so zustande, dass ich ausgerechnet habe, wann der erste musikalische Output auf Tonträger erschienen ist. Und das war im Jahr 1993. Da erschien unsere erste MC "Poesie". Und die gibt es bei unserem Fanclub auch immer noch zu kaufen."
ragazzi: "Lass uns gleich mal bei den Fans bleiben. Existiert so eine Hardcore-Fraktion, die von Auftritt zu Auftritt hinterher reist?"
Johannes: "Da gibt's schon welche. Doch nicht so viele, dass sich Autokolonnen bilden. Bei einigen Konzerten sehe ich aber Gesichter in der ersten Reihe, die mir bekannt vorkommen."
ragazzi: "Wenn du heute noch einmal die Idee hättest, eine Band zu gründen, würdest du es wieder tun? Und würdest du alles genauso machen?"
Johannes: "Sagen wir mal so: Wenn morgen alles vorbei wäre, würde ich keine neue Band gründen. Ich kenne inzwischen den Musikmarkt und habe selber viele schlechte Erfahrungen gemacht. Deshalb würde ich mir das nicht noch mal antun wollen. Ich kann das aber nur sehr schwer beantworten. Denn das, was ich vor zehn Jahren begonnen habe, war ja sehr erfolgreich. Ich kann seitdem von der Musik leben, bewirtschafte eine Firma und habe vor kurzem meine 100 000. Platte verkauft. Den Traum, Musiker zu werden, habe ich mir erfüllt. Anscheinend habe ich alles richtig gemacht. Ich hatte aber auch das Glück, Anfang der Neunziger, zur richtigen Zeit mit dem richtigen Produkt an die richtigen Leute zu geraten. Heute traut sich doch niemand mehr eine junge Band aufzubauen!"
ragazzi: "Gibt es Dinge, die du im Nachhinein bereut hast?"
Johannes: "Oh, viele! Ich habe oft Vertrauen in Menschen, ehemalige Bandmitglieder, gesetzt, die dies mit Füßen getreten haben. So etwas ist für mich das Schlimmste. Und dann habe ich so viel Lehrgeld bezahlt, dafür könnte ich mir einen neuen 911er Porsche vor die Haustür stellen. Ich habe zwei Vertriebskonkurse miterlebt, wo mir mehrere 10 000 Mark nicht mehr ausgezahlt wurden. Es gibt Veranstalter, die mir Gagen schulden, weil sie Pleite gingen. Dadurch stand ich schon mehrmals selbst kurz vor dem Ruin. Zum Glück hatte ich immer ausreichend Rücklagen gebildet."
ragazzi: "Was hat dein musikalisches Schaffen in den vergangenen Jahren beeinflusst?"
Johannes: "Ich bin unbewusst von tausend verschiedenen Dingen beeinflusst worden. Aber trotzdem musste ich mir immer wieder anhören, dass meine Musik wie die von Lacrimosa klingt. Andere meinen, sie klingt wie die von Goethes Erben. Beides ist abwegig. Vielleicht stellt sich das für Außenstehende so dar. Bei Techno klingt für mich auch alles gleich."
ragazzi: "Illuminate hat von Anfang an sehr polarisiert. Überwiegen da die guten oder die schlechten Erfahrungen?"
Johannes: "Ich habe unter den Künstlern der Gothic-Szene viele starke Charaktere kennen gelernt. Sie alle stehen hundertprozentig zu dem, was sie machen. Musiker wie Thilo Wolff von Lacrimosa, Mozart von Umbra et Imago und ich stecken in derselben Schublade, was Anerkennung und Ablehnung anbelangt. Ich meine, du bist nur ein guter Künstler, wenn die Leute sich an deiner Kunst reiben können. Damit zu leben, ist aber schwierig. Ich habe anfangs lange Zeit Probleme damit gehabt, wenn ich von der Presse unterhalb der Gürtellinie angegriffen wurde. Es gibt da so ein Szenemagazin, dass mit den beiden "S", bei dem ich jedes Mal auf dem letzten Platz im Soundcheck lande. Und das mit Kommentaren wie: "Da muss ich kotzen". Ich musste erst lernen, damit fertig zu werden. Illuminate ist mein Kind. Und wer es schlägt, tut mir weh. Ich habe nichts gegen Kritik. Aber sie sollte konstruktiv sein. In diesen Situationen haben mir die Kollegen sehr geholfen, indem sie mir klargemacht haben: Je heftiger die Kritiken, desto größer deine Popularität. Viel Feind, viel Ehr."
ragazzi: "Jetzt lass uns mal von was Positivem reden! Welche schönen Erlebnisse gab es?"
Johannes: "Es gibt zwei Fanbriefe, die mich wirklich Tage und Wochen beschäftigt haben. Der eine stammte von einem Mädchen, das sich umbringen wollte. Durch Zufall, glückliche Fügung oder wie auch immer ist sie an die Musik von Illuminate geraten. Und die gab ihr die Kraft, von ihrem Vorhaben abzulassen. Ich habe das erst gar nicht so ernst genommen. Aber auf einem Konzert hat mich dieses Mädchen angesprochen und wir haben uns lange unterhalten. Da wusste ich, die Geschichte war wahr und nicht nur so ein Fan-Gespinne. Der andere Brief stammte von einer Mutter, deren Sohn mit Anfang 20 tödlich verunglückt war. Der Junge hatte seinen letzten Willen hinterlassen und unter anderem stand darin, dass auf seiner Beerdigung unser Lied "Ein neuer Tag" laufen sollte. Die Mutter wollte sich nur bei mir bedanken, weil das Lied allen Anwesenden so viel Kraft gegeben hätte. Da habe ich gewusst, das ist der Beweis dafür, dass unsere Musik einen Sinn hat."
ragazzi: "Stellt so ein zehnjähriges Jubiläum für dich einen Wendepunkt dar? Wird sich bei Illuminate etwas verändern?"
Johannes: "Nein. Die Zehn ist doch nur eine Zahl. Die beiden Best-Of-Alben waren eine Spielwiese. Die neuen Versionen der Songs lassen auch keine Rückschlüsse auf die nächsten Produktionen zu. Ich habe für mein Label gerade einen neuen Vertriebsvertrag abgeschlossen. Der läuft über drei Jahre. Solange wird es also weitergehen. Die drei Alben, die in der Zeit entstehen sollen, stecken schon in meinem Kopf. Was danach kommt - wer weiß es..."
ragazzi: "Vielen Dank für das Interview!"

LARS




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