Erdem Helvacioglu & Per Boysen "Sub City 2064" (Eigenproduktion 2010)

Die Beschreibung ihres ersten Stückes auf "Sub City 2064" ist bezeichnend: "Erdem plays guitar and drum machine. Per plays flute. Both go crazy on electronics". Die Zusammenarbeit des türkischen Komponisten Erdem Helvacioglu mit dem schwedischen Crossover-Musiker Per Boysen, dessen Beitrag (mir zu) folkloristische Noten trägt, beweist eindrucksvoll die inspirative Kreativität beider Musiker und zeigt im grandiosen Interplay Beider mit dem größten Input der elektronischen Instrumente das intuitive Aufeinandereingehen der ausdrucksstarken Interpreten.
"Sub City 2064" ist nicht durchgehend so homogen strukturiert wie Erdem Helvacioglus Geniestreich "Wounded Breath" aus dem Jahr 2008. Während "Wounded Breath" einen abstrakten Harmoniekosmos aufmacht, der ein geschlossenes Konzept hat und viele Möglichkeiten bietet, sich darin wieder zu erkennen, daran anzudocken, sind auf "Sub City 2064" neben eben solchen Tracks Stücke wie "Legends of Lost Land", das zwar elektronisch reichhaltig aufgebaut ist, aber durchaus als Popballade funktioniert, oder "Reef Edge Rade", das als Metal-Persiflage mit tiefer gelegter Gitarre, starker Struktur und vordergründiger Nachvollziehbarkeitsidee zu ‚normal' und weitaus weniger frei und inspiriert ist, zu hören, die zwar durchaus großes Format haben, aber längst nicht mit dem Kontext harmonisieren, den die weiteren großartigen Songs des neuen Albums auszeichnen, und so ist die Hörerfahrung mit "Sub City 2064" längst nicht so erfrischend und beglückend wie mit genanntem Vorgängeralbum.
Die großartigen elektronischen Songgebäude des neuen Albums indes sind erstklassige Beispiele für die geniale Klangkunst heutiger elektronischer Musik, die sich nicht auf Pop, sondern Neue Musik bezieht.
Die harmonischen Entwicklungen sind tief emotional geprägt, laden versierte wie ungeübte Hörer ein, diesen überraschenden Klangkosmos mit offenen Ohren zu erfahren und sich dem in keiner Facette langweiligen, sondern stetig überraschenden Sound neugierig hinzugeben. So vielfältig und stilistisch frei sind die überwiegenden Minuten des Duowerkes, und in aller Abstraktion wie weiträumigen Harmonie verführerisch und schöngeistig, dabei in seiner Klangästhetik nicht immer offenbarend, welches Instrument nun für welche Klänge und Töne steht, dass das Zuhören nur kurzweilig und fabelhaft unterhaltsam ist.
Die ambienten Klanglandschaften weisen indes keine alltäglichen oder gar kitschigen Harmonieentwicklungen auf, wie dies in der ambienten und elektronischen Musikszene durchaus des Öfteren passiert, sondern greifen aus verschiedenen Stilen und elektronischen Klangmustern zu überraschenden und bisweilen dramatisch sich entwickelnden Arrangements aus, die fast wie Filmmusik funktionieren, nur dass die Stücke dafür zu stark sind und ganz ohne Bild aus sich allein erstklassig funktionieren.
"Sub City 2064" ist ein überwiegend großartiges, überraschendes elektronisches Neue Musik Album. Wenn ich jedoch ehrlich sein darf, warte ich - ohne Beteiligte abwerten zu wollen - neugierig auf die nächste Soloarbeit des türkischen Klanggenies Erdem Helvacioglu.

erdemhelvaciogluandperboysen.bandcamp.com
perboysen.com
VM



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