Counter-World Experience Email-Interview 05/2009


Progressive Rock hat heute weltweit nur eine kleine Szene. Vermutlich gibt es mehr Musiker als Nichtmusiker, die sich an diesem Stil verausgaben, kreativ sowie als Hörer. Um wie viel weniger groß ist die Anzahl derjenigen Musikfreaks, die sich der extremen Innenvarianten der Szene annehmen? Und wie groß ist der Aufwand, dieserart Musik zu erschaffen und zelebrieren? Counter-World Experience gehören nicht zu den Bands, die mit ihrer Musik zu von der großen Meute heiß geliebten VIPs werden und über rote Teppiche stiefeln, während Horden von Fotografen sie einzufangen suchen (dabei sind Metallicas Songs viel langweiliger und durchschaubarer…). Und doch machen sie Album nach Album. Ich habe meine Neugierde gestillt (dabei tat ich so, als hätte ich das ältere Interview mit der Band bereits vergessen...).



Ragazzi: "Wer hatte die ursprüngliche Idee, die Band zu gründen, wie fing alles an, wie habt ihr euch gefunden? Noch früher: wie seid ihr mit Musik in Kontakt gekommen und wie hat sich euer persönlicher Stil entwickelt? Wie seid ihr zu euren Instrumenten gekommen, wie habt ihr die Versiertheit und Virtuosität an den Instrumenten entwickelt? Habt ihr nur geübt, seid geschlagen oder in den Keller gesperrt worden?:)"

Benjamin Schwenen: "Die Band hat sich in der Hochschule für Musik und Theater in Hannover zusammengetan; Drummer Thorsten studierte dort klassisches Schlagzeug, ich klassische Gitarre mit Nebenfach Schlagzeug. So traf ich eines Morgens Thorsten, der in einem Raum "Island magic" von Dave Weckl spielte. Meine frühere Death Metal Band "Execution" hatte sich zerschlagen und ich wollte nach Studienbeginn eine Jazz-Rock Band ohne Gesang gründen. Das stellte sich als schwierig heraus, denn Jazz-Rock war in Hannover 2001 ungefähr so beliebt, wie Dieter Bohlen bei einem Festival für Neue Musik. Wir probten in dem gleichen Proberaum, in dem auch unser Bassist Sebastian Hoffmann probte, der ebenfalls an der Hochschule studiert hatte (allerdings Jazz). Wir fragten Ihn, denn er war der einzige, der fähig war unsere kranken Ideen auch umsetzen zu können!
Zur zweiten Frage: Ich bin durch den guten Heavy Metal zur Gitarre gekommen, das Gitarrenstudium hat sicherlich geholfen, sehr diszipliniert zu üben und sich intensiv mit klassischer Musik auseinanderzusetzen. Ich bin übrigens nie geschlagen worden, wollte vielmehr selbst in den Keller, um den Amp aufzudrehen und zu spielen!"

Ragazzi: "Welcher Stil schwebte euch vor, wie hat sich der heutige Stil herausgeprägt, was inspirierte euch damals, was heute und was hat sich im Laufe des Bandlebens verändert? Wie wurde eure Musik euch zur Obsession, zur Lebensmitte, zum Pol eures Interesses?"

B.S.: "Ich wollte am Anfang von CWE weg vom Metal und hin zum Jazz-Rock; das hört man unserer ersten Platte "Always Home." auch an. Mehr und mehr hat sich unser dunkle Kern dann allerdings wieder durchgesetzt und die Musik ist von Album zu Album härter geworden. Die Band ist uneingeschränkt mein künstlerisches Zentrum; mit keiner anderen Band beschäftige ich mich intensiver. Würde man mir nur 8 Euro Stundenlohn geben, für die Zeit, die ich für CWE investiere, ich wäre ein reicher Mann!"

Ragazzi: "Wie seid ihr auf den Namen gekommen und was bedeutet er?"

B.S.: "Der linke Philosoph Ernst Bloch spricht in seinem Werk "Das Prinzip Hoffnung" von einer "Gegen-Welt", einer utopischen Möglichkeit, wo der Mensch noch nicht ist, aber sein könnte. Als Musiker versuchen wir Erfahrungen zu erreichen, die über die Ist-Welt hinausweisen. Das ist die ‚Counter-World Experience'."

Ragazzi: "Ihr spielt sehr technische Musik - wer sind eure Vorbilder - und womit wollt ihr auf keinen Fall verglichen werden?"

B.S.: "Alban Berg, Schönberg, Webern, Frank Martin; aber auch Morbid Angel, Meshuggah und Cynic. Nicht zu vergessen: Tribal Tech, Chick Corea, Pat Metheny, Frank Zappa und Vieles mehr! Vergleiche sind durchaus erlaubt."

Ragazzi: "Welches Equipment nutzt ihr, könntet ihr euch Endorsement vorstellen, und wenn, für welche Hersteller, welche Instrumente und Technik?"

B.S.: "Ich endorse den Schweizer Gitarrenhersteller "Soultool customized guitars"; tierische Gitarren. Ich besitze eine 6-Saitige und eine 7-Saitige mit Gitarrensynthesizer-Anschluss. Mein Amp ist der lauteste Serienamp des Universums: Crate BlueVoodoo 300H mit 300 Röhrenwatt! Es kann passieren, dass der Schlagzeuger sagt: "Ich höre meine Snare nicht mehr!" Unser Drummer Thorsten ist seit kurzem Endorser von Los Cabos Drumsticks und spielt ein Yamaha Drumset. Sebastian spielt Sandberg Bässe und Mark Bass Amps."

Ragazzi: "Wie sieht es mit einem festen Fankreis aus, erfahrt ihr mit der für große Erfolge im Mainstream zu komplexen Musik Erfolge und Zuspruch, Unterstützung und Anfeuerung?"

B.S.: "Zuspruch nur von aufgeschlossenen Geistern, die sich mit Musik intensiv beschäftigen und sich ein Album erarbeiten. Ansonsten sagen die Metaller oft: "Wo ist denn der Gesang?" und die Jazzer sagen: "Was ist denn das?""

Ragazzi: "Lebt ihr von der Band, von Musik? Ihr habt doch gewiss "richtige" Ausbildungen?!?"

B.S.: "Ich bin durch mein Studium Diplom-Musikerzieher, arbeite aber jeden Abend als Gitarrist im Orchester in Musical Theatern in Berlin. Von der Band kann man nicht leben, sie kostet eher! Sebastian und Thorsten arbeiten als Dozenten an Hochschulen, spielen Gigs mit anderen Projekten und unterrichten an Musikschulen."

Ragazzi: "Was sagen eure Freunde und Familien zu Counter-World Experience? Wie wird die Band in der Allgemeinheit wahrgenommen, über Szene und Rockmusik hinaus?"

B.S.: "Meine Verlobte kennt mich nicht anders, ihr ist das neue Album aber auch zu krass. Wenn Freunde sagen: "Das ist nicht meine Musik, aber gut gemacht" - bin ich zufrieden. Sie wundern sich allerdings schon, warum wir so viel Zeit und Geld investieren."

Ragazzi: "Gewiss habt ihr schon Unverständnis geerntet und Reaktionen bekommen, die eure Musik und Vision grundsätzlich missverstanden haben. Gibt es da belustigende Beispiele?"

B.S.: "Die besten Zitate aus Reviews waren: "Die Schlaumeier-Band" oder "…unangenehm fällt immer wieder das Gegniedel des Gitarristen auf"."

Ragazzi: "Habt ihr - über die ‚progressive' Szene hinaus Reaktionen bekommen, etwa in Form von Anfragen von Filmemachern oder Computerspielherstellern oder ähnliches?"

B.S.: "Leider nicht; sind aber für alles offen. Wie wäre es mit "The Counter-Strike Experience"?"

Ragazzi: "‚Metronomicon' ist euer drittes Album. Dem Namen und den Tracks nach ist es eine Art Konzeptalbum - es scheint eine zusammenhängende Idee hinter dem Album zu stehen, eine Philosophie, sehe ich das richtig und könnt ihr das erläutern?"

B.S.: "Das Album ist düsterer als die Vorgänger und hat eine starke rhythmische Komponente. Ohne die Erfindung des Metronoms würde es unsere Musik heute nicht geben. Das von H.P. Lovecraft erfundene Buch des Todes "Necronomicon" geistert ja schon seit Urzeiten durch die Metal-Welt; man denke an Morbid Angel. Somit symbolisiert das Wortspiel "Metronomicon" genau das, was wir tun: Die dunkle Seite des Rhythmus sozusagen!"

Ragazzi: "Zum Beispiel "Youth", dessen Thema aus einem Technorhythmus erwächst, immer wieder kommen diese "Antisounds" im Song vor, was wollt ihr damit aussagen?"

B.S.: "Die stampfende Techno-Bassdrum ist eine wirklich interessante Farbe, die ich sehr mag. Nach einem seltenen Diskobesuch entstanden. Der Mensch geht eine immer intensivere Verbindung mit Technologie ein; bald werden Handy und W-lan ins Gehirn verpflanzt und wir können ohne etwas zu sagen Informationen austauschen. Schon immer wurde Technologie benutzt, um die Kräfte des Menschen auszuweiten: Auto, Flugzeug, Schusswaffe, Atombombe, Handy etc. Sollten wir uns Sorgen machen?"

Ragazzi: "Verallgemeinert: die Prog-Szene liebt Longtracks, viele Bands scheinen ihre Kompositionsideen endlos weit auszudehnen. Bei euch klingt es eher, als sei jede Idee radikal komprimiert. Wie lange braucht ihr, einen Song zu kreieren, wie viele Themen kommen in einem Song unter, wie ist der allgemeine Entstehungsvorgang eurer Stücke?"

B.S.: "Richtig, bei Longtracks liegen meistens mehrere Themen vor, wie z.B. bei "Yes" oder "Spock´s Beard". Bei uns liegt oft ein musikalischer Gedanke zugrunde, der dann durchgeführt wird. Ganz oft ist dann nach 4 Minuten alles gesagt. Manchmal dauert es mehrere Wochen, bis ein Stück fertig ist, bei anderen Stücken bin ich nach drei Tagen fertig. Das Gros der Stücke entsteht zu Hause am Computer vor dem Notenprogramm mit meiner Gitarre in der Hand, manchmal auch vor Cubase, wenn eine klangliche Idee im Vordergrund steht (z.B. Youth)."

Ragazzi: "Wie sieht der kreative Vorgang aus? Wer bringt die Ideen ein, wie entwickelt ihr sie, wie viel wird verworfen, ändern die Songs sich stetig, diejenigen der ersten beiden Alben heute in Konzerten auch noch? Spielt ihr die Stücke live identisch zu den Studioaufnahmen oder ergeht ihr euch in Improvisationen und solistischen Exkursionen?"

B.S.: "Selten ist ein Jam Grundlage eines Stückes; jedoch entstehen die Grundideen bei mir beim Spielen mit der Gitarre. Da wir viel mit Sequenzer arbeiten und demnach auch Live zum Click spielen, bleiben die meisten Songs so wie sie sind; selbst die Alten. Trotzdem gibt es Live freie Soli und spontane Ideen, die nicht vorgeschrieben sind; wo bliebe sonst der Jazz!?"

Ragazzi: "Wie ist das, zu meinen, Material für ein neues Album zusammen zu haben. Sind dann die Ideen erschöpfend ausgeprägt oder zieht ihr einen bewussten Schlussstrich und stellt das unfertige Material für nachkommende Zeiten/Songs/Alben zurück?"

B.S.: "Die Stücke sind immer konzeptionell für ein Album aufeinander bezogen. Es gibt also nicht 20 Songs, aus denen wir dann 9 auswählen. So viel können wir gar nicht schreiben. Falls wir uns bei einem Stück oder einer Idee unsicher sind, wird sie meistens schon im kompositorischen Prozess verworfen. Wir sind selbst unsere größten Kritiker."

Ragazzi: "Könnt ihr eure eigenen Songs nach pfeifen, sind sie euch stets bewusst oder könnt ihr Abstand gewinnen und pfeift, z.B., Abba nach?"

B.S.: "Es wird auch ABBA gepfiffen, zumal ich das Musical Mamma Mia über ein Jahr gespielt habe… Wir können aber durchaus auch unsere "Lieder" nachsingen!"

Ragazzi: "Wie muss man sich das Bandklima in den verschiedenen Phasen vorstellen: während der Proben/Jams, in der Komposition, während Konzerten, neben der Band, persönlich?"

B.S.: "Wir sind eine stinknormale Band; albern rum, hängen in Kneipen ab und gucken Actionfilme aus den 80gern. Beim Proben sind wir sehr konzentriert, sonst kommen wir zu nichts. Ich wohne in Berlin, Sebastian und Thorsten in Hannover; die Probenzeit ist daher meistens knapp."

Ragazzi: "Vermutlich wird euch belustigen, irritieren und erschrecken, wie oberflächlich manches Feedback - auch von Kritikern und der Presse - auf eure Musik reagiert. Es dauert für Hörer eine Weile, die komplexe und technische Musik nachzuvollziehen und drauf zu haben. Bringt das Frustration hervor und birgt das letztlich die Gefahr, dass ihr meint, gar nicht so komplexe Musik machen zu müssen, es bringe sowieso nichts, die Anstrengung sei für die Katz'? Oder habt ihr Inspiration für weitere Songs und Alben in diesem komplexen Stil, findet Erfüllung in der Band?"

B.S.: "Es kommt schon vor, dass man - gerade, wenn wir in einem reinen Metal-Magazin reviewed werden - nicht verstanden oder sogar verrissen wird. Doch bei den einschlägigen Seiten, wie Babyblaue-Seiten oder Ragazzi haben wir schon das Gefühl, das sich hier jemand auf unsere Musik einlässt.
Tatsächlich fragen wir uns auch manchmal: Etwas weniger komplex plus ein Sänger und wir wären vielleicht viel erfolgreicher! Da wir aber im Musical-Theater oder als Lehrer in der Musikschule viele künstlerische Kompromisse eingehen müssen, soll Counter-World Experience das höchste Konzentrat unser kreativen Möglichkeiten bleiben."

Ragazzi: "Welche Sounds, die mit Counter-World Experience bislang nicht in Einklang gebracht waren, könntet ihr euch vorstellen? Welche Instrumente, welche Stil-Einflüsse interessieren euch?"

B.S.: "Vielleicht noch stärker mit klassischen Instrumenten arbeiten, oder einem Chor; das würde mich reizen. Allerdings nicht die Ingwie Malmsteen-Nummer! Wir haben auch überlegt ein Album mit bearbeiteten Kinderliedern zu komponieren. Jedes Album muss anders sein, sonst brauchen wir gar keines aufzunehmen."

Ragazzi: "Gibt es Reaktionen von anderen Bands, kreativen Musikern, innerhalb und außerhalb eures musikalischen Stiles?"

B.S.: "Die meisten finden es interessant und sind erstaunt, was ich in meiner "Freizeit" mache."

Ragazzi: "Welche Musik mögt ihr selbst und für welche heimliche (musikalische) Vorliebe macht ihr den Mund lieber nicht auf?"

B.S.: "Ich schäme mich für nichts. Neben oben genannten Komponisten und Bands habe ich auch Sachen wie Peter Fox, Destinys Child, Paul Anka, Michael Jackson oder Barbara Streisand im Regal. Das fließt auch alles irgendwie mit ein."

Ragazzi: "Wie sehen eure nächsten Zukunftspläne aus?"

B.S.: "Mehr Live spielen und weitere Alben aufnehmen. Den großen Bands zeigen, was `ne Harke ist!"

Ragazzi: "Gibt es Unterschiede in den Reaktionen zum neuen Album im Vergleich zu den Vorgängern - die Klassikeinflüsse oder was auch immer betreffend?"

B.S.: "Kann ich nicht sagen, weil noch nicht viele Reviews erschienen sind."

Ragazzi: "Wo kann man euch demnächst live sehen und hören?"

B.S.: "Zurzeit steht nichts an. Wir versuchen grade mit Live-Bookern zusammenzuarbeiten und damit unsere Live-Aktivitäten zu erweitern. Schaut einfach regelmäßig auf unserer Website nach!"




VM




Zurück