GIRLS UNDER GLASS

"Wir machen es niemandem recht"

Die Hamburger Band Girls Under Glass gehört zu den Urgesteinen der deutschen Wave- und Gothic-Szene. Seit 1987 im Geschäft blieb ihnen der ganz große Erfolg aber immer verwährt. Doch aufgeben kam für das Trio nie in Frage. Nun haben sie ihr zehntes Album namens "Zyklus" am Start. Und vielleicht klappt es ja diesmal, denn schon die Single "Ohne Dich" feat. Peter Spilles von Project Pitchfork sorgte für gehörigen Wirbel und "irgendwie ist im Vorfeld alles anders", erzählte Sänger Volker Zacharias im ragazzi-Interview.


ragazzi: "Du bist nicht nur der Sänger von Girls Under Glass, du arbeitest auch hauptberuflich als Promoter in der Musikbranche. Das heißt, du sorgst dafür, dass Bands von der Presse beachtet werden und z.B. Interviewtermine bekommen. Jetzt bist du durch die CD-Veröffentlichung deiner Band selbst in der Position, von einer Promotionagentur betreut zu werden. Ist das eine ungewohnte Situation für dich?"
Volker: "Ungewöhnliche Frage, die hat mir noch niemand so gestellt. Musik ist eine Leidenschaft seit meiner frühesten Jugend. Und ich hatte das Glück, aus meinem Hobby einen Beruf zu machen. Ich habe als Labelmanager gearbeitet und bin jetzt im Bereich Musik-Consulting tätig. Nur wenn man durch seinen Job so tief im Business steckt, wenn große Verantwortung auf einem lastet, dann leidet die eigene Kreativität darunter. Als ich Labelmanager war, hatte ich kaum Bedarf, selbst Musik zu machen. Jetzt als Promoter ist das wieder anders. Von daher ist die Situation, selbst Interviews für seine Platte zu geben, auch nicht ungewohnt."
ragazzi: "Euer Album "Zyklus" war schon lange Zeit fertig, bevor es in den Handel kam. Wird man da nicht hippelig, wenn die fertige Platte so lange unveröffentlicht herumliegt?"
Volker: "Nee. Dafür sind wir schon zu lange im Geschäft. Das kennen wir schon. Obwohl im Falle von "Zyklus" wirklich ein langer Zeitraum zwischen Fertigstellung und Veröffentlichung lag. Eigentlich sollte die CD im Frühherbst 2004 erscheinen. Kurzfristig ergab es sich aber, dass das Album auf einem anderen Label rauskommt. Dadurch änderten sich einige Dinge, wie die Auswahl der Single. Der Veröffentlichungstermin verschob sich auf Ende Januar. Es kamen ein paar Monate, in denen außer organisatorischem Kram überhaupt nichts passierte und wo man denkt: Jetzt wird es aber Zeit. Aber dann erschien die Single und sorgte schon für einigen Wirbel, und von da an waren auch wir wieder heiß auf den Albumstart."
ragazzi: "Kannst du kurz das Konzept hinter "Zyklus" erklären?"
Volker: "Der Titel "Zyklus" stand schon ganz am Anfang der Platte im Raum. Da war uns noch gar nicht bewusst, dass es unser zehntes Album ist. Für mich bedeutet das Wort Zyklus nur, dass wir an die Essenz von Girls Under Glass anknüpfen. Dass sich mit diesem Album ein Kreis schließt und dass wir unsere experimentelle Phase abgeschlossen haben. Dieses Sich-jedes-Mal-neu-definieren haben wir hinter uns gebracht. Wir wissen jetzt, wo wir stehen und was wir können. Dann erst fiel mir auf, dass es unser zehntes Album ist und dass die Zahl zehn genau diesen Zyklus beschreibt. Ich beschäftige mich nämlich etwas mit Zahlenmystik und esoterischen Dingen. Es war ein genialer Zufall."
ragazzi: "Du hast mal gesagt, deutsche Texte liegen dir nicht. Nun sind aber drei deutschsprachige Songs auf dem Album. Hat sich deine Meinung geändert?"
Volker: "Eigentlich nicht. Aber wir haben uns ja auch nie gegen die deutsche Sprache gewehrt. Allerdings kann ich mit der englischen Sprache freier agieren. Deutsch ist wenig lyrisch und gleitet schnell in eine Plattheit ab. Man kann das Deutsche aber gezielt einsetzen, um beispielsweise eine bestimmte Kraft zu transportieren. Das ist mir erst beim Vorgänger-Album "Minddiver" bewusst geworden und seitdem habe ich mich dem Deutschen mehr geöffnet. Wenn der Text knackig und direkt sein soll, ist es genau die richtige Sprache. Ich glaube zwar ausschließen zu können, dass wir mal ein rein deutschsprachiges Album machen. Aber so langsam werde ich Fan solcher Texte."
ragazzi: "Du sagtest, dass du dich mit esoterischen Dingen beschäftigst. Ihr zündet im Studio Räucherstäbchen an, trefft euch zum gemütlichen Tee trinken - seid ihr eine esoterisch angehauchte Band?"
Volker: "Nein das sind wir nicht. Aber dieses Szenario, das du beschrieben hast, stimmt. Wenn Hauke und ich uns treffen dann werden Kerzen und Räucherstäbchen angezündet und Tee gekocht. Das ist die Stimmung, in der wir am liebsten neue Stücke kreieren. Aber das hat nichts mit Esoterik zu tun. Ich persönlich bin allerdings an Yoga und Reki interessiert, meditiere viel und lebe dadurch sehr bewusst. Das sind Sachen, die mir Spaß machen und die mir helfen, in mich zu kehren und neue Energien zu tanken."
ragazzi: "Aber das fließt doch dann bestimmt in irgendeiner Form in eure Musik ein…"
Volker: "Vielleicht. Es geht in unseren neueren Songs hauptsächlich um Liebe und Leidenschaft und das auf einer sehr emotionalen und tiefen Ebene. Das war früher nicht so und vielleicht liegt das an meiner bewussteren Lebensführung. Denn ich reflektiere das, was in mir passiert. Andere Inspirationsquellen gibt es fast gar nicht mehr."
ragazzi: "Girls Under Glass haben sehr oft die Plattenfirma gewechselt. Jedes der letzten drei Alben erschien bei einem anderen Label. Warum?"
Volker: "Ich kann sogar sagen, dass unsere letzten vier Alben bei unterschiedlichen Labels erschienen. Davor waren wir aber viele Jahre der Firma Strange Ways treu. Und die haben wir nur verlassen, weil sie uns international nicht weiterbringen konnten. Es war einfach eine Verkettung unglücklicher Umstände. Und es lag nicht daran, dass wir eine komplizierte Band sind. Dass wir bei Nuclear Blast ("Firewalker") und Hall Of Sermon ("Equilibrium") nach nur einer Platte wieder wechseln mussten, lag an der jeweiligen speziellen Ausrichtung der Labels. Da wir da schon keinen Bock mehr auf Labelsuche hatten, haben wir unser eigenes gegründet und "Minddiver" veröffentlicht. Doch um "Zyklus" optimal zu vermarkten, haben wir beschlossen, wieder zu einer etablierten Firma zu gehen. Und so sind wir bei Dependent gelandet, dessen Chef Stefan Herwig ich sehr schätze und der extra für uns ein Sublabel gegründet hat."
ragazzi: "Ihr seid seit 18 Jahren im Geschäft aber im Verhältnis zu anderen Bands eine eher kleine Nummer. Wolfsheim oder Project Pitchfork sind in eurem Windschatten bekannt geworden und längst populärer als ihr. Frustriert das nicht?"
Volker: "Nee - ohne Scheiß. Ehrlich gesagt nicht. Auch wenn das unglaublich klingt. Wir haben immer das gemacht, was wir für richtig hielten. Denn wenn man das gleiche macht wie Zwanzig andere, nur schlechter - dann hat man keine Existenzberechtigung. Unser neues Album ist mit nichts vergleichbar, was es in der deutschen Musiklandschaft aktuell gibt. Und damit fühlen wir uns wohl. Aber es ist auch eine schwierige Position, weil du zwischen allen Stühlen sitzt. Denn wir machen es niemandem recht. Dem einen ist es zu viel Gitarre. Dem anderen zu elektronisch. Die Leute wollen es am liebsten einfach. Klare Message, klares Image. Doch dagegen wehren wir uns. Und deshalb laufen wir nur mit, anstatt ganz vorn zu sein."
ragazzi: "Aber ihr habt nie aufgegeben…"
Volker: "Genau. Weil wir nie frustriert waren."
ragazzi: "Warum gebt ihr so wenige Konzerte?"
Volker: "Wir sind eine Insider-Band…"
ragazzi: "Es kommen nicht genug Leute…"
Volker: "Wenn du weißt, das nur hundert Leute kommen und du auch nur eine entsprechende Gage bekommst und dir deshalb nur zehn bunte Lampen über der Bühne leisten kannst, dann tut dir das in der Seele weh. Wir haben leider nicht die finanziellen und personellen Möglichkeiten, die Band live so zu präsentieren, wie wir das gerne wollen. Aber für die Konzerte zu "Zyklus" nehmen wir das in Kauf. Wir wollen wieder den Kontakt zum Publikum suchen und mit unseren Fans einen geilen Abend haben. Deshalb spielen wir auch in Städten, wo wir noch nie oder seit Ewigkeiten nicht mehr gespielt haben. Aber Geld haben wir seit zehn Jahren nicht mehr durch Konzerte verdient."
ragazzi: "Vielen Dank für das Interview."

LARS




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