CORVUS CORAX

Von der Randnotiz zum Lied

Das letzte Corvus-Corax-Album "Seikilos" erschien im Herbst 2002. Leider fand sich damals keine Möglichkeit mit der Band zu sprechen. Deswegen nutzte ragazzi die vergangene Tanzwut-Tour, um bei den Spielleuten vorbeizuschauen. Mit Castus Rabensang plauderte ich unter anderem über die Recherche der alten Lieder, die teilweise einer kriminalistischen Puzzlearbeit gleichkommt.





ragazzi: "Wo suchen Corvus Corax nach alten Liedern und wie muss man sich diese Recherche vorstellen?"
Castus: "Wir stöbern viel in alten Büchern und haben uns mit der theoretischen Abhandlung mittelalterlicher Musik befasst. Doch das war uns noch nicht genug. Wir sind durch Bibliotheken gegangen, bis wir die Quellenangaben zu originalen Liedersammlungen gefunden haben. Das war oft nicht einfach. Teilweise mussten wir irgendwelche Professoren konsultieren, um wenigstens Kopien dieser Dokumente zu erhalten."
ragazzi: "Um die alten Quellen auswerten zu können, braucht man doch ein gewisses Grundwissen..."
Castus: "Klar. Aber die meisten von uns machen das ja schon seit 18, 20 Jahren. Da fuchst man sich einfach ein. Dieser Lernprozess ist durchaus mit einem Studium vergleichbar. Inzwischen kennen wir uns so gut aus, dass wir sogar Fehler entdecken, die der ursprüngliche Autor vor Jahrhunderten gemacht hat."
ragazzi: "Kannst du die Liedrecherche an einem Beispiel erklären?"
Castus: "Beim Lied "Suam Elle Ires" wussten wir nicht genau, wann es entstanden ist. Ein Historiker hatte es als Randnotiz aufgeschrieben. So wie es klingt, wird es wohl Anfang des 9. Jahrhunderts entstanden sein. Da wir aber nur diese Randnotiz hatten, war für uns die Arbeit sehr kompliziert. Die Musik klingt, als wäre sie arabisch beeinflusst. Also überlegt man sich: Wann lebte Mohammed? Wann rief er zum heiligen Krieg auf? Wann war er in Spanien? Dann kommt man zu dem Ergebnis, dass es so um 780 gewesen sein muss, wobei ich eher an die Zeit um 800 glaube. Anhand der Noten und Tonleitern kann man das ungefähr einordnen."
ragazzi: "Wenn ihr euch zu solchen Spezialisten gebildet habt, kommen dann auch schon mal Musikwissenschaftler zu euch, um von euch zu lernen?"
Castus: "Viele von denen denken, sie haben das Mittelalter erfunden. Das heißt, sie akzeptieren unsere Interpretation dieser Epoche nicht. Es gibt aber auch den Musikprofessor aus Leipzig, der sagte: "Ihr habt mir die Augen geöffnet. Im Mittelalter gab es auch so was wie Rockbands." Aber für die meisten Gelehrten besteht die Musik jener Zeit nur aus der höfischen Musik, der Minne."
ragazzi: "Wonach wählt ihr die Lieder aus, die ihr in euer Repertoire übernehmt?"
Castus: "Wir sehen uns ja in der Tradition der fahrenden Spielleute. Und die haben immer die Weisen aufgegriffen und weiterbearbeitet, die sie auf ihren Reisen kennen gelernt haben. Und genau das reizt uns auch heute noch. In unserem Keller lagern noch gut 5000 unbearbeitete alte Lieder aus aller Herren Länder. Wir würden nie mittelalterliche Werke wie zum Beispiel die Edda aufführen. Das wäre langweilig."
ragazzi: "Was haltet ihr von Bands wie Estampie oder Qntal, die auch Mittelalter-Musik, nur auf eine andere Art, machen?"
Castus: "Ich weiß, dass die von unserer Musik nicht so begeistert sind. Man hört da immer mal wieder diverse Bemerkungen. Aber ich finde diese Bands total genial! Wenn wir alle im Mittelalter leben würden, würden die bei Hofe sitzen. Wir würden über's Land ziehen und höchstens mal zu deren Belustigung spielen."
ragazzi: "Auf der Bühne seid ihr zu Acht: fünf Dudelsackspieler, drei Trommler. Wie stimmt ihr euch ab, damit alle im Takt bleiben?"
Castus: "Einer von den drei Trommlern gibt jeweils den Takt an. Meisten ist das Norri, weil er die Basstrommel schlägt. Die gibt die Geschwindigkeit vor. Aber nach all den Jahren sind wir so gut aufeinander abgestimmt, da klappt das Zusammenspiel wie von allein."
ragazzi: "Aber verspielt habt ihr euch auch schon, oder?"
Castus: "Klar. Das gehört dazu. Wir mussten auch schon Lieder beenden und noch mal von vorne anfangen. Aber seit wir nur noch nüchtern spielen (lacht), ist das besser geworden."
ragazzi: "Um Dudelsack spielen zu können, braucht man doch eine ungeheure Power. Trainiert ihr dafür?"
Castus: "Wir haben alle über fünf Liter Lungenvolumen, obwohl wir rauchen. Damit sind unsere Lungen größer als die des Durchschnittsmenschen. Wir haben früher alle Sport getrieben und jetzt ist das Musizieren unser Training. Ich hab auch mal eine Wette mit einem Bodybuilder gewonnen. Der konnte Wärmflaschen aufblasen, aber aus meinem Dudelsack hat er keinen Ton rausgekriegt. Dabei hat sich der Typ so angestrengt, dass er hyperventiliert hat und umkippte."
ragazzi: "Bei den Kaltenberger Ritterspielen, deren Gast ihr jedes Jahr seid, steht euch etwas ganz Besonderes bevor. Verrätst du schon was?"
Castus: "Am 7. Juli wird die Hymne zum Kaltenberger Ritterturnier veröffentlicht. Die haben wir im Auftrag des Veranstalters, Prinz Luitpold von Bayern, komponiert. Der Prinz wird uns eine hohe Ehre zu Teil kommen lassen. Welche genau, wissen wir aber auch noch nicht."
ragazzi: "Und im Herbst erscheint eine DVD?"
Castus: "Ja. Corvus Corax live mit vielen Extras. Gleichzeitig erscheint auch eine Live-CD. Unbedingt vormerken!"
ragazzi: "Vielen Dank für das Interview."

LARS




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