ANEKDOTEN

Die Fragen zu diesem Interview sind im September 2003 an die Band gegangen. Jetzt, im ausgehenden März 2004 kamen die Antworten (auf Nachfrage) endlich an. Nicht die fleißigste Band, dafür eine, die mit ihren Veröffentlichungen neben Begeisterung so allerlei Verblüffung und Ablehnung fabriziert. Das 2003er "Gravity" hat mit den Vorgängeralben wenig zu tun. Dabei hatten die Schweden bis dahin auf den Sound von King Crimson geschworen. Alles ändert sich irgendwann. Anekdoten machen da keine Ausnahme. Gitarrist Nicklas Barker, wohl in Voraussicht auf die kommende Tour durch Europa, gab sich die Ehre, mir zu antworten - und seine Antworten machen
neugierig darauf, wie die Band wohl in der Zukunft klingen wird.


ragazzi: "Euer nicht mehr so ganz neues Album "Gravity" (das "nicht mehr so ganz" ergänze ich jetzt einfach nachträglich) klingt anders als seine Vorgänger. Der Vorgänger "From Within" war ein Schritt zu "Gravity". Aber jetzt scheint ihr andere Klänge anzustreben. Lasst uns bitte wissen, warum und wann das angefangen hat. Habt ihr die Nase von der "alten " Musik voll?"
Nicklas: "Es gab keinen "Plan", auf andere Weise vorzugehen wie zuvor und meiner Meinung nach klingen alle Anekdoten-Alben unterschiedlich von jedem anderen. Wir machen nur die Musik, die uns gemeinsam etwas gibt. Vielleicht wird das nächste Album ein Jazz-Album sein. Wir entscheiden nicht über diese Dinge. Sie passieren einfach. Meiner Meinung nach ist "Gravity" die reichste Arbeit von allen bisher."
ragazzi: "Steht die ganze Band hinter dem neuen Sound?"
Nicklas: "Sicher. Wir haben sie gemeinsam geschaffen."
ragazzi: "Was denkst du über die früheren Alben heute?"
Nicklas: "Alle Alben haben ihre Momente. Wir haben gerade eine remasterte Version von "Nucleus" mit einem extra Bonustrack herausgebracht und es war ein großer Spaß, diesen Songs wieder zuhören zu können. Aber irgendwie ist es für mich schwierig, mir "Vemod" anzuhören. "From Within" hat eine großartige Song, aber ich wünschte, wir hätten mehr an den Arrangements gearbeitet."
ragazzi: "Anna-Sofi spielt auf "Gravity" kein Cello. Warum? Wird das in der Zukunft auch so sein? Braucht Anekdoten kein Cello mehr?"
Nicklas: "Oh klar, sie wird wieder Cello spielen. Auf "Gravity" wollte sie Mellotron- und Orgel-Sounds näher erforschen und wir fanden keinen Grund, das Cello zu integrieren."
ragazzi: "War es ein harter Weg zu den neuen Songs? Komponieren und arrangieren auf eine neue Art und Weise?"
Nicklas: "Wie ich bereits sagte, wir suchen oder versuchen keinen neuen musikalischen Stil. Das entwickelt sich ganz natürlich. Normaler Weise improvisieren wir um einige Themen und finden so die richtige Stimmung und das entsprechende Spiel. Dann versuchen wir, daraus einen Song zu machen. So haben wir an allen unseren Alben gearbeitet. Es ist eine sehr kollektive und inspirierende Art, Musik zu kreieren."
ragazzi: "Gravity" hat diese dunklen Bilder, melancholische Lyrics und dunkle Stimmungen. Eine Menge schwedischer/skandinavischer Bands spielen dieser Art Sound. Wo kommt das her? Ist das Teil eurer Folklore?"
Nicklas: "Vielleicht hat das was mit dem dunklen schwedischen Winter zu tun. Viele alte schwedische Folk-Songs sind sehr traurig. Früher, in der alten Zeit, haben die schwedischen Folk-Musiker viel Alkohol getrunken, wenn sie spielten und die Geschichte sagt, dass ihre Lieder trauriger wurden, je betrunkener sie wurden."
ragazzi: "Was bringt die Zukunft für Anekdoten? Wie wird Anekdoten in der Zukunft klingen?"
Nicklas: "Das weiß ich wirklich nicht, aber einige der neuen Stücke, an denen wir arbeiten, sind schön hart. Ich versuche zudem, mehr experimentelle und avantgardistische Dinge in die Musik von Anekdoten zu bringen."
ragazzi: "Ich denke, dass ihr alle Jobs außerhalb der Band haben werdet. Ist Anekdoten eine wirkliche Band oder nur eines eurer Hobbys? Wie sieht es mit Neben-Projekten aus?"
Nicklas: "Anekdoten ist eine richtige Band, soviel ist sicher. Weder ist es ein Hobby noch hat es etwas damit zu tun, ob wir die ganze Zeit darauf verwenden, die uns zur Verfügung steht. Wir arbeiten sehr hart in Anekdoten und stecken eine enorme Menge Energie darein. Die Band bedeutet uns sehr viel. Ich würde das nicht als Hobby bezeichnen."
ragazzi: "Schweden hat eine Menge guter Bands, nicht nur in der progressiven Szene. Woher kommt das? Seit ihr Kontakt mit anderen Bands?"
Nicklas: "Ich weiß wirklich nicht, warum Schweden so viele gute Bands hat, aber es stimmt, es gibt viele sehr gute Musiker hier. Klar sind wir in Kontakt mit so mancher Band, so manchem Musiker. Wir benutzen den gleichen Übungsraum wie Paatos und ich leihe mir Gitarren von Mike von Opeth aus."
ragazzi: "Ist der weit umspannende Begriff "progressiv" wichtig für euch? Ich denke, jeder Musiker und jede Musikerin hat seine Inspiration, wie sieht das bei euch aus?"
Nicklas: "Ich würde nicht sagen, dass "progressiv" wichtig für uns ist, was Musik betrifft, an der wir arbeiten… Für mich ist das nur ein Label, ein Name. Ich für meinen Teil finde die interessantesten neuen Bands außerhalb der progressiven Sphäre. Ich hole mir die Inspiration von Robert Wyatt, Pink Floyd, Stockhausen, John Coltrane, Black Sabbath, Can, Kraftwerk, Elliott Smith, Mogwai, Nico, Velvet Underground, PJ Harvey, Peter Brötzmann, Albert Ayler und vielen anderen."
ragazzi: "Eine Band muss die Fans hassen, die immer das gleiche wollen. Ist es ein harter Schritt, in neue Territorien vorzustoßen? Was macht ihr, wenn die Fans euch auf eurem musikalischen Weg nicht mehr folgen wollen?"
Nicklas: "Einige Leute verlieren das Interesse an dir, aber du findest genauso neue Zuhörer, ich denke, das ist OK. Wir können nicht alle im gleichen Moment glücklich machen, obwohl wir das schon versuchen…:"
ragazzi: "Ein letztes Wort:"
Nicklas: "Hoffentlich sehen wir uns auf unserer Europa-Tour im Frühling im April!"

VM




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