CHANDEEN

Das Epische und die Leichtigkeit
Einst Flaggschiff einer Bewegung, die sich Heavenly Voices nannte, hat sich das Trio um den Komponisten Harald Löwy und den Sängerinnen Antje Schulz und Stephanie Härich längst zur eigenständigen Marke Chandeen entwickelt. Aushängeschild: Zeitlos schöne Melodien und himmlische Stimmen. Dazu versprühen die Songs des aktuellen Albums "Bikes And Pyramids" eine unglaubliche Leichtigkeit und jede Menge Pop-Appeal. Ragazzi traf Antje und Stephanie in Frankfurt/M. zum Interview.

ragazzi: "Zwischen dem Erscheinen euer ersten drei Alben lag immer nur ein Jahr. Vor Album Nummer Vier "Spaceriders" waren es zwei und jetzt sind vier Jahre ins Land gegangen, bis ein neues Chandeen-Album erschien..."
Antje: "Vier Jahre?"
Stephanie: "Das war uns gar nicht bewusst..."
ragazzi: "Habt ihr weniger Zeit zum Musik machen?"
Stephanie: "Wir haben uns keine Gedanken darüber gemacht, dass vier Jahre zwischen den letzten Alben lagen. Allerdings hat Harald eine Familie gegründet und ist aus Frankfurt weggezogen. Das ist sicher ein Grund."
Antje: "Viele der Songs gibt es ja schon seit zwei Jahren. Und in dieser Zeit haben sie viele Entwicklungsstufen durchlaufen. Aber wenn sie jetzt nicht erschienen wären, dann wären sie wohl nie veröffentlicht worden."
ragazzi: "Eure letzten beiden Alben lassen ja eine stilistische Wandlung erkennen. Hat das etwas mit den längeren Produktionsphasen zu tun?"
Antje: "Natürlich ist dadurch auch für mehr Veränderungen Zeit gewesen. Obwohl wir am Songwriting nichts geändert haben. Aber wie ein Song letztendlich klingt, ergibt sich erst ganz am Schluss seiner Entstehung."
ragazzi: "Wie sieht denn dieser Entstehungsprozess aus?"
Antje: "Harald komponiert alle Stücke und gibt uns dann eine instrumentale Rohversion. Dazu schreibe ich meinen Text. Danach treffen wir uns wieder und erarbeiten den Song gemeinsam. Wenn wir mit dem Ergebnis zufrieden sind, wird aufgenommen."
ragazzi: "Ihr klingt heute viel leichter und fröhlicher als auf euren ersten Alben..."
Stephanie: "Weil wir nicht mehr am Anschlag singen. Früher klangen wir sphärisch und mystisch. Seitdem eine Gitarre dabei ist, ist es wirklich leichter geworden. Wir haben uns in eine bodenständigere Richtung entwickelt."
Antje: "Obwohl es für Harald schon wieder zu viel Gitarre geworden ist. Er sagte letztens: "Wir haben unsere Eric-Clapton-Phase überstanden". Er will wieder back to the roots, mehr Elektronik."
ragazzi: "Ihr ward einmal der Inbegriff der Heavenly-Voices-Szene. Ein Wort, das man gar nicht mehr hört. Ist dieser Name, diese Szene mit eurem alten Label Hyperium untergegangen?"
Antje: "Der Begriff Heavenly Voices hat sich überholt und ist wirklich mit diesem Label untergegangen. Man konnte unsere Musik nicht in Worte fassen, also erfand man diese Bezeichnung. Alles funktioniert nur in Schubladen. Ich selber konnte damit noch nie was anfangen. Und wer außerhalb der Gothic-Szene kennt schon diesen Begriff?"
ragazzi: "Wie ist denn der typische Chandeen-Fan?"
Stephanie: "Früher standen in den ersten Reihen nur Grufties. Aber meistens haben wir Fans, die nach außen eher unauffällig sind, die sich aber mit unserer Musik und den Texten intensiv auseinandersetzen."
Antje: "Viele Fans hinterfragen das, was wir singen. Das lese ich oft in E-Mails an uns. Ich meine, der typische Chandeen-Fan ist sehr ernsthaft."
ragazzi: "Zum letzten Album gab es die Single "Skywalking". Der Clip dazu lief sogar auf MTV und VIVA 2. Ist jetzt etwas ähnliches geplant?"
Antje: "Nein. Das Video hat nicht den erwarteten Erfolg gebracht. Das haben zu wenig Leute wahrgenommen. Als wir dagegen mal live bei NBC-Giga waren, gab es viel mehr Reaktionen. Die größte Promotion, die wir aber jeh hatten, war als Vorband von De/Vision. So was bringt dir echt am meisten."
ragazzi: "Welche Bedeutung hat euer ungewöhnlicher Albumtitel "Bikes And Pyramids"?"
Antje: "Den hat Harald sich ausgedacht. Die Pyramiden stehen für das Epische, das Fahrrad für die Leichtigkeit. Und beides wird auf der Platte vereint."
ragazzi: "Ihr habt zum ersten Mal deutsche Texte aufgenommen. Ein Experiment?"
Stephanie: "Die Anregung kam von einem Plattenlabel und wir haben das einfach mal ausprobiert. Es wurden sogar schon fertige englische Texte noch mal auf Deutsch geschrieben. Schließlich haben sich dann die zwei Songs herauskristallisiert." ("Pink", "Heute Nacht")
ragazzi: "Stimmlich kann man euch beide kaum auseinanderhalten. Habt ihr einen Tipp, wie man erkennt, wer welchen Song singt?"
Stephanie: "Diejenige von uns beiden, die den Text geschrieben hat, singt ihn auch."
ragazzi: "Ihr habt tagsüber beide einen Full-Time-Job. Wieviel Freizeit geht für Chandeen drauf?"
Antje: "Alle. Chandeen ist leider ein bisschen zu einem Projekt verkommen. Für die Tour nimmt man Urlaub, die Studioarbeit findet nach Feierabend statt. Aber andererseits brauche ich das normale Leben genauso wie das Musikerleben. Es ist meine Inspiration."
ragazzi: "Antje, du und Harald habt als gemeinsamen Lieblingsfilm "Lost Highway" von David Lynch. Der Titelsong eines anderen David-Lynch-Films würde meiner Meinung nach wunderbar zu Chandeen passen. Die Rede ist von "Falling" aus "Twin Peaks". Könntet ihr euch vorstellen, den zu covern?"
Antje: "Ich kenne den Film zwar nicht, aber ich weiß das Harald und unser Grafiker Michael sehr davon inspiriert sind."
Stephanie: "Coverwünsche entstehen bei Harald. Aber wie er auf die Songs kommt weiß kein Mensch."
Antje: "Unsere zwei bisherigen Coverversionen wurden im Original von Männern gesungen."
ragazzi: "Wird es eine Tour zum Album geben?"
Antje: "In diesem Jahr leider nicht."
Stephanie: "Dabei lieben wir es, live zu spielen. Du stehst im Rampenlicht und kriegst ein direktes Feedback. Vor dir stehen Leute und singen mit. Es riecht nach Tabak und nach anderen Sachen. Das ist einzigartig!"
ragazzi: "Dann hoffe ich auf eine Tour im nächsten Jahr und bedanke mich für das Interview."

LARS




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