DAS ICH

   

Der Antichrist und die Achse des Bösen

Mit ihrem aktuellen Longplayer "Anti'Christ" werden Das Ich für Aufregung sorgen. Bei ihren Fans aufgrund der genialen, ungeheuer düsteren und infernalischen Songs. Bei strengen Sittenwächtern und Moralaposteln dagegen wird das Werk, allein des Titels wegen auf scharfen Widerstand treffen. Dabei ist der provokante Titel nur die obere Schicht eines vielseitigen und durchdachten Albums, mit dem das Duo um Keyboarder Bruno Kramm und Sänger Stefan Ackermann einmal mehr seine Ausnahmestellung in der Gothic-Szene untermauern werden.
ragazzi: "Die Inhalte eures Albums handeln biblische und religiöse Themen sehr kritisch, und zugeschnitten auf unsere Gesellschaft, ab..."
Bruno: "Genau. Es wird viel persönliches mit den Symbolen des Christentums ausgedrückt."
ragazzi: "Was waren die Auslöser für diese Themen?"
Bruno: "Der 11. September. Das haben wahrscheinlich schon viele Bands gesagt. Aber für uns war nicht das Datum das wichtige, sondern die vielen Menschen die dort gestorben sind. Das Schlimme ist nur, dass jeden Tag überall furchtbar viele Menschen sterben. Besonders in der Dritten Welt. Dafür interessiert sich nur keiner. Was uns nach dem 11. September aber am meisten berührt hat, war die Polemik, die in die Politik eingezogen ist. Die einzige Weltmacht schmeißt plötzlich mit Begriffen und Symbolismen um sich, wie der "Achse des Bösen". Das hat uns wirklich schockiert. Ab dem Moment wo du von Böse und Gut sprichst, ist keine Diskussion mehr möglich. Seit mit dem Untergang des Kommunismus der Kapitalismus keine Reibungsfläche mehr hatte, hat man sich mit der islamischen Welt einen neuen Gegner gesucht. Dabei hätte stattdessen ein kultureller Austausch erfolgen sollen. Und da einfache Menschen mit den Worten Gut und Böse immer etwas anfangen können, wird das Ganze zu einem demagogischen Machtmittel, um Kriege vorzubereiten. Da kann man schon Angst bekommen. Denn eigentlich sollten die Begriffe Gut und Böse, die in allen Religionen vorhanden sind und früher für jeden Krieg missbraucht wurden, heute nicht mehr funktionieren. Für uns war das der Anlass, den Antichrist als schockierendes Symbol in den Vordergrund zu stellen, um dahinter das symbolisch und angeblich als gut dargestellte Individuum in einer zweiten Ebene zu kaschieren. Das war der Auftrag des Albums."
ragazzi: "Euer provokante Albumtitel wird doch aber bestimmt auch Assoziationen mit dem Satanismus, und da speziell mit dem Satanistenmord von Witten, wecken."
Bruno: "Da muss ich ganz ehrlich sagen: Das ist ein weiterer Aspekt, warum es uns gar nicht gestört hat, dieses Album "Anti'Christ" zu nennen. Wenn ich mir anschaue, wie alles, was irgendwie mit der Gothic-Szene zusammenhängt, zum Aufhänger genommen wird, dass die Grufties böse sind, dann ist es nicht verkehrt, unsererseits in die Vollen zu gehen. Dann wird man mit Sicherheit an uns ein gefundenes Fressen haben. Nur im Unterschied zu einem einzelnen angefeindeten Gruftie haben wir ein großes Podium, auf dem wir uns wehren können. Deshalb nehmen wir es Kauf, dass uns die Medien vorschnell als Antichristen bezeichnen. Dann können wir nämlich in die Diskussion treten und unseren Standpunkt klar machen."
ragazzi: "Den Antichrist Superstar hat ja Marylin Manson in die Welt getragen. Was hältst du von ihm?"
Bruno: "Ich mag Manson schon ganz gerne. So in der Disco zum Abtanzen. Aber letztendlich ist er nur diese amerikanische Variante. Entertainment und Geisterbahn. Für uns steckt mehr dahinter."
ragazzi: "Ihr seid selbst durch die USA getourt. Wie habt ihr die Szene dort erlebt. Welche Unterschiede zu Deutschland gibt es?"
Bruno: "Die Szene dort ist sehr ambivalent und seltsam. Schätzungsweise 60 bis 70 Prozent der Grufties dort sind überzeugte Christen. Und viele haben einfach keinen intellektuellen Background. Außerdem ist Amerika ein Land der Oberflächlichkeit, die du ständig zu spüren bekommst. In der Szene ist das nicht anders. Es geht viel mehr um Mode und Styling."
ragazzi: "Die Musik auf "Anti'Christ" geht wieder zurück zu euren Wurzeln. Sie ist eingängiger als die letzten Produktionen. Dabei sagst du, dass ihr viel weniger Studiotechnik als sonst verwendet habt. Kannst du das erklären?"
Bruno: "Wichtig war für mich, dass ich nach all den Experimenten der letzten Jahre wieder zum ursprünglichen Impuls von Das Ich zurückkomme. Beim Arbeiten selbst habe ich einen Song erst dann als solchen betrachtet, wenn er auch mit minimalen Mitteln funktionierte. Ich habe die Songs am Klavier geschrieben und wenn sie da nicht funktionierten, habe ich es sein gelassen. Danach erst bin ich ins Studio gegangen und habe die Arrangements dazu erarbeitet. Und dabei habe nur ein minimales Set verwendet. Dem Album hat das sehr gut getan, weil ich nicht in Klangexperimenten ausgeufert bin. Heute kann ja jeder an seinem Heimcomputer ein ganzes Album realisieren. Aber die Gefahr besteht da natürlich, dass du dich im Sound verlierst. Das merkt man bei vielen Future-Pop-Produktionen der heutigen Zeit. Da ist alles eine Frage der abgefahrensten Sounds. Von Kompositionen bleibt nichts übrig."
ragazzi: "Und wie war die Arbeit an den Texten?"
Bruno: "Die war ganz ähnlich. Stefan und ich hatten vorher grob das Thema definiert. Diesmal haben wir beide Texte geschrieben und diese zusammen überarbeitet. Auch dabei haben wir darauf geachtet nicht abzuschweifen, sondern auf den Punkt zu kommen."
ragazzi: "Der Song "Keimzeit", um nur mal einen herauszugreifen, ist für mich eine Hymne gegen die Bevormundung von Kirche und Gesellschaft. Ist das eher als Beschreibung oder als Aufruf gedacht?"
Bruno: "Es geht darum, dass die Grufties sich nicht anfeinden lassen sollen. Sie sollen lieber ihre Individualität feiern. Als wir damals in Szene kamen, war das Zelebrieren unserer Eigenart das größte. Heute wird dagegen schon so eine Gleichförmigkeit gefordert. Das merkt man auch an der Musik. Alle Bands versuchen noch mainstreamiger zu werden. Dadurch geht diese Einzigartigkeit der Szene verloren. Früher hat man Musik gemacht, weil es ein Bedürfnis war und nicht um einen kollektiven Mainstream zu erreichen."
ragazzi: "Früher war alles besser?"
Bruno: "Nein. Solche Bestrebungen hat es schon immer gegeben. Ganz früher, als Bands noch Tapes veröffentlichten, war man schon verpönt, wenn man eine CD rausbrachte. Heute begleiten fette Marketingstrategien viele Veröffentlichungen. Es wird immer wieder Strömungen geben, wo etwas zum Mainstream übergeht. Das stört mich überhaupt nicht. Die Szene ist so vielseitig und wird auch dadurch ihre eigene Dynamik behalten. Sie wird sich nie vereinnamen lassen."
ragazzi: "Im Zusammenhang mit eurer Musik wurde oft der Begriff "Todeskunst" verwendet. Findest du das heute noch passend?"
Bruno: "Man kann das ja auch augenzwinkernd betrachten. Die Leute lieben nun mal Schubladen."
ragazzi: "Zu dieser Bezeichnung hat sicherlich auch euer Outfit beigetragen..."
Bruno: "Na Todeskünstler müssen ja auch hart aussehen. Wir haben aber auch das Bedürfnis die Dualität, die das Thema Antichrist ja schon fordert, darzustellen. Deshalb treten wir auch wieder als reines Duo auf."
ragazzi: "Wann kann man euch denn live erleben?"
Bruno: "Auf dem Meraluna-Festival und dann ab September auf Tournee in Deutschland."

Lars




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