Hypercolor "Hypercolor" (Tzadik, 20.01.2015)


"Wir sind nicht interessiert, komplexe Arrangements exakt wiederzugeben, wie es die meisten Prog oder Fusion Bands tun. Wir haben mehr Spaß daran, diese Auto-Pilot-Exaktheit durch die Kommunikation der freien Improvisation zu ersetzen." Wo Einfluss avantgardistischer Kunst seit dem Kinderwagen ins Leben begleitet, ist wohl ein stromlinienförmiger Juristen- oder BWL-Weg ins Karriereleben verbaut. Da wird das innere Drängen wach, kreativ zu sein. Und über das Bestehende hinauszudenken. Wenn sich dieses Anliegen mit handwerklicher Qualität kreuzt, kann große Kunst auf neuen Wegen erschaffen werden. Hypercolor sind auf diesem Weg.
Eyal Maoz (g), so meint John Zorn und das kann ich nachempfinden, kombiniert die harmonische Lyrik Bill Frisells mit der Kratzigkeit Marc Ribots. James Ilgenfritz (b) gibt dem frickelig nervösen Geschehen in den Songs Hypercolors die melodische Basis. Spielt den warmen Basston sehr melodisch und erdet das wüst-noisige Geschehen seiner Mitarbeiter. Lukas Ligeti (dr), längst nicht mehr nur der Sohn (György Ligetis), sieht über Musikstile, handwerkliche und ästhetische Muster weit hinaus, was gewiss schon in Kindertagen begann, aber längst eigene Strukturen fertigt. Der Komplextrommler arbeitet rasant und äußerst virtuos an seinem Instrument und gibt dem avant-punkigen Jazzrock, trotz entgegen gesetzter Aussage, die ästhetische Bindung an das, was Jazz Prog Fusion genannt sein mag, mehr als seine Mitstreiter.
"Wir bauten diese Idee komplexer Arrangements aus und spielten das dann komplett falsch." Es sollte ein sehr dadaistisches Unternehmen werden, mit No Wave im Songblut, die Vereinigung harscher Punk-Attitüde mit rigoros akademischer Musik.
Und selbst in erschöpft verträumten Passagen, wenn die Band zuhöchst die Energie für lyrische Motive findet, ist dieser krass anarchische Geist zu spüren. Viel mehr indes in den harschen, radikalen und lauten Stücken, die beim ersten Hören ungemein Erschöpfung bereiten und nicht unerheblich anstrengen. Die Jungs im Booklet sehen erwachsen aus. Nicht mehr ganz jung. Wenn auch Superman auf dem T-Shirt prangt und unrasierte Kinne unter dem frisierten Haar in die Kamera glänzen, so wirkt das Trio abgelichtet harmlos. Da ist noch viel Studentisches im Aussehen. (Wie sagt die Mutter zum noch kleinen Sohn, der meint, Musiker werden zu wollen, wenn er erwachsen sei: ‚Du musst Dich entscheiden, erwachsen zu werden oder Musiker zu sein. Beides zusammen geht nicht.)
Freitonal wuseliger Jazzrock mit kratzig harschen Gitarrensounds eröffnet den 10-Song-Reigen. Bass und Schlagzeug arbeiten ein virtuoses Geflecht aus, das enorm dynamisch und lebhaft, dabei rasant und überwältigend radikal ist, durchaus Jazzrock genannt sein kann, wie er in Prog-Zirkeln gespielt und begehrt ist. Nichts strebt gegen Hörfreundlichkeit, weder in Lautstärke noch in Arrangements, dieses Trio, so mild es lächelt, mag es harsch, avantgardistisch und bis ins Atonale hinein. Die im Presseblatt erwähnten afrikanischen und israelischen Attribute sind kaum auszumachen. Eher eine scharfkantige No Wave-/Punk-Attitüde, deren Rotzigkeit lautstärketechnisch Heavy Metal die Stirn bietet, ohne altbekannt festen Strukturen Raum zu öffnen.
Beide Rhythmusarbeiter können ebenso wie der Gitarrist, und tun dies ständig, im melodischen Raum mitarbeiten; poltern, wabern, rocken und kratzen wie ein Embryo, der in eben diesem Moment geboren werden muss, weil er reif ist und nicht mehr im engen Raum des Mutterleibes leben kann. Stetig birst der Sound, ebenso stetig aber geht es weiter und die Songs, so enorm vital und aktiv, bleiben in ihrem (großen) Rahmen und bringen das Schiff nicht zum Kentern. So ist die Herausforderung zwar nicht ohne Anstrengung, aber stets ‚zu ertragen'. Jeder Hördurchgang lässt die Band-Struktur, ihre Idee, besser erkennen und nachvollziehen. Bis die harsche Angriffslust verstanden und akzeptiert werden kann.
Gitarrist Eyal Maoz ist der Star der Band. Jazz? Ja. Punk-rüde und sehr laut. Melodisch gegen den harmonischen Gedanken birst, beult und strebt sein Spiel. Da ist kaum Prog-Struktur (wenn dies so gesagt sein kann), viel mehr Jazz - vor allem in den leiseren, jazztriefenden Kompositionen - und bewusst gegen den harmonischen Sinn gedachte und gespielte Töne, die wie Blitze in alle Richtungen fegen, um krassen Ausdruck zu zelebrieren, wie er nur in der avantgardistischen Musik stattfindet.
Indes: nicht eine der 10 Basiskompositionen ist weltbewegend, eher ist dies ihre Ausführung.
Hypercolor vereinen Jazzrock (mit nicht unerheblicher Prog-Attitüde), Noise, No Wave, Punk und Electric Jazz auf ordentlich radikale Weise. Akademisch gedacht und als Angriff auf Hörgewohnheiten durchgeführt, beweist das Trio eigenwilligen Charakter. Aber auch etwas Anderes: Progressive Rock (in allen seinen Farben) spricht sich herum, und infiziert Andersdenkende aller Denkart. Ist eben eine echte Alternative. Nachdem alle billigen Stile bis zum vollständigen Überdruss ausgenudelt sind.

hypercolorband.com
VM



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